Purpose als Orientierungsmerkmal

im Leben des Klienten

Abschlussarbeit von Dr. Maja Rohlfing, als PDF lesen


Aristoteles called in the whatness.
Nietzsche called it the why.
Disney called it magic.
Kennedy called it the moon.
Since the dawn of human thought,
purpose has guided us,
inspired us,
and given us reason to believe in something greater.1

Warum Purpose das Leben erleichtern kann

Das Zitat zeigt deutlich: schon in der Antike und über alle Jahrhunderte hinweg stellte man sich die Frage nach dem Sinn.

Gerade in den Zeiten, in den sich das Umfeld sehr stark verändert – Stichwort: VUCA-Welt2 – suchen die Menschen nach einem stabilisierenden Element.

Ziel ist es, das eigene Handeln am eigenen Purpose auszurichten, um langfristig zufrieden zu sein.

Doch wie wird man sich des eigenen Purpose bewusst?

Besonders reflektierten Menschen mag es vielleicht gelingen, diese Erkenntnis in Eigenarbeit herauszukristallisieren. Für viele Menschen ist es jedoch hilfreich, sich in diesem Prozess unterstützen zu lassen.

Der Coach übernimmt, entsprechend des systemischen Ansatzes, die Rolle des Prozessgestalters und eröffnet dem Klienten Zugang zum bereits vorhandenen Wissen.3

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Fragen, welche Relevanz die Kenntnis des Sinns für den Menschen hat und welche Ansatzpunkte es für Purposearbeit im Coaching gibt.

Darüber hinaus werden ausgewählte praktische Methoden aufgezeigt, die der Coach dem Klienten zur Ausarbeitung des eigenen Sinns anbieten kann.

Sinn & Purpose

Definition

Bei der Frage nach dem Sinn4 hinter den Dingen, beantwortet sich der Menschen die Fragen nach dem Wozu, Weshalb und Warum und stellt damit grundlegende existentielle Fragen.

Die Suche nach dem Sinn begann schon in der Antike.  Dort setzte man den Sinn mit der Erlangung von Glückseligkeit gleich.5

Im Laufe der Jahrhunderte wurden dem Begriff des Sinns eine Vielzahl von Facetten zugeschrieben – sowohl als philosophischer als auch bspw. aus religiöser Perspektive.

Der Systemtheoretiker Luhmann bezeichnet Sinn als:

…die Ordnungsform menschlichen Erlebens, mit dem zwischen Möglichem und Nicht-Möglichem unterschieden wird.6

Menschen und sozialen Systemen steht ein:

Überschuss von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handels7

gegenüber. Sinn erfüllt damit die Funktion einer Komplexitätsreduktion und erlaubt es, zwischen Möglichkeiten auszuwählen.8

Sinn zeigt damit zum einen eine sachlich-inhaltliche Dimension, die Orientierung gibt und einen Bezugspunkt für die Ausrichtung in grundlegenden Fragen liefert.9 Zum anderen verfügt Sinn auch über eine emotionale Dimension: wird etwas als sinnvoll erlebt, spendet es dem Menschen Energie und motiviert.

Ohne das Gefühl von Sinn fehlt […] nicht nur der Grund, etwas zu tun, zu glauben oder zu verändern, es fehlt auch ein wesentlicher Beitrag zu Wohlbefinden und einem gelingenden Leben.10

Die Begriffe Sinn und Purpose, teilweise auch Zweck, werden in der Literatur weitgehend synonym verwendet.11

Ein vom Amerikaner Simon Sinek vorgestelltes Modell, der Golden Circle, zeigt vereinfacht die Relevanz des Sinns im eigenen Leben auf.12

Am Beispiel von Steve Jobs und Martin Luther King Jr. macht Sinek deutlich, warum sie im Vergleich zu anderen ebenfalls hart arbeitenden Menschen so erfolgreich und inspirierend waren.13

Jeder geistig gesunde Mensch weiß, was (WHAT?) er tut: Aufstehen, Frühstücken, zur Arbeit gehen etc.

Darüber hinaus liegt auch das Wissen für das „Wie“ (HOW?) vor:

the things that we think make us different or stand out from the crowd.14

Nur wenige Menschen können jedoch sagen, “Wozu” (WHY?)15 sie das tun, was sie tun.16

Wozu stehen sie morgens auf und bleiben nicht im Bett liegen?

Gerade dieses WHY ist das, was starke Persönlichkeiten auszeichnet. Aus dem Wissen, warum sie etwas tun, generieren sie Energie und es motiviert sie zu Höchstleistungen.

Relevanz des Purpose

Den eignen Sinn zu (er-) kennen, und das eigene Handeln daran auszurichten, gibt, wie zuvor erläutert, Orientierung.

Dieser individuelle, persönliche Sinn wirkt sich dabei auf alle Gebiete des Lebens aus – Privates und Berufliches sind davon betroffen.

Je nach Lebensphase, kann der individuelle Sinn variieren bzw. sich wandeln.17

Die konkrete Frage nach „Was ist Ihr Sinn?“ überfordert jedoch Viele. Menschen können zwar eine Form der Unzufriedenheit artikulieren, aber zumeist fehlt eine konkrete Ursache.

Im Gespräch können Sätze fallen wie „An sich müsste ich zufrieden sein – ich verdiene doch gutes Geld“ im beruflichen Kontext oder aus dem privaten Kontext: „Ich habe doch alles, was man sich wünschen kann, und dennoch bin ich unglücklich“.18

„Lieben Sie das, was Sie tun?“

ist an sich eine recht einfache Frage für den beruflichen Kontext, insbesondere, da sie als geschlossene Frage nur genau zwei Antworten zulässt: Ja oder Nein.

Einige Menschen werden daraufhin strahlend antworten: „Ja, ich liebe, was ich tue!“ Diese Menschen scheinen im Einklang mit dem Sinn ihres Lebens zu stehen. Möglicherweise können sie diesen nicht konkret verbalisieren, aber es ist ihnen gelungen, intuitiv ihr Leben danach auszurichten.

Andere wiederum werden durch die Frage stark aus dem Konzept gebracht.

„Arbeitet nicht jeder primär, um Geld zu verdienen und damit die Rechnungen zu bezahlen?“

ist eine der möglichen Rückfragen.19 Der Argumentation Sineks folgend, ist Geld ein Resultat. In einer Gesellschaft mit starkem sozialem System wäre es möglich, auch ohne das Verdienen des eigenen Geldes zu überleben.

Welche Motivation steckt also hinter dem Argument des Geldverdienens?

Jeder Mensch verfolgt dabei eigene Ziele und diese Ziele werden durch das WHY, den Sinn dahinter bestimmt.

Aus den vorherigen Definitionen des Sinnbegriffs wird vor allem durch die emotionale Dimension des Sinns die Funktion als Energielieferant und intrinsischer Motivator deutlich.20

Das Fehlen eines Sinngefühls sorgt im Umkehrschluss für Orientierungslosigkeit, fehlendes Wohlbefinden und mangelnden Antrieb. Basierend auf den Erkenntnissen der Positiven Psychologie ist der Sinn einer der fünf wichtigsten Hebel für das menschliche Wohlbefinden.21

 Die Sinnsuche kann dabei immer wiederkehrend sein und ist möglicherweise nie ganz abgeschlossen.22

Einsatz Purposearbeit im Coaching

Ansatzpunkte Purposearbeit

Kommen Klienten mit einem diffusen Gefühl der Unzufriedenheit ins Coaching, stehen eine Reihe von Tools zur Verfügung, um im ersten Schritt eine Standortbestimmung durchzuführen.

So eignen sich sowohl die 5 Säulen nach Petzold als auch das sog. Lebensrad hierfür und verdeutlichen, in welchen Bereichen des Lebens Unzufriedenheiten beim Klienten vorzufinden sind.

Zeigt sich im Rahmen der Standortbestimmung, dass am Beispiel der 5 Säulen nach Petzold nur schwache Erfüllungsgrade mehrerer Säulen bzw. beim Lebensrad ein geringer Bewertungsgrad in einer Vielzahl der Dimensionen vorliegen, kann das ein Ansatzpunkt für Purposearbeit sein.

Die Logik der Schlussfolgerung des nicht klaren Sinns ist an dieser Stelle folgendermaßen:

Zeigen sich beim Klienten auf mehreren Ebenen Unzufriedenheiten, so liegt die Vermutung nahe, dass es sich um ein grundsätzliches Thema handelt und die Unzufriedenheiten nicht jeweils separat in den einzelnen Komponenten zu suchen sind.23

Um diese Hypothese abzusichern, bieten sich verschiedene exemplarische Fragen an, die alle darauf abzielen herauszufinden, ob sich der Klient seines Lebenszwecks und damit dem Ausdruck der Sehnsüchte seiner Seele bewusst ist:24

▪ Was ist Ihr Sinn? Was ist Ihr Purpose? Was ist Ihr WHY?
(Gefahr, den Klienten mit der Wucht der Frage zu überfordern)

▪ Wenn Sie ganz tief in sich hineinhorchen, können Sie beschreiben, was Sie motiviert?

▪ Was lässt Sie morgens voller Energie aus dem Bett aufstehen und motiviert Sie für die Aufgaben des Tages?

Lassen die Antworten beim Klienten einen diffusen Eindruck zurück oder aber fällt dem Klienten das Antworten sehr schwer, so besteht die Option, dem Klienten anzubieten, den eigenen Sinn, den Purpose oder aber das WHY herauszuarbeiten.

Welche Bezeichnung hierbei konkret gewählt wird, sollte vom bisherigen Sprachgebrauch des Klienten abhängig gemacht werden.

Sofern der Klient das Angebot annehmen möchte, sollte zunächst Klarheit über die Relevanz hergestellt werden.

Als einfache Visualisierung kann hierbei auf das Golden Circle Modell von Sinek und den Effekt des WHY/ Sinn / Purpose zurückgegriffen werden.25

Im Folgenden kann, in Abhängigkeit von der Auswahl des Klienten, mit Hilfe unterschiedlicher Ansätze vorgegangen werden. Diese Ansätze werden sich über mindestens 3 Sessions ggf. mehr ziehen und benötigen jeweils Zeit zwischen den Sessions zum Sacken lassen bzw. ggf. um weitere Informationen ergänzen.


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Anmerkung
Zur Vereinfachung des Leseflusses, wird in der vorliegenden Ausarbeitung ausschließlich das generische Maskulinum verwendet. Dies schließt explizit alle weiblichen Personen sowie Personen anderen Geschlechts mit ein.

Quellen bis hierher

1 Reimann, 2013, S. 5.
2 Auch, wenn der Begriff VUCA stark mit dem unternehmerischen Kontext verbunden ist, so sind dennoch die einzelnen Elemente des Akronyms auch auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext übertragbar.
3 Vgl. Radatz, 2018, S. 85.
4 Im Folgenden wird vor allem die philosophische Sicht von Sinn betrachtet. Die soziologische Bedeutung bzw. die eigenen Sinneswahrnehmungen ebenso wie die Betrachtung des Sinns als Wortsinn = Bedeutung des Wortes werden an dieser Stelle weitestgehend vernachlässigt.
5 Vgl. Schmid, 1998.
6 Fink / Moeller, 2018, S. 27.
7 Luhmann, 1984, S. 93.
8 Fink / Moeller, 2018, S. 27.
9 Vgl. ebenda, S. 26.
10 Ebenda, S. 26.
11 In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Sinn, Purpose und WHY ebenfalls synonym verwendet.
12 Ursprünglich bezieht sich das Modell ausschließlich auf Organisationen. Sinek hat diesen Gedanken jedoch für eine Anwendung für das einzelne Individuum weiterentwickelt (vgl. Sinek et al, 2017).
13 Vgl. Sinek et al., 2017, S. 12ff.
14 Ebenda, S. 12f.
15 An dieser Stelle wird das WHY bewusst nicht mit einem Warum übersetzt, um nicht einen Rechtfertigungscharakter hervorzurufen; der im Deutschen passende Begriff ist an dieser Stelle ein Wozu als Verbalisierung eines Möglichkeitsraums.
16 Vgl. ebenda, S. 12ff.
17 Vgl. Lumann, 1984, S. 94.
18 Die hier aufgeführten Sätze sind der Autorin im Rahmen ihrer bisherigen beruflichen Praxis sowie in der Selbsterfahrung begegnet. Im Folgenden werden ähnliche Aussagen nicht mehr gesondert gekennzeichnet, sondern stammen ebenfalls aus diesen Quellen.
19 Vgl. hier und im Folgenden Sinek et al., 2017, S. 13.
20 Vgl. Pink, 2011.
21 Vgl. Seligman, 2014, S. 35 f.
22 Vgl. Hesselbarth, 2020
23 Wichtig an dieser Stelle ist jedoch auch noch einmal kritisch zu prüfen, in wie weit das Thema Unzufriedenheit grundsätzlich reicht, um ggf. den Hinweis auf eine möglicherweise besser angebrachte Konsultation eines Psychologen / Psychotherapeuten anzustoßen.
24 Vgl. Hesselbarth, 2020.
25 Vgl. Kapitel 2.1.

Abbildungen

1: Golden Circle, Quelle: Sinek, 2014, S. 39.