Vier Ohren

Abschlussarbeit, Elke Leim-Kajo, als PDF lesen


Die vier Seiten einer Nachricht

Die Ampel ist grün

sagt der männliche Beifahrer zu seiner Frau, die am Steuer sitzt. Eine Alltagssituation, die häufig zu Unstimmigkeiten zwischen Partnern führen kann.

Warum ist das so?

Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun (*6. August 1944), aus dessen Buch „Miteinander reden: 1“ (1981) das oben genannte Beispiel entlehnt ist, hat mit seinen „vier Seiten der Nachricht“ hierfür eine anerkannte Kommunikationstheorie entwickelt, die sogar Einzug in den Lehrplan der deutschen Schulen gefunden hat.

Zugrunde liegt das Kommunikationsmodell von Sender und Empfänger.

Die vier Seiten der Nachricht umfassen:

▫ den „Sachaspekt“

▫ den „Selbstoffenbarungsaspekt“

▫ den „Beziehungs-“

▫ und den „Appellaspekt“

Dargestellt am oben genannten Beispiel hat der Ehemann an seine Frau am Steuer theoretisch vier Aussagen gerichtet:

    1. Sachinhalt“: Eine Mitteilung darüber, dass die Ampel grün ist, also eine sachliche Aussage über eine objektiv beobachtbare Tatsache.
    2. Selbstoffenbarung des Senders“ (des Ehemanns in dem Fall): Hier könnte die Bot schaft enthalten sein: „Ich habe es eilig, fahr los!“.
      Im Selbstoffenbarungsaspekt teilt der Sender etwas über sich mit, wissentlich oder unwissentlich.
      Schulz von Thun spricht hier über „die gewollte Selbstdarstellung“ bzw. die „unfreiwillige Selbstoffenbarung“.
      In dieser nicht absichtsvollen Offenbarung wird mitgeteilt, was dem Sender wichtig ist und je nach Situation welche Einstellungen und Werte er hat.
      Die Selbstoffenbarung kann, ist sie unwillentlich, als blinder Fleck bezeichnet werden, d.h. hier macht der Sender unter Umständen Aussagen über seine Person, die im Selbst weder bewusst noch bekannt sind.
    3. Beziehungsaspekt: Aus dieser Seite der Nachricht geht hervor wie das Verhältnis zwischen dem Sender und dem Empfänger ist.
      Im oben genannten Beispiel drückt der Ehemann möglicherweise aus, dass er glaube, die Frau könne nicht gut Auto fahren.
      Der Beziehungsaspekt beinhaltet eine Aussage darüber, was der Sender über den Empfänger denkt, aber auch wie das Verhältnis zueinander ist.
      Ersteres ist die „Du Botschaft“, Letzteres die „Wir Botschaft“, also welches Verhältnis der Sender zwischen ihm und dem Empfänger annimmt.
      Dies kann – aus Sicht des Senders – z.B. ein enges, intimes Verhältnis sein.
      In dem Fall sendet er möglicherweise Nachrichten mit einem persönlichen Inhalt, der Informationen über das angenommene Verhältnis der beiden vermittelt.
    4. Der „Appellaspekt“ der Nachricht kann auch immer einen manipulativen Charakter haben, indem er dem Empfänger mitteilt, was er tun solle.
      Im Ampelbeispiel könnte das die Aufforderung an die Frau sein, schnell loszufahren. Dies wird nicht explizit durch den Sender mitgeteilt, sondern bedarf – wie alle Seiten der Nachricht – der Interpretation durch den Empfänger.
      Und genau hier liegt ein Konfliktpotential, nämlich darin, dass der Empfänger sich je nach Interpretationsweise zum Beispiel bevormundet oder abgewertet fühlt (Appell-/ Beziehungsaspekt).

Die vier Ohren

Betrachtet für den Empfänger geschieht die Interpretation der Nachricht durch ihn analog zum Prinzip der „vier Seiten einer Nachricht“.

Der Empfänger hört die Nachricht seinerseits mit „vier Ohren“:

▫ dem „Sach-Ohr“

▫ dem „Beziehungs-Ohr“

▫ dem „Selbstoffenbarungs-„ oder

▫ dem „Appel-Ohr“

Welches dieser Ohren beim Empfänger ausgeprägter ist, d.h. mit welchem Ohr er letztlich die Nachricht interpretiert, hängt mit seiner Persönlichkeit zusammen.

Schulz von Thun spricht hier vom Machwerk des Empfängers“.

Doch zunächst das Sach-Ohr: Neigt der Empfänger dazu, schwerpunktmäßig das Sach-Ohr für den Empfang einer Nachricht zu nutzen, so hört er möglicherweise die implizite Nachricht der Botschaft des Senders nicht.

Er reagiert eher sachorientiert und wird etwa auch in diesem Modus antworten. Nach Schulz von Thun eine häufige Reaktionsweise von Männern und Akademikern.

Dies kann bei Sender und Empfänger zu Missverständnissen führen und zeigt deutlich wie Kommunikation mit Blick auf die vier Seiten einer Botschaft und die vier Ohren des Empfängers missglücken kann.

So kann, dargestellt am Ampel-Beispiel, zwar die bloße Orientierung des Empfängers an der Sachbotschaft, nämlich dass die Ampel auf Grün geschaltet hat, möglicherweise den direkten Konflikt zwischen den Eheleuten vermeiden.

Die implizite Botschaft des Mannes, beispielweise dass er es eilig habe und schnell ankommen möchte (Selbstauskunft), wird in dieser Situation von der Frau jedoch nicht wahrgenommen und im Sinne das Ehemannes nicht adäquat reagiert, z.B. durch einen zügigere Fahrweise.

Auch kann die Kommunikation auf der Sachebene bewusst eingesetzt werden, um einem bestehenden eigentlichen, unterschwelligen Konflikt zu umgehen.

Das Beziehungs-Ohr: Ist die Beziehungsseite der Wahrnehmung beim Empfänger stark ausgeprägt, so wird die Botschaft eher als eine Art Aussage über ihn als Person gewichten und sich häufiger persönlich angegriffen fühlen und in dieser Weise reagieren:

Wenn jemand lacht, fühlen sie sich ausgelacht, wenn jemand guckt, fühlen sie sich kritisch gemustert, wenn jemand wegguckt, fühlen sie sich gemieden und abgelehnt. Sie liegen ständig auf der Beziehungslauer

 (Schulz von Thun).

Auch hier zeigt sich deutlich, wie eine Überbetonung des spezifischen Ohres zu Konflikten und ggf. schwelendem Groll gegen den Sender einer Nachricht führen kann, ohne dass die wahrgenommene Aussage tatsächlich abwertend oder persönlich gemeint gewesen war.

Ist das Selbstoffenbarungs-Ohr beim Empfänger stärker ausgeprägt, so wird von ihm die Nachricht eher als Selbstaussage des Senders gehört:

Was sagt sie mir über dich?

 (Schulz von Thun)

Hört der Mensch mit diesem Ohr genau hin, so kann er auf Botschaften des Gegenübers empathisch oder fürsorglich reagieren und ggf. einen schwelenden Konflikt zwischen den Zeilen des Gesagten heraushören.

Eine missmutige, vielleicht auch beleidigende Äußerung des Gegenübers kann dann als Aussage über den Zustand des Senders hinsichtlich seines Befindens wahrgenommen werden und nicht als persönlicher Angriff oder Du-Botschaft.

Schulz von Thun nimmt hier das Beispiel eines Vaters, der gereizt von der Arbeit kommt und sich über die Unordnung in der Wohnung äußert. Hinter dieser Situation steckt womöglich die Aussage:

Ich hatte heute einen anstrengenden Tag im Büro!

 Nimmt der Empfänger, in diesem Fall die Ehefrau, die Aussage mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr wahr, kann sie darauf reagieren und mit ihrem Mann über den eigentlichen Konflikt, der implizit geäußert wurde, reagieren.

Hier sind die Grenzen natürlich fließend und können, ist dieses Ohr zu weit ausgeprägt, zu einem Überhören von sachlicher Kritik führen, indem der Empfänger die Aussage gar nicht mehr auf sich und sein Verhalten bezieht, sondern nur auf die Befindlichkeit des Gegenübers.

Auch kann eine mögliche Aggression durch den Sender vom Empfänger (un-)bewusst gemildert und als bloße Befindlichkeit des Senders heruntergespielt werden und somit eine adäquate Reaktion in Form einer notwendigen Auseinandersetzung unterbleiben.

Ein übergroßes Appell-Ohr kann beim Empfänger dazu führen, Äußerungen schnell als Aufforderungen des Senders zu verstehen.

Der Nachrichtenempfänger wird überschnell auf vermeintliche Wünsche und Aufforderungen des Gegenübers reagieren oder handeln, ggf. sogar bevor überhaupt die Notwendigkeit hierzu besteht, in der Annahme der Sender hege einen bestimmten Wunsch oder eine bestimmte Absicht.

Nach Schulz von Thun, haben Menschen mit einem ausgeprägten Appell-Ohr häufig ein vermindertes Gefühl für ihre eigenen Bedürfnisse und sind oft schon darauf bedacht, es dem anderen Recht zu machen.

Diese Menschen neigen zu „Schnellreaktionen“, die nicht von innen heraus entstehen, sondern „außengeleitet“ sind.

Manipulationen durch Appelle können hier besonders bei diesen Empfängern auf fruchtbaren Boden fallen.

Die Bedeutung der vier Ohren für das Coaching

Für das Coaching ist diese kommunikationspsychologische Theorie von Schulz von Thun in zwei Richtungen von Bedeutung:

Einmal bei der Reaktion, Hilfestellung und Lösungshinleitung für den Klienten und durch den Coach und zum anderen für den Coach selbst, zur Reflektion und bewussten Reaktion auf sein eigenes Verhalten im Kontakt mit dem Coachee.


als PDF weiterlesen