Lösungsfokussiertes Coaching

Abschlussarbeit von Anna Maelicke, als PDF lesen


Einleitung

Problem space is not solution space.
Albert Einstein

In Beratungseinrichtungen rund um die Welt findet heute die lösungsfokussierte Gesprächsführung nach Steve de Shazer, Insoo Kim Berg et al. Anwendung und wird stetig weiterentwickelt.

Im Vergleich zu anderen Ländern – wie Finnland, Großbritannien, Ungarn, Japan, Korea, USA oder Südafrika – ist der lösungsfokussierte Ansatz in Deutschland noch relativ wenig verbreitet.1

Diese Arbeit beleuchtet die Entwicklung des lösungsfokussierten Ansatzes und seine Besonderheiten im Vergleich zu anderen Beratungsmethoden.

Zudem werden die allgemeinen Grundprinzipien des Coachings sowie die Prinzipien des lösungsfokussierten Coachings dargelegt. Im Anschluss wird die lösungsorientierte Kurzzeit-Beratung nach Steve de Shazer erläutert, bevor abschließend die Erfahrungen und Erkenntnisse der Verfasserin reflektiert werden.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet, was sich zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen bezieht.

Entwicklung des lösungsfokussierten Coachings

Zunächst wird an dieser Stelle die Historie des lösungsfokussierten Vorgehens beschrieben und die Besonderheiten der Methode aufgezeigt.

Des Weiteren geht es um die Hintergründe des Begriffs „lösungsfokussiert“ und um den Zusammenhang von Problem und Lösung.

Historie

Die lösungsfokussierte Gesprächsführung ist noch relativ jung.

So wurde der Ansatz erst 1982 von Steve de Shazer (1940–2005) und Insoo Kim Berg (1934–2007) präsentiert.

Bereits Ende der 60er Jahre hatte sich Steve de Shazer mit neuartigen Formen der Intervention und deren Wirksamkeit in der Psychotherapie beschäftigt. Hierbei beeinflusste ihn der hypnotherapeutische Ansatz von Milton Erickson insofern, als dass

[…] dessen Verständnis für die Ressourcen des Coachee als Ansatzpunkt für die Problemlösung ein wichtiger Grundpfeiler für die Grundprinzipien des lösungsfokussierten Coachings wurde.

Darüber hinaus wurde de Shazer durch die Palo-Alto-Gruppe sowie die Schule der Mailänder Familientherapeuten beeinflusst, wobei diese beiden Gruppen im Rahmen der Familientherapie kurzzeittherapeutische Verfahren anwendeten.2

Steve de Shazer und Insoo Kim Berg entwickelten deren kurzzeittherapeutische Ansätze weiter und kombinierten sie mit den ressourcenorientierten Methoden von Milton Erickson.

1978 gründeten sie gemeinsam mit weiteren Mitstreitern das Brief Family Therapy Center, dessen Ziel es war, möglichst wirksame und zugleich effiziente Wege zu finden, um Klienten weiterzuhelfen.3

Besonderheiten

Der lösungsfokussierte Ansatz unterscheidet sich von allen etablierten Therapieansätzen durch die Erkenntnis, dass Interventionen, die zur Lösung führen, nichts mit den Ursachen des Problems zu tun haben müssen.

So kompliziert und vielschichtig ein Problem auch sein mag, müssen zieldienliche Intervention dem lösungsfokussierten Ansatz zufolge nicht ebenfalls kompliziert oder vielschichtig sein.4

Entgegen seinem Namen fokussiert der lösungsfokussierte Ansatz jedoch nicht auf Lösungen, sondern auf die erwünschte Zukunft.

So lautet die erste Frage an den Klienten häufig:

Was ist Ihre kühnste Hoffnung in Bezug auf das Ergebnis unserer Zusammenarbeit?

Demnach dient die erwünschte Zukunft als Ausgangspunkt für das weitere Coaching. Wird diese erreicht, so hat sich die Auseinandersetzung mit dem Problem aus Sicht des lösungsfokussierten Ansatzes bereits erledigt.5

„Lösungsfokussiert“ bedeutet folglich nicht, dass der Kunde auf ressourcenorientierte Weise darin unterstützt wird, Lösungen für seine Probleme zu finden (siehe Kapitel 3.6). Stattdessen wird dem Coachee dabei geholfen, ein möglichst genaues Bild von seiner erwünschten Zukunft zu entwickeln.

Indem er dieses Bild in allen Facetten ausmalt, vergrößert er die Wahrscheinlichkeit, diese zu erreichen.

Bei diesem Prozess wird der Klient durchaus dabei unterstützt, sich seiner Möglichkeiten bewusst zu werden, da er häufig durch das Problem den Zugang zu ihnen verloren hat.

Hierbei wird die Aufmerksamkeit des Coachee auf bereits funktionierende Verhaltensweisen gelenkt, um diese gezielt zu verstärken.

Je klarer sich der Klient seine Ressourcen in Bezug auf die Situation vor Augen führt, desto eher findet er dadurch Entwicklungsimpulse.6

Jedoch gibt die Vergangenheit nach Auffassung des lösungsfokussierten Vorgehens nicht vor, wie die Zukunft des Coachee auszusehen hat. Im Gegenteil wird die eigene Zukunft als etwas Geschaffenes und Verhandelbares verstanden.

Diese Art der radikalen Zukunftsorientierung ist ebenfalls ein Aspekt, der die lösungsfokussierte Gesprächsführung von vielen anderen Coaching-Ansätzen unterscheidet.7

Bezeichnung

Weshalb trägt das Vorgehen dann den irreführenden Namen „lösungsfokussiert“?

Dies hat historische Gründe. 1974 hatte die Forschergruppe in Palo Alto einen Artikel mit dem Titel „Brief Therapy: Focused Problem Resolution“ veröffentlicht.

Steve de Shazer, Insoo Kim Berg et al. wollten in einem 1986 geschriebenen Artikel auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihres Ansatzes aufmerksam machen und gaben diesem daher den Titel „Brief Therapy: Focused Solution Development“.

Auf diese Weise war die Bezeichnung „solution focused approach“ geboren, obwohl aus heutiger Sicht „preferred future approach“ treffender gewesen wäre.

In Deutschland hat sich neben dem „lösungsfokussierten Ansatz“ auch die Variante „lösungsorientiertes Arbeiten“ verbreitet.8

Problem und Lösung

Problem talking creates problems. Solution talking creates solutions.
Steve de Shazer

Je mehr Raum die eigene Problemschilderung einnimmt, desto stärker gerät der Klient in eine Art „Problemtrance“ (nach Gunther Schmidt).

Daher sollte die Phase der Situationsschilderung so kurz wie möglich und nur so lange wie nötig sein.9

Durch die Fokussierung auf die erwünschte Zukunft führt der lösungsfokussierte Berater den Klienten somit vom Problem- in den Lösungsraum.10 

Zugleich ist der lösungsfokussierte Ansatz keineswegs problem-phobisch. Ohne Probleme gäbe es in dieser Welt keinen Anlass zu Verbesserung oder Veränderung.

So wird das Problem mit seinen Auswirkungen im lösungsfokussierten Ansatz wertgeschätzt als Auslöser für die Suche nach Lösungsansätzen. Das bedeutet, dass die Anwesenheit des Problems akzeptiert wird als ein Vorbote einer positiven Veränderung, die in Zukunft stattfinden wird.11

Um zu verdeutlichen, dass die Lösung losgelöst vom Problem gefunden werden kann, nutzte Steve de Shazer das Bild eines Dietrichs.

Dabei wird das Problem durch ein kompliziertes Schloss symbolisiert, welches der Coachee mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht zu öffnen in der Lage ist. Die Lösung liege jedoch nicht im Schloss (sprich Problem) verborgen, sondern einzig in der Verwendung des richtigen Schlüssels.

Um das komplizierte Schloss zu öffnen, reiche jedoch ein einfacher Dietrich, es sei also kein ebenso komplizierter Schlüssel vonnöten.12

Grundprinzipien des Coachings

Im Folgenden werden zunächst die zehn Grundprinzipien des systemischen Coachings geschildert, die auch für den lösungsfokussierten Ansatz gelten, bevor diese in Kapitel 4 um die spezifischen Prinzipien des lösungsfokussierten Vorgehens ergänzt werden.

Respekt und Wertschätzung

Für den Klienten stellt es eine Überwindung dar, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Daher ist es eine wesentliche Voraussetzung, den Kunden und sein Problem ernst zu nehmen.

Die Wertschätzung des Problems umfasst dabei die offensichtliche Schwierigkeit des Kunden, das Problem zu lösen, die erlebbare Komplexität sowie Tragweite des Problems und seiner Auswirkungen.

Darüber hinaus sollte der Coach die bisherigen Lösungsversuche des Kunden und die Tatsache, dass der Klient überhaupt gekommen ist, aktiv ansprechen und wertschätzen.13


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Quellen bis hierher

1 Vgl. Middendorf, Jörg (2019): Lösungsfokussiertes Coaching – Hintergründe und Missverständnisse; Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 03/2019; https://www.coaching-magazin.de/toolsmethoden/loesungsfokussiertes-coaching
2 ebenda
3 ebenda
4 ebenda
5 ebenda
6 ebenda
7 ebenda
8 ebenda
9 Vgl. Radatz, Sonja (2018): Beratung ohne Ratschlag – Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen; Literatur-VSM; Wolkersdorf; 8. Auflage, S. 122
10 Vgl. Sander, Constantin (2012): Lösungsfokussiertes Coaching – Warum Ihnen der Blick auf das Problem nicht weiterhilft; veröffentlicht am 08.11.2012 auf Mind Steps; https://www.mindsteps.de/2012/11/08/losungsfokussiertes-coaching-warum-ihnen-der-blick-auf-das-problem-nichtweiterhilft/
11 Vgl. Kotrba, Veronika & Miarka, Ralph (2017): Agile Teams lösungsfokussiert coachen; dpunkt Verlag Heidelberg; 2. Auflage, S. 16
12 Vgl. Middendorf (2019)
13 Vgl. Radatz (2018), S. 109f