Möglichkeiten zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung

Abschlussarbeit von Kerstin Groneberg, als PDF lesen


Einleitung

Sowohl während meiner eigenen Tätigkeit als systemische Beraterin im Rahmen des Schülercoachings an der Schule und den dort gemachten Erfahrungen mit Einzelaufstellungen als auch als Teilnehmerin diverser Aufstellungen habe ich bisweilen beobachtet, dass es (zumindest in meiner subjektiven Wahrnehmung) manchmal Repräsentanten gibt, die – aus welchen Gründen auch immer – sich unterschiedlich auf Aufstellungen einlassen oder einlassen können.

Diese Beobachtung war sozusagen der Auslöser bzw. der Anlass für die in dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung

Welche Möglichkeiten gibt es zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung bezogen auf Menschen mit einer verminderten Gefühlswahrnehmung?

Bei dem Versuch der Beantwortung dieser Frage bin ich auf das „Somatische-MarkerTraining“ zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung nach Julia Weber gestoßen, das ich in der hier vorliegenden Arbeit genauso wie die Aufstellung zur „Phänomenologischen Wahrnehmung“ nach Friedrich Assländer kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, vorstellen möchte.

Repräsentierende Wahrnehmung

Der von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer für Strukturaufstellungen verwendete Begriff der „repräsentierenden Wahrnehmung“ beschreibt das Phänomen, dass

sich bei einer systemischen Aufstellung die Körperempfindungen der Repräsentanten in Übereinstimmung mit den Beziehungsstrukturen des dargestellten Systems ändern
(Varga von Kibéd & Sparrer, 2018, S.99)

Diese Empfindungen, ihre Unterschiede und Veränderungstendenzen erlauben ein zuverlässiges Bild von Beziehungen und deren Veränderung im abgebildeten System. Der Fokus liegt hierbei auf den Veränderungen der Körpergefühle, also auf Unterschiede zu vorherigen Empfindungen und nicht auf dem Gefühl selbst. Die Repräsentanten einer Aufstellung werden nach Unterschieden in ihrem Befinden, ihren Wahrnehmungen, ihrer Haltungen, ihren Emotionen etc. gefragt, die sie im Vergleich zu ihrem vorherigen Zustand zur Kenntnis nehmen. Fragen wie „Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?“ wie sie bei klassischen Aufstellungsformen häufig verwendet werden, werden hier eher nicht gestellt, um eine mögliche Vermischung mit dem eigenen Hintergrundsystem, Interpretationen oder Ansichten zum Wahrgenommen zu verhindern. Stattdessen wird der Stellvertreter gefragt, was sich für ihn geändert hat als ein anderes Strukturelement aufgestellt wurde, wobei er dabei

spontanen Körperempfindungen folgen und Gedanken und Deutungen eher kommen und gehen lassen [soll]
(Varga von Kibéd & Sparrer, 2018, S.100)

Zur Charakterisierung der unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung und des Körperempfindens haben die Autoren folgende Kategorien gebildet: 1

1. Topologische Körperempfindungen
2. Geometrische Körperempfindungen
3. Prototypische Körperempfindungen
4. Spezifische Körperempfindungen
5. Abstrakte Körperempfindungen
6. Konkrete Körperempfindungen
7. Fremde Körperempfindungen
8. Eigene Körperempfindungen
9. Aufstellungsvariante eigene Empfindungen

Fragestellung

Varga von Kibéd und Sparrer gehen in ihrem Ansatz der systemischen Strukturaufstellung also davon aus, dass eine spezielle Art der Wahrnehmung, die sogenannte „repräsentierende Wahrnehmung“ die Aufstellungsarbeit ermöglicht, was wiederum voraussetzt, dass die Repräsentanten einer Aufstellung aber auch die Fähigkeit besitzen müssen, Empfindungen wahrnehmen und benennen zu können. Daraus ableitend ergibt sich die für die vorliegende Arbeit grundlegende Fragestellung:

Welche Möglichkeit gibt es aber für Menschen, bei denen diese Fähigkeit eingeschränkt ist und die entweder keinen oder nur wenig Zugang zu ihren Empfindungen haben?

Training zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung

Bei meinen Überlegungen zu dieser Frage bin ich auf das Somatische-Marker Training zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung von Julia Weber gestoßen, wie es im ZRM Manual „Ressourcen aktivieren mit dem Unbewussten“ vorgestellt wird.

Es handelt sich hierbei um ein Verfahren, das dem Einsatz der Bildkartei und des Ideenkorbs im ZRM-Training vorgeschaltet ist und den Umgang mit somatischen Markern trainiert.

Unter somatische Marker, der Begriff geht auf den Neurowissenschaftler Antonio Damasio zurück, versteht man das Signalsystem des Unbewussten. Über diese somatischen Marker werden Annäherungs- und Vermeidungsverhalten gesteuert. (Riedener Nussbaum & Storch, 2014, S. 26) Sie zeigen sich als diffuse Gefühle entweder auf der körperlichen oder emotionalen Ebene und ermöglichen eine Kommunikation mit dem Unbewussten.

Das Training zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung ist zwar in erster Linie für Menschen mit Alexithymie gedacht, die sowohl Defizite im Bereich der Gefühlsregulation als auch im Bereich der Wahrnehmung und Beschreibung ihrer Gefühle haben, aber eben auch für andere Menschen mit einer verminderten Gefühlswahrnehmung. Denn, so die Autorin,

in der Normalbevölkerung kann eine verminderte Gefühlswahrnehmung in leichter Form auch unabhängig von einer klinischen Diagnose oder Erkrankung vorkommen

In diesem Training lernen die Kursteilnehmer zunächst ihre somatischen Marker (wieder) wahrzunehmen und diese in einem nächsten Schritt bezüglich ihrer Valenz (Bewertung: positiv oder negativ) und Intensität (stark oder schwach) einzuordnen. Begonnen wird mit dem Wahrnehmen negativer Gefühle, da diese nicht zuletzt auch evolutionsbedingt generell einfacher wahrzunehmen sind.

Der Ablauf des Trainings sieht folgendermaßen aus:

    1.  Gründe für schlechte Gefühle werden von den Teilnehmern erfragt und für alle sichtbar auf einem Flipchart schriftlich festgehalten.
    2. Jeder Teilnehmer sucht sich aufgrund eigener Erfahrungen dann ein relevantes Thema aus und
    3. zeichnet das jeweilige schlechte Gefühl mit einer entsprechend gewählten Farbe in eine Figur ein, die zuvor durch ein paar äußere Merkmale (Haare, Haarfarbe, Brille etc.) individualisiert und personalisiert wurde.

Durch das individuelle Einzeichnen der negativen Gefühle in die Figur und der damit verbundenen Externalisierung wirkt dieses Vorgehen weniger bedrohlich.

Sobald die Teilnehmer gelernt haben, ihre negativen Gefühle zu erkennen, erfolgt im nächsten Schritt die Wahrnehmung der positiven somatischen Marker, wobei das Vorgehen mit dem oben beschriebenen identisch ist.

Die Phase des Malens ist wichtig, da es zunächst ein intensives Hineinspüren erfordert und durch das Zeichnen der Zugang zum Gefühl erleichtert wird. Die Versprachlichung von Gefühlen, die vor allem alexithymen Menschen besonders schwerfällt, erfolgt dann in einem nächsten Schritt, wobei hierbei bewusst auf die Verwendung der Gefühlsbezeichnungen „Wut“, „Traurigkeit“ etc. verzichtet wird und stattdessen die Teilnehmer ermutigt werden, in ihrer eigenen (bildlichen) Sprache über ihre Zeichnung zu sprechen.
Sowohl das von der Autorin aufgeführte Beispiel für die Beschreibung eines negativen Gefühls als

schwer lastenden schwarzen Schleim, der auf Kopf und Schulter liegt und langsam am Körper herabfließt

als auch die Beschreibung eines positiven Gefühls als

ein gelber Wollknäuel im Bauch, der Wärme und Entspannung strahlt

verdeutlicht, dass die Eigensprachlichkeit dazu führt, dass die erfahrenen Gefühlszustände viel individueller beschrieben werden, was wiederum eine Differenzierung von Gefühlszuständen ermöglicht.

Der nächste Schritt ist dann der Einsatz einer Bildkartei.

Hierbei liegen viele verschiedene Bilder auf dem Boden mit genügend Zwischenraum dazwischen und die Teilnehmer werden eingeladen umherzulaufen, die Bilder auf sich wirken zu lassen und sich in aller Ruhe ein Bild auszusuchen, das ein starkes, gutes Gefühl auslöst.2
Im Anschluss zeichnen sie ihre somatischen Marker, die sie entweder bei der Bildwahl wahrgenommen und/oder beim Betrachten ihres Bildes wahrnehmen, wieder in eine Figur ein. Hierbei gilt es sowohl auf äußere Merkmale als auch die eigenen inneren Vorgänge wie Haltung, Atmung, Farben, Gefühle, Energien, zugehörige Symbole, hinzugedachte Umgebungsmerkmale etc. zu achten.

Dieser Schritt mit der Bildkartei ist eine weitere Übung zur Wahrnehmung somatischer Marker. Das Somatische-Marker-Training zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung ist damit beendet und die Autorin würde nun mit dem ZRM weiterarbeiten.


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Quellen

1 Eine Erläuterung der einzelnen Kategorien würde den Rahmen der Arbeit sprengen, ist aber nachzulesen in: Varga von Kibéd & Sparrer, 2018, S.102-106
2 Wenngleich die Anleitung zur Bildauswahl ausgesprochen wichtig ist, wird an dieser Stelle nur die verkürzte Version erwähnt, da dies sonst den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Eine Anweisung für die offene Bildwahl findet sich im Manual: Krause, F. & Storch, M., 2016, S.43.