Verwendung von Bildkarten

im Coachingprozess

Abschlussarbeit von Michaela Dahlke, als PDF lesen


Einleitung

Zu Beginn meiner Ausbildung zum systemischen Coach wurde eine Übung durchgeführt, bei der wir unser aktuelles Befinden, in einem Bild wieder finden sollten.

Hierfür legte der Trainer Unmengen Karten zur Auswahl bereit. Es wurden verschiedenste Fotografien von Menschen, Situationen, Pflanzen u.v.m gezeigt.

Der Umgang mit dieser Aufgabenstellung in der Gruppe war recht unterschiedlich.

Einige Kursteilenehmer taten sich sehr schwer bei der Auswahl der betreffenden Karte und Einigen ging es ganz leicht von der Hand. Ich war überrascht:

Wieso fällt es Menschen so schwer ihr aktuelle Lebenssituation in einer Karte wieder zu finden?

Was passiert da im Gehirn oder eben auch nicht?

Meine Wahl viel, sehr spontan, auf eine grüne Ampel. So überrascht ich war, löste dieses Bild viele unterschiedliche positive Gefühle aus:

Jawoll, es geht los, der Startschuss zur Ausbildung ist gefallen

Verbunden mit einem starken positiven Gefühl des Aufbruchs, der Losgelöstheit, der Freude.

Vor meinem geistigen Auge erhob sich ein Bild:

ich stehe mit einem sportlichen Flitzer, an dieser Ampel…

endlich springt sie auf GRÜN und mit leicht durchdrehenden Reifen brause ich los;

unaufhaltbar, voller Tatendrang, voller Überzeugung.

Ich war ehrlich gesagt, ziemlich perplex über diese Bilder und Gefühle und dachte mir nur:

Wow, wie machtvoll sind diese einfachen Bilder eigentlich

und damit war mein Interesse für diesen Themenbereich geweckt und aufgrund dieser positiven Erfahrung wollte ich mehr wissen und dies gab den Ausschlag für diese Arbeit.

Bevor wir allerdings in die Arbeit mit Bildern einsteigen, benötigen wir Informationen, wie unser Hirn eigentlich funktioniert.

Das Gehirn und seine Bilder

Das Gehirn ist die Schaltzentrale des Körpers und hier werden alle bewussten und unbewussten Aktivitäten gesteuert.

Grob skizziert kann man das Gehirn in drei Bereich unterteilen, die sich im Verlauf der Evolution nacheinander entwickelt haben.

Alle Bereiche sind durch Millionen von Nervenbahnen und Synapsen miteinander verbunden und unterliegen einem kontinuierlichen Informationsaustausch.

Der älteste Bereich ist das Stammhirn und kommt auf ein beachtliches Alter von rund 500 000 000 Jahre.

Hier laufen alle Grundlegenden Lebensprozesse wie die Steuerung der Herzfrequenz, Atmung, Regulation des Blutdruckes ab. Zusätzlich sind hier alle tiefen Reflexe, wie Lidschluss, Schluck- und Hustenreflex angesiedelt.

Danach bildete sich das limbische System aus. Dies ist ein zentral gelegener Bereich innerhalb unseres Gehirns.

Es ist das Zentrum aller Emotionen, kontrolliert unsere Äußerungen von Wut, Angst und Freude und hat Einfluss auf das Sexualverhalten, auf vegetative Funktionen des Organismus und auf das Gedächtnis und die Merkfähigkeit.

Das Großhirn ist der relativ jüngste Teil des Gehirns. Es ist unterteilt in die linke und rechte Hemisphäre.

Die linke Hirnhälfte ist beim logischen Denken, bei der Sprache, beim lesen Rechnen und während der Konzentration aktiv. In der rechten Hirnhälfte laufen alle kreativen Prozesse, wie das bildhafte und fantasiereiche Denken ab.

Beide Hirnhälften sind über den sogenannten Balken miteinander verbunden, wodurch ein optimales Zusammenspiel beider Areale erfolgt.

Wenn wir beispielsweise ein Lied hören achtet die linke Hirnhälfte auf die Worte, während die rechte Hirnhälfte die Melodie verarbeitet. Außerdem ist das limbische System – der Bereich für unsere Gefühle – beteiligt.
Es braucht die komplexe Zusammenarbeit aller Gehirnteile um Gedanken, Gefühle und körperliches Erleben als zusammengehörig und ganzheitlich wahrnehmen zu können.

„In der Hirnforschung konnten neue Erkenntnisse über das subtile Zusammenspiel von Gehirn und Psyche gewonnen werden.“1

Dabei wurde besonders die große Bedeutung der Gefühle für alle Gehirn Prozesse erkannt.

und weiter:

Durch die Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens in der Beziehung zu anderen Menschen machen, entstehen Selbstbilder, Menschenbilder und Weltbilder. Dabei wird als Erfahrung nicht nur das gespeichert was wir erlebt haben, sondern auch das was wir gefühlt haben.1

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Arbeit von António Damásio verweisen, der mit seiner Hypothese der Somatischen Marker Berühmtheit erlangt hat.

Damásio ist ein portugiesischer Professor für Neurologie und Psychologie, der noch heute an der Universität Southern California unterrichtet und dort das Brain and Creativity Institute leitet.

Im Zentrum seiner Theorie steht die Hypothese der somatischen Marker. Im Stirnlappen des Gehirns seien drei Fähigkeiten lokalisiert:

zielorientiertes Denken

Entscheidungsfindung

und Körperwahrnehmung

Letztere, eine Art Momentaufnahme dessen, was im Körper vor sich geht, ist der Hintergrund aller geistigen Operationen.

Je nachdem, wie der Körper auf äußere Wahrnehmungen reagiert, das heißt, seinen Zustand verändert, verändert sich auch die Körperwahrnehmung.

Sie begleitet unsere Vorstellungsbilder, neue wie erinnerte, und markiert sie als angenehm oder unangenehm.

Diese Fähigkeit, Körperwahrnehmungen – Damasio nennt sie „somatische Marker“ – mit Wahrnehmungen zu verknüpfen, ist uns teils angeboren, teils entwickelt sie sich im Zuge der Sozialisation des Individuums.

Die somatischen Marker sind nach Damasio die Grundlage unserer Entscheidungen.

Sie helfen uns beim Denken, indem sie Vorentscheidungen treffen und uns, ohne dass es uns bewusst würde, in eine bestimmte Richtung drängen, vor Dingen warnen, mit denen wir schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben, oder die Aufmerksamkeit auf etwas Wichtiges lenken.

Auf diesem Weg beeinflussen sie eben auch das abstrakte Räsonieren, das wir als gefühlsneutral erleben. (Stangl, 2021).“2

Für die Erstellung seiner Hypothese, hat Damásio zahlreiche Patienten, die eine Schädigung im Bereich des Frontallappens hatten, beobachtet und konnte feststellen, dass die Patienten weiterhin über gleichbleibende Intelligenz, aber trotzdem erhebliche Änderungen im Verhalten zeigten.

Seine These der Untrennbarkeit zwischen Geist und Materie untermauert Damásio u. a. durch Fallbeispiele.

Der berühmteste Fall ist der des Phineas Gage:

„1848 wird Phineas Gage, damals 25-jähriger Vorarbeiter bei einer Eisenbahngesellschaft, Opfer eines schweren Unfalls.

Bei einer Sprengung im Rahmen der Verlegung von Schienen durch den US-Bundesstaat Vermont bohrt sich eine 6 kg schwere, 1,10 m lange und 3 cm dicke Eisenstange mit einer Spitze von 6 mm von unterhalb des linken Wangenknochens bis zu den vorderen Schädelknochen durch Gages Schädel und fliegt danach noch 30 m weiter.

Es entsteht eine ca. 4–5 cm große, kraterförmige Wunde.

Trotz des offensichtlich schweren Unfalls ist Gage während der gesamten Zeit bei Bewusstsein und ist als Überlebender in der Lage, über den vollständigen Hergang des Unfalls zu berichten.

Seine Verletzung heilt innerhalb von zwei Monaten, nur der Verlust des linken Auges ist körperlich irreversibel.

Die Ärzte stellen keine Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Gedächtnisleistung, Intelligenz, Sprachfähigkeit oder Motorik fest.

Trotzdem kommt es in der Zeit nach dem Unfall zu auffälligen Persönlichkeitsveränderungen bei Gage:

War er zuvor verantwortungsbewusst, besonnen, ausgeglichen und freundlich, erscheint er seiner Umgebung nun zunehmend ungeduldig, launisch, wankelmütig und respektlos.

Darüber hinaus kommt es zu einer Störung seiner Entscheidungsfähigkeit:

Er trifft Entscheidungen, die seinen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen, er kann seine Zukunft nicht mehr vernünftig planen und erleidet als Folge einen beruflichen und sozialen Abstieg.“3

Jasmin Messerschmidt verweist in Ihrem Buch: Professionell coachen mit Bildmaterialien darauf, dass die somatischen Marker im Coaching genutzt werden können.


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1 Linda Briendl: Bilder als Sprache der Seele, 2008
2 https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnSomatischeMarker.shtml
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Ant%C3%B3nio_Dam%C3%A1sio