Neuroplastizität

Der Einfluss von Gedanken auf das Gehirn

Abschlussarbeit von Jochen Benz, als PDF lesen


Vorwort

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema Neuroplastizität in dem Kontext durch uns selbst beeinflussbarer Lebensstile und Denkweisen.

Der Begriff selbst ist offenkundig weiter und fasst zum Beispiel auch Änderungen in der Entwicklung vom Kind zum Greis. Hier soll aber ausschließlich auf die Phänomene eingegangen werden, die durch Änderungen im Alltag bewirkt werden. Außerdem soll hier nur auf Methoden eingegangen werden, die zu einer Verbesserung des subjektiven Wohlempfindens führen.

Die Änderungen von Lebensstilen ist dabei nicht einfach. Teilweise werden Vergleiche verwendet, es sei, wie den Lauf eines Flusses zu ändern. Einfacher, als einen Berg zu versetzen, aber dennoch nicht einfach. Ähnlich zu einem dauerhaften Gewichtsverlust oder einer Verbesserung der eigenen Kondition, bedürfen auch die Lebensstile der Dauerhaftigkeit und der Disziplin.

Es sind einfach gesagt Änderungen auf der Ebene der Haltung und keine temporären Verhaltensänderungen.

Die Entdeckung der Plastizität

Ein paar bemerkenswerte Fakten

Das menschliche Gehirn gilt zu Recht als das komplexeste Gebilde, welches auf Erden existiert. Es wiegt bei einem durchschnittlichen Erwachsenen rund 1,4 Kilogramm 1 und besteht aus 86 bis 100 Milliarden Neuronen und rund einer Billiarde (1.000 Billionen oder eine Million Milliarden, also eine sehr große Zahl) Synapsen 2, welche die Verbindungen zwischen den Neuronen darstellen.

Die Anzahl der möglichen Kombinationsmöglichkeiten zwischen 100 Milliarden Neuronen ist eine unvorstellbare Zahl, sie liegt bei einer 1 gefolgt von einer Million Nullen 3.

Neuronen senden zwischen 5 und 50 Signale jede Sekunde. Es ist also nicht erstaunlich, dass das Gehirn für rund 20% des Kalorienverbrauchs verantwortlich ist, jedoch nur rund 2% des Gesamtgewichtes ausmacht4 .

Aus evolutionärer Sicht ist ein solcher „Spritfresser“ nicht notwendigerweise ein Vorteil. Im Grundsatz wird argumentiert, dass

die Komplexität ein Zusammenleben in sozialen Gruppen ermöglicht hat, was wiederum Vorteile bei der Aufzucht der Nachkommen und der Jagd mit sich brachte.5

Ergänzend wird angeführt, dass die Beherrschung des Feuers Nahrung weit einfacher verdaubar gemacht hat 6.
Im Folgenden wird noch klarer, dass diese Komplexität letztlich ein hochredundantes System anlegt, wodurch Ausfälle in manchen Regionen durch andere Teile des Gehirns übernommen bzw. kompensiert werden können.

Die traditionelle Sicht auf das Gehirn

Vor noch fünfzig Jahren war das Mantra der Gehirnforschung, dass das erwachsene Gehirn fix und grundsätzlich in seiner Kernstruktur nicht mehr änderbar ist7.

Dies hatte nicht nur weitreichenden Einfluss auf die Wissenschaft, sondern auch auf das damit verbundene Menschenbild, sehr schön zusammen gefasst in dem Sprichwort

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

oder auch in der englischen Entsprechung

You can’t teach an old dog new tricks

Dies wird teilweise dem Umstand zugerechnet, dass die Einblicke in das menschliche Gehirn auf Operationen, Sektionen und rudimentäre Messmethoden beschränkt waren. Echte Einblicke gab es lange nur bei Tieren, hier war allerdings die Übertragbarkeit auf die menschliche Situation fraglich.8

Damit war auch ein Bild verbunden, dass es eine Art Landkarte gibt, die eine Zuordnung der Funktionen des Gehirns zu bestimmten Arealen erlaubt, also beispielsweise ein Areal für Sprache, Bewegungen, etc. Obwohl dies im Grundsatz nach wie vor richtig ist 9 , hat sich doch die Sicht auf die Änderbarkeit dieser „Standardbelegung“ fundamental verändert.

Es gibt eine Reihe von Studien, die Zusammenfassung ist vereinfacht gesagt, dass das Gehirn eher einem mobilen Muskel gleicht. Wird ein Areal besonders beansprucht, wird es leistungsfähiger und fällt eines aus, können andere übernehmen. Ein Beispiel hierzu ist die Zunahme des Bereiches, der für räumliches Vorstellungsvermögen zuständig ist, bei englischen Taxifahrern.10

Gefühle: Die Forschung von Richard J. Davidson

Richard J. Davidson ist einer der Pioniere der Erforschung positiver Gefühle. Sein Ausgangspunkt war die Faszination dafür, dass Menschen vollkommen unterschiedlich auf Rückschläge oder Herausforderungen reagieren. Als Hirnforscher war es dann an ihm, eine Beschreibung von Charaktereigenschaften zu entwickeln, die eine Verbindung zwischen diesen Welten erlaubt.

Dieser Ansatz führte zur Entwicklung der Theorie emotionaler Stile.

Ein emotionaler Stil wird beschrieben nach sechs Eigenschaften und deren jeweiliger Ausprägung.

Die Eigenschaften sind:

▪ Resilienz (Resilience)
▪ Die Fähigkeit, positive Emotionen zu „halten“ (Outlook)
▪ Soziale Intuition, sprich die Fähigkeit, andere zu „verstehen“ (Social Intuition)
▪ Das Bewusstsein des eigenen Körpers und dessen Abläufe, z.B. Herzschlag (Self Awareness)
▪ Fingerspitzengefühl, also die Fähigkeit in Situation „angemessen“ zu reagieren (Sensitivity to Context)
▪ Fokus (Attention Style)

Ermittelt wird die Ausprägung durch die Beantwortung von Tendenzfragen 11.

Anstatt lange über diese Ausprägungen zu philosophieren, sollen hier nur zwei Ergebnisse in aller Kürze dargestellt werden, bei denen dieses „Bild“ positive Ergebnisse gezeitigt hat.

Erstens: Um das Gehirn zur Übernahme andere Funktionen zu bringen, muss man es manchmal zwingen.
Bei Schlaganfallspatienten mit beispielsweise einer halbseitigen Lähmung, ist daher eine Therapieform, den gesunden Arm zu fixieren. Der intakte Bereich, der für den gesunden Arm zuständig war, sucht sich daher neue Aufgaben und „rekrutiert“ sich den linken Arm12.

Zweitens konnte Davidson zeigen, dass Autisten nicht per se unfähig sind, Emotionen zu erkennen.
Vielmehr löst direkter Augenkontakt unangenehme bis panikartige Reaktionen bei Autisten aus, sodass sie Blickkontakt vermeiden und ihnen somit entscheidende Informationen fehlen, um den Gemütszustand anderer zu erkennen. Die Wahl geeigneter Therapieformen hat sich mit dieser Erkenntnis dramatisch verändert 13.

Davidson ist seit vielen Jahren ein glühender Anhänger von Meditation und ein Freund des Dalai Lama. Die Inspiration, sich mit den Auswirkungen von positiven Gefühlen und Meditation auf das Gehirn zu beschäftigen, ist der Legende zufolge auch bei einem Gespräch mit dem Dalai Lama entstanden. Und das, was intuitiv ist, wurde im Labor auch gemessen 14.

Als Inspiration sind einige mögliche Meditationstechniken im Abschlusskapitel beschrieben, auf die Darstellung von Laborergebnissen wird hier gänzlich verzichtet. Vielmehr soll hier noch eine sehr verbreitete Sicht auf Emotionen aus der positiven Psychologie vorgestellt werden, basierend auf den Arbeiten von Barbara Fredrickson.


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Quellen bis hierher

1 Vgl. Costandi, M.: Neuroplasticity, MIT Press 2016, S. 1
2 Vgl. Costandi, M.: Neuroplasticity, MIT Press 2016, S. 33
3 Vgl. z.B. https://www.rickhanson.net/your-wonderful-brain/, zuletzt aufgerufen am 10. Mai 2019
4 Vgl. z.B. https://www.rickhanson.net/your-wonderful-brain/, zuletzt aufgerufen am 10. Mai 2019
5 Vgl. z.B. https://www.rickhanson.net/your-wonderful-brain/, zuletzt aufgerufen am 10. Mai 2019
6 Vgl. z.B. Harari, Y. N.: Sapiens – A Brief History of Humankind, Vintage 2011, S. 9-14
7 Vgl. Costandi, M.: Neuroplasticity, MIT Press 2016, S. 2
8 Es ist eine interessante Überlegung im Hinblick auf herrschende Glaubenssätze, dass man aus etwas, über das man wenig weiß (das Gehirn) auf etwas schließt, über das man viel weiß (das Lebens).
9 Eine sehr schöne Art, einen Blick in die innere Arbeitsteilung des Gehirns zu werfen, sind Fragen, die einmal die linke, einmal die rechte Hirnhälfte vermehrt ansprechen. Die Bewegung der Augen wird einmal nach rechts, einmal nach links tendieren. Als Beispiel eignet sich einfache Fragen wie: „Welche Synonyme gibt es für Geld?“ versus „Wie viele Ecken hat ein Rechteck?“, siehe beispielsweise Davidson S. 24
10 Vgl. Costandi, M.: Neuroplasticity, MIT Press 2016, S. 93
11 Davidson, R.J.: The Emotional Life of your Brain, Hodder & Stoughton 2012, Kapitel 2 und 3.
12 Die Therapieform heißt intuitiv Constraint Induced Therapy, siehe Davidson, S. 170
13 Davidson spricht hier von Neurally Inspired (Behavior) Therapy, siehe Davidson, S. 153
14 Siehe Davidson, Kapitel 10