Problemlösungsgymnastik

nach Dr. Gunther Schmidt

Vom Turnen aus dem Problemerleben in die Lösung

Abschlussarbeit von Meike Olbrecht, als PDF lesen


Einleitung

So wie man geht, geht es einem…

(Schmidt, 2004, S.75)

Jeder kennt Situationen, in der er oder sie immer wieder gleich reagiert, obwohl der Vorsatz so groß war, diesmal entspannter, offener, geduldiger oder gelassener zu sein.

Die ungewünschte Reaktion scheint sich unwillkürlich und automatisch einzustellen.

Gefühle der Hilflosig- und Ratlosigkeit, manchmal auch Wut oder Angst machen sich breit.

Am Ende steht die Frage:

Wie schaffe ich es, mich in dieser Situation so zu verhalten, wie ich es mir eigentlich wünsche?

Genau an dieser Frage setzt die „Problem-Lösungs-Gymnastik“ oder das „Problem-Lösungs-Tai-Chi“ von Gunther Schmidt (2004) an.

Diese verfolgt das Ziel, dass der/die Betroffene seine/ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnt, so dass an die Stelle von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein ein Erleben von Wahlmöglichkeiten treten kann (vgl. Schmidt 2021, S. 89).

Bei der Methode der „Problem-Lösungs-Gymnastik“ nach Schmidt (2004) kommt der Körperkoordination bei der Veränderung von Erlebnismustern eine wichtige Bedeutung zu:

Die Körperkoordination wirkt offenbar als starker Attraktor im Erlebnismuster, sie zieht sozusagen die anderen unwillkürlichen Musterelemente nach sich.

und weiter:

»Man kann ohne Abstriche sagen: ‚So wie man geht, geht es einem…‘ Obwohl es sich zunächst nur um ein So-tun-als-ob handelt: Wenn man während eines Symptomerlebens die als zieldienlich erlebte Körperkoordination einnimmt, bewirkt sie nach relativ kurzer Zeit meist schon eine tatsächlich sehr zieldienliche Umschaltung.« (Schmidt, 2004, S. 75)

Im Folgenden wird diese Methode vorgestellt, indem zunächst auf einige der Grundannahmen und Einsatzgebiete eingegangen und im Weiteren der Ablauf innerhalb eines Coaching anhand eines Beispiels dargestellt wird.

Theoretische Grundlagen und Einsatzgebiet

Die Intervention der Problem-Lösungs-Gymnasitk geht auf Gunther Schmidt (* 1945) zurück. Schmidt ist ein deutscher Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Er verbindet die Ansätze der Systemischen Therapie und der Hypnotherapie nach Milton Erickson1 zu einem ganzheitlichen Konzept und gilt somit als Begründer der Hypnosystemik.

Im Fokus seiner Ansätze steht die Orientierung auf Kompetenzen, Ressourcen und Lösungen

(vgl. Schmidt 2018)

Der Begriff „hypnosystemisch“ charakterisiert bei Schmidt (2021) ein Modell, „das versucht, systematische Ansätze der Psychotherapie und Beratung (Coaching, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung) mit den Modellen der kompetenzaktivierenden Erickson’schen Hypno- und Psychotherapie zu einen konsistenten Integrationskonzept auszubauen“ (Schmidt 2021, S.7).

Schmidt geht davon aus, dass individuelle Probleme als Zeichen einer selbsthypnotisch induzierten Problemtrance verstanden werden können, welche auf die Art und Weise erzeugt werden, wie Menschen ihre Wahrnehmung organisieren.

Als Problem beschreibt er dabei die von der betroffenen Person wahrgenommene Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand.

Unter dem Begriff der Problemtrance wiederum versteht er die Aufmerksamkeitsfokussierung auf das Problem, aus welcher heraus es nur schwer möglich ist, an Lösungen zu denken.

Im Vordergrund der Arbeit von Schmidt steht deshalb nicht die Arbeit am Problem, sondern die Aktivierung der vorhandenen Kompetenzen durch systematische Fokussierung der Aufmerksamkeit auf genau diese Kompetenzen (vgl. Schmidt 2021).

Die in dieser Arbeit vorgestellte Problem-Lösungs-Gymnastik hat Schmidt 1980 als Erweiterung von Ideomotorik-Interventionen2 entwickelt (vgl. Schmidt, 2021, S.96), ursprünglich gedacht für die Arbeit mit schwerwiegenden Trauma-Folgen (z.B. Umgang mit Flashbacks).

Schmidt berichtet davon, dass die Problem-Lösungs-Gymnastik in Krisen generell hilfreich wirke und als Intervention nutzbar sei, da Prozesse unwillkürlichen „Feuerns“ von Stress-Mustern aus früher gelernten Situationen überall auftreten können (vgl. Schmidt, 2021. S.89).

Die Problem-Lösungs-Gymnastik ist sowohl im Einzelcoaching als auch in der Selbst-Anwendung einsetzbar.

Schmidt weist darauf hin, dass sie auch in einer angepassten Form als Gruppenintervention nutzbar sei (vgl. Schmidt, 2021, S.90).

Zentrale Elemente der Problem-Lösungs-Gymnastik

Die Körper-Koordination ist ein Erlebnismuster, das der Mensch selbstwirksam willentlich gestalten kann, wodurch neue Energien in seinem Körper freigesetzt werden.

Sie bietet damit die ideale Chance, „sonst ja sehr schwer zu beeinflussende unwillkürliche Problemmuster zu unterbrechen und so zu beeinflussen, dass sie in Lösungsmuster überführt werden können“ (Schmidt, 2021, S. 96f.).

Ziel der Problem-Lösungs-Gymnastik ist es, dem/der Klient*in zu ermöglichen, gezielt und schnell, das Problemmuster zu bemerken und zu beeinflussen.

Sowie im Weiteren ein neues Transfermuster als Hilfe aufzubauen, um die bisherige Dissoziation zwischen Problemmuster und hilfreichen Lösungskompetenzen aufzulösen (vgl. Schmidt, 2004, S. 75; Lippmann, 2013, S. 447).

In diesem Kapitel werden einige zentrale Elemente, auf denen die Problem-Lösungs-Gymnastik beruht, dargestellt.

Pacing und Reframing

Klient*innen einer Coachingsitzung haben sich meist bereits über einen langen Zeitraum mit ihren als mühsam und vielleicht sogar leidvoll erlebten Realitätsmustern identifiziert.

Deshalb besteht ein wichtiger Schritt als Coach*in darin, ihn/sie in ihrer/ seiner Realität abzuholen.

Diese achtungsvolle Begegnung ist eine wichtige Voraussetzung, damit sich der/die Klient*in auf ein Coaching einlassen kann (vgl. Schmidt, 2005, S.85). Diese Haltung wird auch als Pacing bezeichnet, was wörtlich „Schritt halten; den Schritt des anderen übernehmen“ bedeutet.

In Bezug auf ein Coaching-Gespräch ist damit gemeint, dass der/die Coach*in seine/ihre Verhaltensweisen bewusst an die Verhaltensweisen des/der Klient*in angleicht.

Dies findet während der gesamten Sitzung sowohl auf verbaler als auch auf non-verbaler Ebene statt.

Zum Beispiel kann dies auf sprachlicher Ebene erzeugt werden, indem der/die Coach*in emphatisch wörtlich wiederholt, was der/der Klient*in sagt.

Auf nonverbaler Ebene kann es bedeuten, dass der/die Coach*in eine ähnliche Körperhaltung, Gestik und/oder Atemfrequenz einnimmt.

Auch eine Angleichung der Stimmlage, Lautstärke und/oder Sprechgeschwindigkeit kann zu einem Pacing beitragen.

Neben dem Pacing stellt das Reframing eine weitere grundlegende Methode in jedem Coaching dar und ist dementsprechend auch bei der Problem-Lösungs-Gymnastik zentral.

Reframing bedeutet, etwas umdeuten oder in einen anderen Rahmen stellen.

Durch diesen Perspektivwechsel soll dem/der Klient*in ein Wechsel im Erleben ermöglicht werden. Es soll also ein neuer Rahmen konstruiert werden, in dem ein Bild ganz anders wirken kann.

So können zum Beispiel symptomatische Reaktionen als kompetente Rückmeldungen des klugen Organismus – im Sinne des Reframings – gewertet werden (vgl. Schmidt, 2021, S.94).

Seitenmodell

Als Grundprinzip aller Maßnahmen beschreibt Schmidt (2021) das Prinzip der Unterschiedsbildung, verstanden als Prozess, wirksame Unterschiede in bisherige Muster einzuführen, „wirksam für eine intensive Umfokkusierung und für die Aktivierung anderer Muster“ (Schmidt, 2021, S.70).

Zunächst wird die/der Klient*in deshalb gefragt, wie er oder sie es wahrnimmt, wenn er/sie das gewünschte Ergebnis nicht erreicht.

Es geht dabei darum, etwas über den inneren Dialog bzw. innere Kämpfe zu erfahren, sowie darüber, auf welche Weise die/der Klient*in sich selbst in dieser Situation bewertet (vgl. Schmidt, 2021, S.90).

Bei Problembeschreibungen treten dann häufig Äußerungen auf, wie „ich bin so verzweifelt/wütend/ängstlich/schüchtern“.

Bei diesen Beschreibungen identifiziert sich der/die Klient*in vollständig mit dem Problem.

Schmidt (vgl. 2004, S.195) schlägt an dieser Stelle eine Dissoziationstechnik vor, indem er dem/der Klient*in mit dem Bild der verschiedenen Seiten vertraut macht (Seitenmodell).

Dies ermöglicht es dem/der Klient*in, nicht seine/ihre ganze Person als immer von dem Problem betroffen wahrzunehmen, sondern eine Seite der Person als vorübergehend mit dem Problem verbunden zu betrachten.

Jeder Mensch besitzt diesem Modell nach eine Vielzahl an unterschiedlichen Seiten bzw. Persönlichkeitsanteilen.

Je nach Kontext und damit verbundenen Werten und Zielen zeigen sich unterschiedliche „Teil-Persönlichkeiten“. Das heißt, jeder Mensch verfügt über verschiedene Anteile mit unterschiedlichen Bedürfnissen.

Der/die Coach*in sollte den/die Klient*in dazu einladen, eine sichere Beobachterperspektive aufzubauen, aus der heraus er oder sie geschützt, sicher, mit Kraft ihre/seine verschiedenen Seiten betrachten und damit arbeiten kann.

Somit können die verschiedenen „Teilpersönlichkeiten“ im Ergebnis zu einem flexiblen und kraftvollen Team zusammengeführt werden.

Die Steuer-Position, in der Sicherheit und Orientierung erlebt wird, kann in einem „Bild“ verankert werden (vgl. Schmidt, 2021, S.95).


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Fußnoten

1 Die Erickson’sche Hypnotherapie basiert auf verschiedenen therapeutischen Strategien zur Lenkung und Steuerung bzw. der Fokussierung von Aufmerksamkeit. Gunther Schmidt war ein Schüler von Milton Erickson.
2 Die ideomotorische Technik beschreibt eine Art der Kommunikation mit dem Unbewussten, um Zugang zu Ressourcen und Lebenserfahrungen zu gewinnen.