Kein Coaching ohne Auftrag … oder doch?!

Abschlussarbeit von Alexandra Rohling, als PDF lesen


Rückblick…

Als ich im Januar 2021 meine Ausbildung zum Systemischen Coach bei InKonstellation beginnen durfte, war es einer der ersten Sätze die sich in mir verewigt haben:

Kein Coaching ohne Auftrag

Ein Weiterer, der relativ schnell darauf folgte war:

Immer zuerst die Zielklärung sauber herausarbeiten

Zwei für mich grundlegende stimmige Aussagen, die als Leitsätze mit in das Verständnis der Arbeit im Systemischen Coaching gehören.
Zum einen nicht völlig übermotiviert durch die Welt zu laufen und jeden mit einem für mich vielleicht sichtbaren Thema ungefragt zu coachen.
Zum anderen als erstes den ganz klaren Wunsch des Coachee herauszuarbeiten auf welches Ziel er mit meiner Begleitung schauen möchte.
Ich habe mich mit dem Ziel für diese Ausbildung entschieden, am Ende einen gut gefüllten Koffer voller ‚Werkzeuge‘ mitnehmen zu dürfen, der mich in Gesprächssituationen unterschiedlichster Hintergründe meiner Arbeitsbereiche (Business Zielgespräche, Personalentwicklungsgespräch, Elternfachgespräch, Zielplanungsgespräche, Fördereinheiten Kind…) stärkt.
Und nun stehe ich hier, fast am Ende meiner wertvollen Reise zum Systemischen Coach und blicke zurück auf die Erfahrungen, die ich während meiner Ausbildung bereits machen durfte: Manche Coachings mit klarem Auftrag, sauberer Zielklärung und zeitlich überprüfbarem Ziel. Manche aber auch durchaus spontan, entstanden aus kollegialer Begleitung, Konfliktgesprächen, während Bewerbungsgesprächen, in Praktikumsbegleitungen, bei der schulsozialen Förderung – und diese ohne Auftrag aber mit einem konkreten Ziel am Ende.

Hintergrund…

Diese „Coachings ohne Auftrag“ würde ich gern erklärend meinem Thema für diese Arbeit im Folgenden darstellen und berichten, wie ich Menschen in verschiedenen Altersklassen und Umfeldern in meiner praktischen Arbeit im Prozess begleiten durfte, ohne dass sie einen Auftrag an mich hatten und somit auch keine klare Zieldefinierung.
Zum Hintergrund führe ich kurz die Arbeits– und Wirkungsbereiche auf, in denen ich als Heilerziehungspflegerin tätig bin:

Zum einen arbeite ich als Lernbegleitung in einer Grundschule und begleite dort Kinder, die durch das Jugend– oder Sozialamt eine zusätzliche Förderung und Begleitung im schulischen Vormittag erhalten. Meine Aufgaben beziehen sich auf die individuelle Herausarbeitung und Förderung der Ressourcen des Kindes in Absprache und Abgleich mit dem Jahrgangsteam, sowie auf die Elternarbeit mit der Erarbeitung und Umsetzung gemeinsamer Ziele für das Kind. Zusätzlich bin ich in einer beratenden Funktion für das Elternhaus, was externe Hilfen anbelangt, tätig.

Zum anderen arbeite ich in einem IT Systemhaus als Fachkraft für Inklusion, sowie als sogenannter „Verbindungspunkt“ zwischen Mitarbeitern und Führungskraft.
Meine Aufgaben bestehen darin, Arbeitsplätze für Menschen mit Assistenzbedarf einzurichten und den Menschen, sowie sein Team um ihn herum begleitend und beratend zur Seite zu stehen.
Als „Verbindungspunkt“ führe ich Mitarbeitergespräche, evaluiere Bewerbungen und bilde damit die Brücke zur Führungskraft.
Ein zusätzliches Feld bildet hier die pädagogische Begleitung der Auszubildenden, Praktikanten und Studenten, sowie die Mitarbeiterbindung und –entwicklung.

Praxis…

Beispiel 1: Konfliktgespräch im System Schule→ Eltern – Lehrer – Schulbegleitung

Thema
Unterschiedliche Sichtweisen auf die Digitalisierung in der Schule und der Arbeitsweise mit digitalen Medien.
Konfliktpotential hoch, da wenig Möglichkeit der Eigenreflektion seitens der Eltern vorhanden, vorherige Gespräche bereits abgebrochen, da eskaliert.

Angewandte Methode
Havard Business Modell

Ich habe mich hier bereits im Vorfeld für diese Methode entschieden, da zu erkennen war, dass die Position der Eltern viel Emotionen in das Gespräch hineinbringen wird und sie durch dieses Modell die Möglichkeit haben, hier in ihren Wünschen, Emotionen und Standpunkten abgeholt und somit wertgeschätzt werden.

Prozess
Bereits zu Beginn des Gespräches war eine positive Bereitschaft miteinander zu arbeiten dadurch zu erkennen, dass beide Elternteile den Raum hatten, ihre Positionen ganz ausführlich schildern zu dürfen. Ich konnte deutlich erkennen, wie die Konfliktbereitschaft, die zu Beginn herrschte durch viel Raum des Positionieren dürfens abgeschwächt wurde.
Bestärkt wurde dieses sehr konstruktiv durch den zweiten Schritt des „Herausarbeitens“ der positiven Absichten beider Standpunkte > „Was wünschen wir uns für das Kind?“
Durch das Zusammenführen dieser beiden Positionen und Herausarbeiten der gemeinsamen Absichten ist es gelungen, ein gemeinsames Ziel für das Kind zu definieren und ein wertschätzendes Gespräch zu führen.

Fazit
Eine für mich wertvolle Methode, wenn im Vorfeld zwischen zwei oder mehreren Positionen Konflikt herrscht und ein gemeinsames Ziel herausgearbeitet werden soll.

Beispiel 2 Mitarbeitergespräch Businessbereich

Thema
Strukturveränderung im Team und die Frage „Warum wurde die Position nicht durch mich besetzt?“ Persönliche Enttäuschung über unklare, fehlende Kommunikation im Vorfeld; Sorge vor Neuerungen

Angewandte Methode
Systemische Fragen, darauf aufbauend Timeline

Nach Einstieg mit der Fragen Methode habe ich mich für das Anwenden der Timeline entschieden, um den Mitarbeiter dahingehend zu begleiten, zu schauen, welche beruflichen Ressourcen er bereits in der Vergangenheit aufgebaut hat und für seinen weiteren Weg nutzen kann.

Prozess
Während des Gespräches mit dem Mitarbeiter und angewandter Fragetechnik ist immer wieder der Punkt gekommen, dass der MA seine berufliche Vergangenheit beleuchtet hat, um damit zu verdeutlichen, dass er für diese Position geeignet wäre.
Aufgrund dieser Begebenheit habe ich ihm die Timeline angeboten.
Spannend in diesem Prozess zu beobachten war, dass er in seiner beruflichen Vergangenheit so viele Ressourcen und Skills wiedergefunden hat, sodass er am Ende mit einem ganz neuen beruflichen Ziel für sich herausgegangen ist.

Fazit
Die Anwendung der Systemischen Fragen ist für mich in jedem Prozess mit das wichtigste Werkzeug, um am Anfang gemeinsam heraus finden zu können, was der Kern und das Ziel des Gespräches/des Coachings sein kann. Ich nutze diese Methode in den meisten Situationen als Einstieg, um darauf aufbauend eine zusätzliche Methode einzusetzen.

Beispiel 3: Begleitung eines Kindes im sozial– emotionalen Bereich, System Schule

Thema
Das Kind reagiert in unterschiedlichsten Gruppen- und Sozialsituationen stark impulsiv und erkennt für sich keine alternativen Handlungskompetenzen. In der Reflektion kann es die Situation gut für sich erfassen und ist bereit, Hilfen anzunehmen.

Angewandte Methode
Gefühlslandkarte (Meer), darauf aufbauend Wunderfrage, Problem- Lösungs- Gymnastik Ich habe mich für die Gefühlslandkarte entschieden, da in der Arbeit mit Kindern Bilder und Metaphern für mich das passende Werkzeug sind, um das Problem, bzw. das unerwünschte Verhalten vom Kind wegzulenken, um es dann an einem ‚anderen Ort‘ zu betrachten. Die Problem Lösungs- Gymnastik schien mir hier sehr passend, um zum einen miteinander in die Bewegung zu kommen und demnach ein Bedürfnis des Kindes nachzugehen und zum anderen als ‚Werkzeug‘ nutzbar, welches dem Kind als Anker dienen kann.

Prozess
Unmittelbar nach dem Konflikt war das Kind bereit, mit mir die Situation zu reflektieren und sein Handeln darzustellen. Ich habe ihm die Gefühlslandkarte angeboten, um einen für ihn positiv besetzten sowie einen Ort der Wut auszusuchen. Begleitet wurde dieser Schritt durch Anleitung anhand von positiv konnotierten Fragen, Verknüpfungen, Gefühlen und Bedeutungen. Mit diesem Ergebnis habe ich die Wunderfrage in abgeschwächter Form genutzt, um die Schritte und das gewünschte Handeln, das sich aus der Gefühlslandkarte ergeben hat, zu verdeutlichen und noch einmal klarer werden zu lassen.
Als zusätzliches ‚ankerndes Werkzeug‘ entschied das Kind sich für einen Teil aus der Problem-Lösungs- Gymnastik. Wir haben ein gemeinsames Geheimzeichen miteinander vereinbart, um uns daran zu erinnern, in welcher Situation die Gymnastik zum Einsatz kommen darf.

Fazit
Auch in diesem Beispiel gab es keinen Auftrag von dem Kind an mich. Dennoch habe ich gemeinsam mit ihm begonnen, Methoden aus dem Systemischen Coaching für uns zu nutzen um durch einen ‚Umweg‘ sein unerwünschtes Verhalten zu ändern, bzw. an ihm zu arbeiten. Der Mehrwert hier zeigt sich für mich ganz deutlich in der gemeinsamen Erarbeitung und in der Wertschätzung dem Kind gegenüber und nicht der negativen Betrachtung seines Verhaltens.
Der Prozess hier ist nicht abschließend beendet und benötigt in regelmäßigen Abständen immer wieder eine Neubeachtung sowie eventuell veränderte Handlungsschritte.
Die Methoden werde ich dafür genau so weiter nutzen.

Zum Abschluss…

…bin ich mit Blick auf meine aufgeführten Beispiele überzeugter denn je davon, dass die Ausbildung zum Systemischen Coach genau in meine Arbeitsbereiche passt und eine wertvolle Ergänzung zu meinem Beruf darstellt.
Zurück zu meiner Aussage „Kein Coaching ohne Auftrag – oder doch?!“: sage ich, wie gewinnbringend und konstruktiv die Anwendung der Methoden für Gespräche in meinen Arbeitsumfeldern sind, auch OHNE dass es im Vorfeld zwangsläufig einen Auftrag gibt.


als PDF lesen