Hypnosystemische Trauerbegleitung

Eine Erläuterung von inneren und äußeren
Trauerorten

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Einleitung

Ressourcenarbeit stellt in der Trauerbegleitung einen essenziellen Baustein dar, allerdings ist diese etwas anders zu verstehen als üblich in der systemischen Arbeit. Das zentrale „Problem“ vom Tod des geliebten Menschen wird meist als allgegenwärtig empfunden und kann somit weder gelöst oder auch durch bekannte Stärken bewältigt werden (Kachler, 2019, S. 87). Vielmehr gibt es innere Anteile im trauernden Menschen, die an der Trauer festhalten möchten, denn dies scheint in Augen des Trauernden meist die einzig verbleibende Verbindung zum Toten zu sein. Genau dieser Ansatz stellt unsere Ressource für die Trauerarbeit dar. „Hypnosystemisch gesehen, geht es um eine Neukonstruktion des Lebens, in dem der Verstorbene im Äußeren für immer fehlen wird und im Inneren ein Teil des Lebens bleibt.“ (Kachler, 2019, S. 52). Laut Kachler (2019) und auch aus meinen persönlichen Erfahrungen als Trauernde sowie Trauer-Coachin sollte die loyale Beziehung zum Verstorbenen stets die Grundvoraussetzung der Coaching-Ansätze sein.

Viele Trauernde empfinden den gesellschaftlichen Druck sich nach einigen Monaten wieder „normal“ verhalten zu müssen. Sätze wie „Es muss dir doch langsam mal besser gehen!“, „Das Leben geht weiter!“, „Vielleicht musst du dir professionelle Hilfe holen!“ haben meiner Erfahrung nach schätzungsweise die meisten Trauernden nach spätestens einem Jahr mindestens einmal gehört. Dieser Druck wirkt sich meist bewusst oder auch unterbewusst auf die Trauerarbeit des Trauernden aus. Viele meiner Klienten berichten, dass sie „nicht mehr trauern dürfen oder können“ um die Beziehungen zu ihren Mitmenschen nicht weiter zu belasten. In den folgenden Kapiteln möchte ich den hypnosystemischen Ansatz der Inneren und Äußeren Trauerorte vorstellen, die den Trauernden einen sicheren Rahmen für ihre Trauer bieten kann.

Die Trauerorte

In diesem Kapitel stelle ich den äußeren sowie inneren Trauerort vor. Der äußere Trauerort kann in einem faktisch existierenden Ort, Gegenstand, Möbelstück oder Vergleichbares gefunden werden. Dieser Ort ermöglicht die aktive Begegnung mit der Trauer. Manchmal bevorzugen Trauernde Orte, die sie mit der geliebten verstorbenen Person besonders verbinden. Manchmal bevorzugen Sie aber auch neutralere Orte. Den innere Trauerort findet der Trauernde in sich – dieser Ort ist imaginär. Er steht dem Trauernden jederzeit zur Verfügung.

Äußere sichere, haltende (Trauer)-Orte

Trauer bedeutet vielseitige Emotionen, die Betroffene in unterschiedlichen Reihenfolgen und Ausprägungen individuell erleben. Oftmals wird das Erleben dieser Emotionen als sehr intim empfunden, insbesondere wenn der Trauernde selbst nicht mit den Emotionen umzugehen weiß. Die Grundidee hinter einem äußeren Trauerort ist dem trauernden Menschen Sicherheit und Schutz während des gesamten Trauerprozesses zu bieten (Kachler, 2019). Dieser Ort kann aufgesucht werden, um die Trauer bewusst zu erleben, sie einen geschützten Rahmen hat aber auch durch den Trauernden bewusst begrenzt werden kann (Kachler, 2019). Kachler (2019) benennt fünf verschiedene Aspekte, die der äußere Trauerort realisieren kann, um eine optimale Stabilisierungsarbeit dadurch zu erzielen:

    1. Ort des Containings und Halts
    2. Ort des Rückzugs und der Regression
    3. Ort der Abreaktion
    4. Ort der Nähe zum Verstorbenen
    5. Ort einer ersten Rekreation

Vorteil einer frühzeitigen Gestaltung eines bewussten äußeren Trauerortes ist, dass auch im späteren Verlauf der Trauerarbeit die Trauernden einen bereits bekannten und individuellen Ort besitzen, in welchen sie sich beim Verspüren von gesellschaftlichem Druck bewusst aufhalten und zurückziehen können. Oftmals verspüren Trauernde auch ein Schuldgefühl, wenn Sie ihrer Trauer keinen bewussten Raum schenken. Sie empfinden das „Weiterleben im Alltag“ oft als Verdrängung und fühlen sich schuldig der verstorbenen Person gegenüber, aber sind ebenso besorgt über eventuelle Spätfolgen der Verdrängung. Die bewusste frühzeitige Auswahl eines äußeren Trauerortes schafft somit eine aktive Begegnungsmöglichkeit mit der Trauer. Die Schuldgefühle sowie Angst vor Verdrängungsfolgen kann somit präventiv vermieden werden.

Systemische Fragen zur imaginativen Gestaltung des äußeren Trauerortes

Ich möchte gerne zwei verschiedene Möglichkeiten vorstellen den Klienten bei der Gestaltung und Auswahl der Trauerortes zu begleiten. Diese Ideen sind eine Kombination aus den Ansätzen von Kachler (2019) sowie meinen eigenen Impulsen.

Hausaufgabe

Der Klient wird gebeten, sich einen Trauerort Zuhause einzurichten. Dies kann unterschiedliche Formen annehmen. Ob ein spezieller Raum, ein Möbelstück, eine Ecke innerhalb eines Zimmers oder auch ein Kleidungsstück, welches bewusst an sich genommen wird. Die Entscheidungsfreiheit liegt ganz beim Klienten. Der Klient fertigt eine Beschreibung mit optional einem Bild des Trauerortes in Vorbereitung auf die nächste Sitzung an. In der Beschreibung werden 5 Eigenschaften festgehalten, die den Klienten emotional zu der Auswahl dieses Trauerortes bewegt haben. Diese Eigenschaften sollen bewusst an dem gewähltem Trauerort verfasst werden. In der Folgesitzung kann durch verschiedene Systemische Fragen die Beziehung zum erschaffenen Trauerort imaginiert und somit verstärkt werden.

Aktive Begleitung und Erschaffung als Teil einer Coaching-Sitzung

Anhand verschiedener systemischer Fragen kann der Klient ebenso bei der Auswahl und Gestaltung des Trauerortes begleitet werden. Folgend nenne ich ein paar Beispielfragen, die (Kachler, 2019, S. 92) konkret benennt:

„Wie müsste ein ganz konkreter Ort aussehen, der Sie sozusagen schützend umgibt und an dem Sie sich mit Ihrem Schmerz gehalten fühlen, sodass Sie sich in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder sicher fühlen können, bis Sie das auch wieder ohne diesen konkreten Ort können?“ (Kachler, 2019, S. 92)

„An welchem Ort könnten Sie sich mit Ihrem Schmerz zurückziehen, sodass Sie mit sich und Ihrem geliebten Menschen allein sein können und sich vielleicht doch ein ganz winzig kleines Stück getröstet fühlen könnten?“ (Kachler, 2019, S. 92)

„Wie würde Ihr geliebter Mensch für Sie jetzt einen Ort einrichten, an dem Sie allein mit sich und Ihrer Trauer sein könnten?“ (Kachler, 2019, S. 92)

Anschließend an die Begleitung des Klienten bei der Imagination des Trauerortes kann auch dieser mit Hilfe der Hausaufgabe, benannt in 2.1.1.2, ins Handeln gebracht werden.

Innerer sicherer, haltender Trauerort

Ein innerer sicherer, haltender Trauerort findet, wie der Name schon vermuten lässt, imaginär statt. In diesem imaginativem Trauerort kann der trauernde Anteil des Klienten sich mit oder ohne den geliebten, verstorbenen Menschen aufhalten und somit Halt und Trost finden (Kachler, 2019). Laut Kachler (2019) sollte dabei insbesondere auf die vom Klienten genannten Eigenschaften des äußeren Trauerortes eingegangen werden, denn diese stellen oftmals auch den Rahmen des inneren Trauerortes dar. Es empfiehlt es daher das Grundgerüst der Imagination mit vom Klienten benannten Vokabular zu besetzen. Die Idee der folgenden Imagination und dessen Wortwahl basiert auf (Kachler, 2019, S. 94-95). Dies untenstehende Version habe ich meinem Vokabular angepasst und umgeschrieben für Mädchen und Frauen, die ihre Mutter verloren haben. Diese Imagination ist auch laut (Kachler, 2019) als Anregung zu verstehen und muss dem trauernden Klienten und dessen individueller Situation angepasst werden. Es handelt sich ebenso nicht um eine hypnotherapeutische Induktion, sondern eher um eine meditationsähnliche Entspannungsübung (Kachler, 2019).

„Wie besprochen möchte ich dich einladen, auf die Suche nach einem inneren haltenden Ort zu gehen, an dem du mit deiner Trauer und – wenn du möchtest – deiner geliebten Mama sicher gehalten bist.

Ich bitte dich dazu zu sich zu kommen und nach innen zu gehen. Dein Atmen oder dein Herzschlag kann dir dabei helfen. – Pause – Atme tief durch die Nase ein, und durch den Mund wieder aus. Ein und Aus. Wenn du gut bei dir bist, kannst du dein Unterbewusstsein oder deine geliebte Mama um Unterstützung bei der Suche nach diesem haltenden Ort bitten. Vermutlich weiß dein Unterbewusstsein bzw. deine geliebte Mama sehr gut, wie dieser Ort für dich aussehen kann. – Pause –

Dieser Ort kann eine Landschaft, am Strand oder Meer, im Gebirge oder auch woanders sein. Dieser Ort kann aber auch ein ruhiges Zimmer, eine Wohnung, ein Haus, eine Kirche, ein Friedhof oder auch etwas anderes für dich sein. Wo dieser Ort ist – entscheidest nur du. Dieser Ort kann jetzt auch ganz neu als inneres Bild bei dir entstehen. Welcher Ort auch immer in dir auftaucht, prüfe ob er für dich und deine geliebte Mama der richtige Ort ist. Wenn du unsicher bist, dann befrage doch noch einmal deine geliebte Mama oder auch dein Unterbewusstsein. – Pause –

Lasse dich dort, an diesem haltenden Ort nieder. Schaue dich genau um, höre, rieche und fühle, wie sicher und haltend sich dieser Ort jetzt für dich anfühlt. Fühle vielleicht lindernde Wärme oder ein lindernder, kühlender Luftzug. Nimm an diesem haltenden Ort alles wahr, was für dich wichtig ist, auch deine Schmerz- und Trauergefühle. Nehme Sie wahr, aber bewerte sie nicht. Wenn du möchtest, nehme auch deine geliebte Mama wahr, von der du weißt, dass sie – wo immer sie auch ist – gut in dir aufgehoben ist und einen sicheren Platz in deinem Herzen hat. Jetzt spürst du, wie du an diesem Ort gut stehst oder sitzt. Lasse das Gefühl des Gehaltenseins sich ganz in deinem Körper dort, aber auch hier im Jetzt ausbreiten. Lasse es stärker werden, und verankere dieses Gefühl, so dass du es, wann immer du oder dein Unterbewusstsein möchtest, es abrufen kannst. – Pause –

Mit diesem sicheren Wissen verlässt du allmählich diesen guten, sicheren und vielleicht auch wenig tröstenden Ort und kommst mit dieser Erfahrung der Geborgenheit und dem sicheren Wissen, dass du diesen Ort – wann immer du möchtest, zusammen mit deiner geliebten Mama, immer wieder ganz bewusst und auch unbewusst aufsuchen kannst.“

Fazit

Die Erschaffung des äußeren und inneren Trauerortes kann für Trauernde Sicherheit und Halt innerhalb ihres akuten Trauerprozesses bedeuten. Die Anerkennung, dass der verstorbene Mensch somit auch zukünftig einen Platz im Leben des Trauernden hat, schenkt Trost und Halt. Diese Orte stehen dem trauernden Klienten jederzeit zur Verfügung und auch über den vom Klienten bestimmten Zeitpunkt. Auf der anderen Seite kann dieser Ort auch jederzeit gemieden oder verlassen werden. Der Klient erfährt sich selbst in der kontrollierenden Position, dass ihm zusätzlich Halt und Sicherheit vermittelt. Sich selbst Halt zu geben, ist eine Fähigkeit und Ressource, die meist bei Trauernden verschüttet ist und somit neu entdeckt werden sollte (Kachler, 2019).


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