Sicherheit als grundlegende Voraussetzung

für einen erfolgreichen Coachingprozess

Eine Betrachtung auf dem Hintergrund der Polyvagal-Theorie

Abschlussarbeit von Wiebke Nowak, als PDf lesen


Was ist Coaching?

Coaching ist immer ein interaktiver Prozess zwischen Coach und Klient.

Es gilt der Grundsatz:

der Klient ist der Experte für seine individuelle Lösung

und die Prozessbegleitung erfolgt durch den Coach.

Gutes Coaching macht immer auch einen Unterschied im Erleben des Klienten. Dieses wird er reicht durch einen Perspektivwechsel, der in der Regel mit dem Verlassen der eigenen Komfortzone einhergeht.

Systemisches Coaching verändert zugleich die Komfortzone der Beteiligten des individuellen Systems, in dem der Klient sich befindet und dadurch, dass der Klient seine individuelle Lösung in seinem System umsetzt.

Wir befinden uns als soziale Wesen stets im Kontext eines Systems: Beruf, Familie, Freundeskreis, Paarbeziehung und vieles mehr.

Es liegt also nahe, im Coaching das jeweilige System immer mit einzubeziehen.

Ziel des systemischen Coachings ist das Offenlegen von Strukturen und unterschwelliger Dynamik innerhalb des Systems in Zusammenhang mit dem dazugehörigen Problem

Was macht Coaching?

Gutes Coaching macht einen Unterschied im Erleben.

Dieses findet ausschließlich in der Weltsicht des Klienten statt. Dieser konstruktivistische Ansatz ist die Grundlage, auf der neue Sichtweisen für den Klienten erarbeitet werden, denn jeder Mensch konstruiert sich seine eigene individuelle Wirklichkeit.

Dabei wird vorzugsweise lösungsfokussiert gearbeitet. Die Lösung steht im Mittelpunkt, nicht das Problem.

Es wird „auf etwas hin“ gearbeitet, nicht „von etwas weg“.

Man kann soweit gehen zu sagen: Das Wissen um das Problem als solches wird für die Lösungsfindung meist gar nicht benötigt.

Bei dieser Arbeit schöpft der Klient mit der wohlwollenden und wertschätzenden Begleitung des Coaches aus seinen eigenen Ressourcen, die es oft genug erst zu entdecken oder wiederzufinden gilt.

Der Mensch hat in seinem unbewussten Erlebnisrepertoire viel mehr Kompetenzen, als ihm bewusst ist. Man muss seinen Klienten daher achtungsvoll als kompetenten Experten ansehen und ihn so behandeln.
(Gunther Schmidt)

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis

Doch wie hat sich der Mensch seine Kompetenzen erarbeitet?

Laut dem Neurowissenschaftler Antonio Damasio werden alle Erfahrungen die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht, in seinem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert.

Jede Erfahrung wird bewertet: positiv oder negativ – wieder machen oder zukünftig vermeiden. Sich annähern oder sich entfernen.

Damasio hat den Begriff der „somatischen Marker“ (SM) geprägt und beschreibt damit den untrennbaren Zusammenhang zwischen Entscheidungsprozessen und Gefühlen.

SM markieren körperlich die bereits erworbenen und mit positiven oder negativen Emotionen behafteten Erfahrungen, die in Entscheidungsprozessen abgerufen werden.

Man kann dieses innere Bewertungssystem auch schlicht Bauchgefühl nennen. Dem Klienten wird mulmig, es zieht sich der Magen zusammen, die Kehle schnürt sich zu… und so weiter.

Evolutionärer Vorteil

Das Bauchgefühl hilft uns, Abwägungen auf der Basis schon vorhandener Erfahrungen zu treffen. Dieser Prozess läuft ohne Beteiligung unseres Bewusstseins ab und damit viel schneller, als mit einer bewusst gesteuerten gedanklichen Analyse.

Im Laufe der Evolution führte die Entwicklung des Menschen zu einem Nervensystem, das „instinktiv“ Informationen verarbeitet und damit durch schnelle Reaktionen und Handlungen einen Überlebensvorteil bietet, wenn es um Sicherheit geht.

Durch Spiegelneuronen sind wir im zwischenmenschlichen Kontext in der Lege, mitfühlend und empathisch auf unser Gegenüber zu reagieren und ebensolche Gefühle zu empfangen. Spiegelneuronmachen uns zu sozialen Wesen, die einander das Gefühl von Sicherheit vermitteln können.

Mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, das es ermöglicht, bestimmte biologische Funktionen zu erfüllen, sind der Ausdruck sozialen Verhaltens und die Emotionsregelung eng verbunden
(Stephen Porges)

Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit

lautet der Titel des Buches von Stephen Porges und es gilt als

(…) eines der tiefgründigsten und erhellensten Beiträge zu unserem Verständnis des Nervensystems der letzten 50 Jahre
(Norman Doidge).

Stephen Porges ist Professor der Psychiatrie an der University of North Carolina und hat die Sichtweise auf unser Nervensystem mit der Polyvagal-Theorie grundlegend neu aufgestellt.

Er unterteilt den Parasympathikus -anders als bisher in Anatomiebüchern dargestellt. In einen dorsalen Vagus (Abschalten, Immobilisieren) und einen ventralen Vagus (Kontakt, Kommunikation).

und weiter:

„Beide haben seiner Erkenntnis nach unterschiedliche Funktionen, die sich in menschlichen Beziehungen widerspiegeln und eine große Rolle für das Gefühl der Verbundenheit und für gute soziale Kontakte spielen. Sie sind die Grundvoraussetzung für menschliches Gedeihen und Wohlbefinden.“ (auditorium-netzwerk.de)

Im Sinne der Polyvagal-Theorie untersucht unser Autonomes Nervensystem (ANS) laufend unsere Umgebung auf Hinweise zu Sicherheit, Gefährdung oder Lebensbedrohung.

Diese Hinweise holt sich das ANS sowohl aus der Umgebung wie aus den Signalen die durch die inneren Organe an das ANS übermittelt werden.

Stephen Porges hat für diese Vorgänge den Begriff der Neurozeption geprägt.

Die poyvagalen Komponenten

Die nicht myelinisierten Vaguspfade

(dorsales vagales System)

Sie steuern das Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen und sind für die primäre Regulation der Organe unterhalb des Zwerchfells ( u.a. Magen, Teile des Darms, Leber, Nieren) zuständig.

Während einer sicheren Situation unterstützen sie die Homöostase. Bei Lebensgefahr unterstützen sie die Immobilisierung und den Erhalt metabolischer Ressourcen.

Dieses (Defensiv-)System stammt aus er Zeit der frühen Reptilien und ist essenziell für die Lebenserhaltung unseres Organismus.

Es steuert den Totstellreflex bei akut drohender Lebensgefahr.

Das sympathische Nervensystem

Es entstand zur Zeit, als sich die nicht myelinisierten Vaguspfade entwickelt hatten zur – Zeit der Knochenfische- und kann auf diese älteren Pfade einwirken.

Es steuert die Funktionen die Angriff oder Flucht ermöglichen und stellt durch Ausschüttung von Stresshormonen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung um schnell entsprechend zu reagieren:

Es erhöht die Atemfrequenz sowie den Blutdruck, fährt kurzfristig das Immunsystem herunter und stellt die Verdauungstätigkeit ein um Energie für „fight oder flight“ zur Verfügung stellen zu können.

Die myelinisierten Vaguspfade

(ventrales vagales System)

Sie steuern die Regulation des Organismus in Stresssituationen und erhöhen die Aktivität derjenigen Organe und Bereiche, die wir für soziale Aktivitäten benötigen Wenn wir in Beziehung zu anderen Menschen treten (das Gesicht, Mund, Kehlkopf, Rachen, Mittelohr und das Herz).

Die Polyvagal-Theorie benennt diese Funktion als Soziales-Engagement-System.

Durch die Myelinisierung -eine Fettschicht um die Nervenfasern- können Informationen um bis zu 100fach schneller weitergeleitet werden.

Hier zeigt sich, wie schnell unser Unterbewusstes Einschätzungen vornehmen kann, noch bevor wir bewusst wahrnehmen. Dieses System wird aktiviert, ohne die Notwendigkeit der Aktivierung des sympathischen Nervensystems.


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