Glaubenssätze im Coaching auflösen

Abschlussarbeit von Lisa Netzer, als PDF lesen


Ich möchte das Thema meiner Abschlussarbeit mit einer Geschichte einleiten:

Als ich ein kleiner Junge war, war ich vollkommen vom Zirkus fasziniert, am meisten gefielen mir die Tiere. Vor allem der Elefant hatte es mir angetan. Wie ich später erfuhr, ist er das Lieblingstier vieler Kinder.

Während der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier sein ungeheures Gewicht, seine eindrucksvolle Größe und seine Kraft zur Schau.

Nach der Vorstellung aber und auch in der Zeit bis kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant immer am Fuß an einen kleinen Pflock angekettet. Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte.

Und obwohl die Kette mächtig und schwer war, stand für mich ganz außer Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft hatte, einen Baum mitsamt der Wurzel auszureißen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen Pflock befreien und fliehen konnte.

Dieses Rätsel beschäftigt mich bis heute:

Was hält ihn zurück?

Warum macht er sich nicht auf und davon?

Als Sechs- oder Siebenjähriger vertraute ich noch auf die Weisheit der Erwachsenen. Also fragte ich einen Lehrer, meinen Vater oder meinen Onkel nach dem Rätsel des Elefanten.

Einer von ihnen erklärte mir, der Elefant mache sich nicht aus dem Staub, weil er dressiert sei.

Meine nächste Frage lag auf der Hand:

„Und wenn er dressiert ist, warum muss er dann noch angekettet werden?“

Ich erinnere mich nicht, je eine schlüssige Antwort darauf bekommen zu haben.

Mit der Zeit vergaß ich das Rätsel um den angeketteten Elefanten und erinnerte mich nur dann wieder daran, wenn ich auf andere Menschen traf, die sich dieselbe Frage irgendwann auch schon einmal gestellt hatten.

Vor einigen Jahren fand ich heraus, dass zu meinem Glück doch schon jemand weise genug gewesen war, die Antwort auf die Frage zu finden.

Der Zirkuselefant flieht nicht, weil er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet ist.

Ich schloss die Augen und stellte mir den wehrlosen neugeborenen Elefanten am Pflock vor.

Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment schubst, zieht und schwitzt und versucht, sich zu befreien. Und trotz aller Anstrengung gelingt es ihm nicht, weil dieser Pflock zu fest in der Erde steckt.

Ich stellte mir vor, dass er erschöpft einschläft und es am nächsten Tag gleich wieder probiert und am nächsten Tag wieder, und am nächsten…

Bis eines Tages, eines für seine Zukunft verhängnisvollen Tages, das Tier seine Ohnmacht akzeptiert und sich in sein Schicksal fügt.

Dieser riesige, mächtige Elefant, den wir aus dem Zirkus kennen, flieht nicht, weil der Ärmste glaubt, dass er es nicht kann.

Allzu tief hat sich die Erinnerung daran, wie ohnmächtig er sich kurz nach seiner Geburt gefühlt hat, in sein Gedächtnis eingebrannt. Und das Schlimmste daran ist, dass er diese Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat.

Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen.1

Die „Geschichte vom kleinen Elefanten“ verdeutlicht sehr schön, dass Verhaltensweisen, die in einer bestimmten Situation oder zu einem bestimmten Zeitpunkt richtig und angemessen waren, nicht für immer gelten müssen.

Denn über die Zeit entstehen neue Möglichkeiten.

Immer wieder bin ich in letzter Zeit bei der Bearbeitung meiner eigenen Probleme über folgende Fragen gestolpert:

Gibt es etwas in meinem Leben, von dem ich glaube, es nicht zu können?

Es nicht zu schaffen?

Woher kommt dieser Glaube?

Dabei habe ich festgestellt, dass sogenannte Glaubenssätze auch in mir verankert sind und mich in meinem Leben beeinflussen.

Sie spielen eine kleine oder auch große Rolle in meinem Alltag und hemmen mich (“ich kann nicht einparken”) oder beflügeln mich auf der anderen Seite positiv (“es wird schon alles gut werden”).

Sie bestimmen quasi maßgeblich über das, was ich im Leben erreiche oder eben nicht erreiche. Und damit bin ich nicht alleine auf dieser Welt, wie man am Beispiel des Elefanten gesehen hat.

Egal ob du glaubst du kannst es, oder ob du glaubst du kannst es nicht: du wirst recht behalten!

Henry Ford

Das, was wir glauben, wird zu unserer Realität. Tragen wir negative Glaubenssätze in uns, können sie unsere Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und uns bei der Erreichung unserer Ziele blockieren. Daher spielen Glaubenssätze auch eine große Rolle im Coachingprozess. Es geht darum, Lösungen zu finden, die tiefgehend sind und nachhaltige Veränderungen beim Coachee erzeugen.

Aus diesem Grund befasst sich meine Abschlussarbeit mit dem Thema Glaubenssätze und ihrer Rolle im Coaching. Zunächst werde ich darauf eingehen, was Glaubenssätze sind und welche unterschiedliche Arten es gibt. Im nächsten Schritt werde ich deren Entstehung beleuchten und die Auswirkungen auf unser Leben. Anschließend möchte ich darstellen, warum Glaubenssätze im Coaching die Ursache von Problemen sein können und wie diese aufgelöst werden können, um einem neuen, sinnvollen Glaubenssatz Raum zu geben. Im Schlussteil werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und reflektiert

Definition

Glaubenssätze sind zumeist generalisierende, automatisch wirkende, unbewusste Gedanken in Form von Überzeugungen, die unser Fühlen, Denken, Beurteilen, Bewerten, Entscheiden und unser Handeln beeinflussen. Bei den Überzeugungen handelt es sich um etwas, was für uns wahr ist und unserer eigenen subjektiven Wirklichkeit entspricht. 2

Vereinfacht ausgedrückt, entsteht eine Verallgemeinerung durch einen Satz, der in Gedanken immer wieder wiederholt wird. Sich somit nach und nach in unser Glaubenssystem einschleicht und letztendlich von uns geglaubt wird.3

Je öfter Glaubenssätze angewendet werden, desto mehr verfestigen sie sich.

Je mehr wir unter Stress stehen, desto mehr reagiert unser Unterbewusstes.

Bestärkende oder einschränkende Glaubenssätze

Glaubenssätze können konstruktiv oder destruktiv, also förderlich oder nicht förderlich sein.

Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf die Bearbeitung von negativen, also destruktiven Glaubenssätzen, weil sie unser Handeln negativ beeinflussen und sich somit auch auf verschiedene Lebensaspekte negativ auswirken können.

So können sie früher oder später zu einem Coachingthema werden.

Typische, kritische Glaubenssätze können folgende Beispiele sein:

– “Ich bin nicht gut genug.”

– “Ich schaffe das nie.”

– “Ich muss es allen recht machen.”

– „Ich gehöre nicht dazu.”

Für sich selbst kann man negativen Glaubenssystemen oder Glaubenssätzen näher kommen, wenn man sich anschaut, was im eigenen Leben einfach nicht funktioniert – bei den meisten anderen Menschen dagegen schon.

Wie entstehen Glaubenssätze

Glaubenssätze entstehen durch unsere Erfahrungen und die dabei begleitenden Gedanken, Gefühle und Schlussfolgerungen.

Dabei werden sie irgendwann für uns selbst zu festgeschriebenen Fakten und Annahmen über uns und die Welt.4

– Erlernte Erfahrung:

Als Kind orientierst du dich daran, was deine Eltern, die Geschwister oder Lehrer sagen oder tun. Die Glaubenssätze entstehen in unserem Unterbewusstsein und dort sind sie verankert.

– Eigene Erfahrungen:

Probleme, die wiederholt auftauchen oder Dinge, die schon öfter schief gegangen sind. Zum Beispiel, meine Beziehungen gehen immer in die Brüche und im Laufe der Zeit entsteht der Glaubenssatz “keiner will mich, ich bin nicht gut genug”.

– Sich selbst etwas einreden:

Man erschafft sich den Glaubenssatz durch ständiges Einreden selbst.

In der Psychologie geht man davon aus, dass die nachhaltige Nichterfüllung der psychischen Grundbedürfnisse zur Entstehung von negativen Glaubenssätzen führt.

Es können die folgenden 4 Grundbedürfnisse aus der Perspektive eines Erwachsenen unterschieden werden:

    1. Das Bedürfnis nach Bindung, also emotionaler Nähe
    2. das Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung der Umgebung und der eigenen Person
    3. das Bedürfnis nach Anerkennung oder Selbstwerterhöhung
    4. das Bedürfnis Dinge zu tun, die einem Lust oder Freude bereiten

Wird eines dieser Bedürfnisse nachhaltig nicht erfüllt, versucht ein Kind aus der erlebten Situation einen Sinn herzustellen.

Wird beispielsweise in regelmäßiger Häufigkeit das Bedürfnis eines Kindes nach Nähe frustriert, könnte ein Kind die innere Überzeugung „ich bin allein“ entwickeln.

Erlebt ein Kind seine Umgebung als nicht einschätzbar und kalkulierbar, z.B. weil die Mutter aus Überforderung entweder sehr liebevoll oder mit absoluten Wutanfällen auf das Kind reagiert, könnte das Kind den Glaubenssatz „ich bin ausgeliefert“ entwickeln.

Wächst ein Kind in einem Umfeld auf, in dem sehr hohe Ansprüche herrschen und bekommt nie vermittelt, dass es etwas richtig oder gut gemacht hat, könnte es zu der inneren Überzeugung gelangen „nicht zu genügen“.

Und in einer Familie, in der Disziplin und Pflichtbewusstsein sehr dominant sind, könnte ein Kind die Überzeugung „ich darf nicht genießen“ ausbilden.5


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1 Aus „Wie der Elefant die Freiheit fand“ von Jorge Bucay
2 Vgl. Martin Gudacker, Achtung Glaubenssatz. managerSeminare Verlags GmbH, 2022, S. 32
3 Vgl. Alina Paul, Beiträge zum systemischen Coaching, Cuvillier Verlag, 2021, S. 13
4 Vgl. Martin Gudacker, Achtung Glaubenssatz. managerSeminare Verlags GmbH, 2022, S. 33
5 https://susannelink.com/2020/11/22/was-sind-eigentlich-glaubens