Limbische Resonanz

Der Rohdiamant im Kindbewusstsein

Abschlussarbeit von Katja Ahlrichs , als PDF lesen


Prolog

Manchmal schenkt das Leben jemandem etwas in einer tiefgründigen Bedeutung, dass der Mensch erst im Laufe der Jahre begreift. Ein Erleben am Anfang eines neuen Lebens – die Geburt eines Babys. An diesem Tag werden Neuprägungen und Emotionen im limbischen System des Gehirns verankert, die so einzigartig und fundmental für die Beziehung zwischen Mutter und Kind und meistens auch Vater sind, dass sie die Ursprungsenergie darstellen für die erste Entwicklungsphase eines Kindes.

Vor 6 Jahren kam unsere Tochter Lou zur Welt. Zehn Tage über den ausgerechneten Geburtstermin fuhren wir aufgeregt und neugierig zum Einleiten ins Krankenhaus. Zwei Stunden später war Lou bei uns. Zwei Herzstillstände und eine minutenschnelle Not-Operation veränderten unser Leben und unser limbisches System als Eltern – für immer.

Das Warten auf ein kleines Ich

Ein Jahr nach der Geburt und einer Odyssee an Arztbesuchen, EEGs und Ergotherapie für Lou diagnostizierte die Medizinwelt eine Spastik in ihren Füssen und die Vorhersage, dass Lou nie ein Laufild verzeichnen würde und auch kognitiv weit zurücklag auf der Normkurve. Der Sauerstoffmangel und das Herzflimmern unter der Geburt mutmasste die Ärzte-Welt als Ursache.

Lou krabbelte nicht, Lou sprach nicht, Lou weinte viel und war in ihrer eigenen Welt. Sie zeigte kaum Reaktion auf altersgerechtes Spielzeug, mimische Ansprache oder Motorik. Selbst ein Spaziergang überforderte gefühlt ihre Sinne.
Anderthalb Jahre war ich als Mama die einzig zugelassene Bezugsperson. Die Monate vergingen und ich las mich in die Thematik Geburtstraumata ein und die Verankerung dessen im Limbischen System. Ich fand unerwartet den Rohdiamanten für einen ganz neuen Kommunikationsweg zu Lou und revolutionäre Entwicklungsschritte. Wenn also Lou´s Emotionen durch ein Geburtstrauma Blockaden bildeten, könnten wir einen Zugang zu den Blockaden über positive Emotionsbildung gewinnen und sie auflösen.

Wir kauften Handpuppen und vertieften unsere spielerische Art allen Stofftieren Namen zu geben um das Repertoire der Typologie. Das lispelnde Freundschaftskrokodil, die ewig motzende Ente Knatsch, der mutige beschützende Dinosaurier, der hungrige Hase Mampfred und so weiter. Die Handpuppen oder sprechende Gegenstände wurden der ständige Begleiter. Sie feuerten Lou an bei der Ergotherapie die Rampe auf dem Bauch hochzukriechen mit all ihrer Kraft, sie beschützten sie auf dem Spielplatz, wenn ein anderes Kind Sand schmiss, sie halfen ihr beim Anziehen und Wickeln.

Die Glücksformel der Resonanz

Und dann kam der Tag, an dem Lou anfing zu sprechen, zu krabbeln und zu lachen. Wenn mich jemand heute fragt, was für mich Glück bedeutet, dann ist das ein großer unbeschreiblicher Glücksmoment gewesen. Diese Resonanz war für uns Eltern die bahnbrechende Erkenntnis, dass wir Lou´s emotionale Intelligenz nun spielerisch „füttern“ konnten, um darüber ihr Grosshirn für kognitive & motorische Leistungen anzusprechen und noch besser zu aktivieren. Wir hatten endlich eine Kommunikationsstrategie zu ihr aufauen können und unsere Resonanz der Freude über Ihre Worte zu uns, förderten ihre Motivation. Jetzt hiess es unser „inneres Team“ neu aufzustellen, die gewonnene Energie noch mehr zu stärken und alle Restskeptiker in die Flucht zu schlagen.

Vier Jahre nach Lou´s Geburt wurde sie große Schwester und bekam zeitgleich die Diagnose Autismus und ein weiteres Jahr später die medizinische Erkenntnis, dass Lou eine unheilbare chromosonale Störung in Form eines Gendefektes hat, die Nerven-und Muskelschwäche im ganzen Körper auslöst. Damit einher ging die Prognose der Klinikpsychologin, dass Lou nie in der Lage sein wird ein eigenständiges Leben zu führen.

Unsere Haltung dazu ist: Die beste Prognose ist die, die nie eintritt, weil wir rechtzeitig geeignete positive Massnahmen eingeleitet haben.

Heute spricht Lou mit 6 Jahren phantasievoll und redegewandt- jedoch in eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit mit anderen Menschen. Sie braucht viel Begleitung vor allem motorisch, dennoch ist ihre emotionale Intelligenz überdurchschnittlich und ihre Wahrnehmung auf Ihre Umwelt anders und unvorstellbar positiv. Sie ist fröhlich und natürlich gelassen – alles, was für uns zählt. Die Limbische Resonanz war der Schlüssel, sie gesund zu stärken.

Das im Jahr 2000 erschienene Buch „A General Theory of Love“ von Thomas Lewis, Fari Amini und Richard Lannon, Psychiatrieprofessoren an der University of California in San Francisco baut genau auf unserem Schlüssel auf. Es untersucht das wissenschaftliche Verständnis von Emotionen und insbesondere von Intimität und Liebe von Freud bis zur modernen Neurowissenschaft, wobei der Schwerpunkt auf dem aufommenden Verständnis des limbischen Gehirns und der Entwicklung der Persönlichkeit liegt.

Ab der frühesten Kindheit werden die Bereiche unseres Gehirns, die als limbisches System identifiziert wurden (Hippocampus , Amygdala, vordere Thalamuskerne und limbischer Kortex), von denjenigen beeinflusst, die uns am nächsten stehen (limbische Resonanz) und in gewisser Weise mit ihnen synchronisiert (limbische Regulation). Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Persönlichkeit und die lebenslange emotionale Gesundheit.

Der neue Umgang mit Lou, die weiterführende wertfreie Akzeptanz ihrer Wahrnehmung trotz diagnostischer Betitelung eines „Warum“, liessen uns Eltern ungeahnt eintauchen in eine noch viel tiefgründigere Welt. Ein Parallelsystem tat sich gefühlt auf, in der nur „Wir“ als Familie lebten.

Durch die Geburt von Lou´s jüngerer Schwester Amelie entdeckten wir, dass unsere positiven Affirmationen in unserem Alltagsleben das Limbische System unserer beider Kinder gesund aufwachsen ließ. Unser Umgang mit Emotionen wurde und wird sehr ehrlich und wertschätzend beratend gelebt. Auch wir als Eltern lernten unsere inneren Teams nochmal ganz neu kennen und zu dialogisieren. Dafür eignet sich besonders gut das „Modell des Inneren Teams als Haltung und Methode von Friedemann Schulz von Thun.“ Die Methode ist von ihm entworfen worden, um das menschliche Seelenleben in verständlicher Weise sichtbar und greifar zu machen und wir die Tugend benutzen die Vielzahl der inneren Stimmen in uns nutzen und zu einem Team zusammenzustellen.

So lassen wir uns von unseren inneren Teams beraten und stecken uns einen machbaren Referenzrahmen, den wir in kleinen Skalierungsschritten täglich angehen können.

Unser gelebtes Familienkonzept verschafft uns jeden Tag neues Elternbewusstsein und lässt mich zu der Theorie kommen, dass Elternarbeit für die eigene Bewusstheit als Ich, als Du und Wir und damit auch fürs Kind das neue „Must-Have“ für ein gesundes Familiensystem sein muss.

Wie geht der Spruch?: „Eltern werden geht schnell, Eltern sein dauert“. Deshalb wäre es extrem wichtig, wenn es schon im ersten Lebensjahr eines Kindes begleitende Angebote zur Bewusstseinsförderung von Eltern und Kind gäbe. Nicht die Mutter-Kind-Kur als Auffangbecken, sondern ein proaktives Elternprogramm im Gesundheitssystem.


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