Wirkung von lösenden und rituellen Sätzen

Abschlussarbeit von Natalie Schloeßer, als PDF lesen


Einleitung

Während meiner Ausbildung zur systemischen Aufstellungsleiterin, verfolgte ich jede Aufstellung mit großer Gespanntheit.

So häufig kam es an einen Punkt, wo der Knoten platzte und das Verborgene zum Vorschein kam.

Plötzlich wurde sichtbar, dass zwischen zwei oder mehreren StellvertreterInnen Spannungen, Missverständnisse und viele negative Gefühle herrschten, weil Unausgesprochenes die Beziehung störte und blockierte.

Es wurde immer deutlich, dass manche Sätze einfach mal gesagt werden mussten, damit die Systemmitglieder, sie hören, wahrnehmen und verarbeiten konnte.

Daraus ergab sich dann oft eine große Erkenntnis und Erleichterung.

Diese befreiende Wirkung war förmlich spürbar.

Im Folgenden werde ich auf die Hintergründe von lösenden und ritualisierenden Sätzen eingehen, Beispiele vorstellen und herausarbeiten, wie sie in der Praxis von den AufstellungsleiterInnen eingesetzt werden können.

Heilende Sätze von Hellinger

Der deutsche Psychoanalytiker und Familientherapeut Bert Hellinger nutzte in seinen Familienaufstellungen heilende Sätze, um „die Ordnung anzuerkennen und in der Ordnung der Liebe nachreifen zu lassen.“ (Hosang, 2021)

Da Hellinger ursprünglich ein katholischer Priester war, wurden seine Sätze im Sinne eines Gebetes formuliert. Jede Formel in den heilenden Sätzen hat eine psychologische Bedeutung und kann unterschiedlichen Themenfelder zugeordnet werden. Diesen können z.B. eine Trennung, eine Eltern-KindBeziehung oder eine Verstrickung mit einer anderen Person adressieren.

In der Verarbeitung der Trennung zwischen Mann und Frau ist beispielsweise der Satz:

 »Ich nehme, was du mir geschenkt hast. Es ist sehr viel. Ich nehme es mit und halte es in Ehren«

darauf ausgelegt, eine Wertschätzung und Dankbarkeit auszudrücken.1

Oft ließ Helling die Kinder vom Vater segnen. Wenn es z.B. um die Dynamik der Nachfolge ging, konnte der Satz

»Wenn ich bleibe, segne mich bitte«

dazu führen, dass der Vater in Ruhe gelassen wird und seinen Frieden findet.

Mit dem Segen und der wohlwollenden Einstellung von Personen aus dem Herkunftssystem kann der Ratsuchende die eigenen Aufgaben angehen und das Vergangene voller Demut und Respekt bei den Ahnen lassen.

(Frot 2021)

Beispiele für lösenden und rituelle Sätze

Hellinger brachte viele wichtige Grundlagen zum Familienstellen auf den Weg. Da seine Ansätze allerdings häufig als zu radikal kritisiert wurden, distanzieren sich heute viele Praktizierende von ihm.2

Dennoch gelten seine Methoden als Basis für diese Art des therapeutischen Arbeitens und so wurden auch seine heilenden Sätze weiterentwickelt und mittlerweile häufig als lösenden und rituelle Sätze bezeichnet.

Alexandra und Pierre Frot fassten solche Sätze in ihrem online Lexikon für systemische Aufstellungen unter anderem in folgenden Kategorien zusammen:

● Bei Verletzungen der Rangordnung:
z.B. eine Tochter zum Vater:

»Du bist der Große und ich bin die Kleine. Ich lasse dich in Frieden«.

Hierbei geht es um die Akzeptanz und eine Friedenserklärung.

Bei Verletzungen des Rechtes auf Zugehörigkeit:
z.B. ein Mann verlässt nach vielen Jahren schwermütig seine Firma.

»Eine wichtige Phase meines Lebens geht jetzt zu Ende. Ich verabschiede mich in Dankbarkeit für eure Mitarbeit und Unterstützung. Ich gehe jetzt.«

Der Ausdruck von Dankbarkeit und Wertschätzung ist wichtig, um einen Abschluss zu finden. Mit dem Satz »Ich gehe jetzt« macht er einen klaren Schnitt.

Bei einer Verstrickung mit anderen Schicksalen:
z.B. eine junge Frau zu ihrer Schwiegermutter.

»Dein Schicksal berührt mich. Aber es gehört zu dir. Ich werde deinen Platz nicht einnehmen.«

Bei Einmischung in die Angelegenheiten anderer:
z.B. ein Mann leidet unter starken Rückschmerzen und trägt die Last der Kriegsschuld seiner Eltern.

»Was damals passierte, war schrecklich. Ich gedenke den Opfern. Ich verstehe, dass ihr damals so handeln musstet. Aber es ist eure Last. Ich gebe sie euch jetzt zurück.«

Das Loslassen von Übernommenen muss beendet werden. Die Opfer der Eltern müssen anerkannt werden. Hierbei soll Fremdes zurückgegeben werden, damit man sich nicht mehr (aus Treue zum System) mit der Last identifiziert.

Bei Anerkennung und Würdigung der Realität:
z.B. eine Frau bei der Trennung von ihrem Ehemann.

»Für das, was da zwischen uns schiefgelaufen ist, übernehme ich meinen Teil der Verantwortung. Ich lasse das Schlechte bei dir und nehme das Gute zu mir.«

Anstatt einer Abwertung oder Abwendung, soll die eigene Verantwortung für eine Trennung übernommen werden. Die Vergangenheit und das Schöne, was zwischen den Ehepartnern war, wird gewürdigt.

Wie Heilung geschieht

Solche Sätze tragen eine große Kraft, die dazu in der Lage ist, eine tiefergelegene Schicht in uns zu berühren. In dieser Schicht speichern wir unsere Verletzungen und negative Glaubenssätze. Es scheint, als ob dieses Tiefsitzende angesprochen werden muss, damit sich die darüber gelagerten (vordergründigen) Blockaden lösen können.

Die Heilpraktikerin (Psychotherapie) und Familienaufstellerin Anneliese Tschenett fasste in ihrem Buch Verdeckte Dynamiken und Schätze im Familiensytem (2019) den Prozess der wie folgt zusammen.

Heilung geschieht wenn:

▪ die gelebten Erfahrungen liebevoll als Erfahrungen der Vergangenheit gesehen und anerkannt werden,

▪ der damit verbundene Schmerz geachtet wird,

▪ das, was war oder ist, akzeptiert wird,

▪ verdrängte oder unterdrückte Emotionen befreit werden,

▪ übernommene Gefühle und Schicksale bei jenen gelassen werden, denen sie gehören (z.B. Eltern oder Ahnen),

▪ Versöhnung und Vergebung erfolgt.

Anwendung in systemischen Aufstellungen

Das Vorgeben dieser Sätze wird im systemischen Coaching auch als Doppeln bezeichnet. Hierbei ist es sehr wichtig, dass der Aufstellungsleiter oder die Aufstellungsleiterin behutsam vorgeht. Zwar ist es wichtig, das Feld zu lenken und zu leiten, allerdings muss es hauptsächlich Platz für das Fließen der Kräfte geben.

Es ist sehr bedeutsam ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann ein solches Doppeln eingesetzt werden kann.

Aus all dem, was ich bisher bei Aufstellungen verfolgen und verstehen konnte, lässt man sich als LeiterIn davon lenken, wo die meiste Energie ist. Bemerkt man, dass StellvertreterInnen zittern, bei ihnen Tränen kommen, sie anfangen zu schwanken oder sich sogar zu ihrem Zustand äußern, kann man sich ihnen zuwenden.

Wenn viel aufgestaute Energie zu spüren ist, sollte man einen Weg finden, sie zu entladen und kann als LeiterIn einfach mal einen Satz vorschlagen.

Dieser sollte stets knapp und prägnant gehalten und in der Ich-Form formuliert werden.

Es wird das ausgesprochen, was der Leiter oder die Leiterin bisher verstanden hat und das, was die StellvertreterInnen noch nicht direkt geäußert haben. 3

Dabei ist es allerdings wichtig, darauf zu achten, dass dem Repräsentanten oder der Repräsentantin freigestellt wird, ob er oder sie diesen Satz nachspricht oder sich einen anderen, für ihn oder sie besser passenden Satz überlegt.

Als AufstelltungsleiterIn könnte man das Aussprechen von lösenden Sätzen also folgendermaßen in die Wege leiten:

»Schau mal, ob dieser Satz für dich stimmt: … «

Ist der Satz von dem Stellvertreter oder der Stellvertreterin ausgesprochen, ist es wichtig darauf zu auch, dass kein Gespräch entsteht, denn „sonst besteht die Gefahr, dass die konzentrierte Wahrnehmung der Repräsentanten zurückgedrängt wird.“ (Frot 2021)

Nach einer kurzen Wirkungspause geht der Leiter oder die Leiterin zu der anderen Partei und erfragt, wie sie darauf reagieren.

»Wie ist das für dich, wenn du so etwas hörst?«

»Was hat das mit dir gemacht?«

»Hat sich irgendetwas verändert?«

Und so fließt die Kraft weiter und kommt letztendlich – sofern es eine erfolgreiche Aufstellung war – zu einem Lösungsbild, das erkenntnisreich, befreiend und heilsam wirkt.

Die Veränderung, die unsere KlientInnen anstreben, erfordern also ein geduldiges und behutsames Vorgehen, damit schwere Erlebnisse umgedeutet und neu bewertet werden können.


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Quellen

1 Hosang (2021)
2 DGSF (2003)
3 Maron (2021)

Literatur

Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (2003). Stellungnahme der DGSF zum Thema Familienaufstellungen. https://www.dgsf.org/themen/berufspolitik/hellinger.htm Zugriff am 15.12.21
Frot, Alexandra und Pierre (2021) Lexikon für systemische Aufstellungen. https://www.lexikonaufstellungen.de/post/l%C3%B6sende-s%C3%A4tze-rituelles%C3%A4tze. Zugriff am 20.12.21
Hosang, Karl (2021). Psychologische Bedeutung der Heilenden Sätze für Familienaufstellungen. https://karlhosang.de/heilendesaetzefamilienaufstellungen/ Zugriff am 15.12.21
Maron, Beate (2021). Methoden und mehr. https://methodenundmehr.de/doppeln/. Zugriff am 20.12.21
Tschenett, Anneliese (2019). Verdeckte Dynamiken und Schätze im Familiensystem – Einweihung in die Familienaufstellung