Betriebliches Eingliederungsmanagement

Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Synergien
zum systemischen Coaching

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Vorwort

Im Verlauf der Ausbildung zum Systemischen Coach bei InKonstellation, Köln, bietet die Abschlussarbeit den Rahmen, sich noch einmal intensiver mit einem Thema, einer Methode oder einem Prozess, denen man im Laufe der Ausbildung begegnet ist, zu beschäftigen.

Gegen Ende der Ausbildung, nach etlichen Wochenenden vollgepackt mit wertvollen Theorie und Methoden-Inputs, praktischen Übungen zu deren Anwendung und intensiven Begegnungen und einem gefühlten Hin und Her in Sachen Themenwahl habe ich beschlossen, auf den Prozess zu vertrauen und tatsächlich:

Auch für mich gilt, mein Unterbewusstes war sich längst sicher und mir voraus!

Über die Monate vage im Hinterkopf und wenig greifbar, stand nach dem Anwendungsmodul fest:

Ich greife die Idee vom ersten Wochenende auf und beschäftige mich mit dem Vergleich von Prozessen des systemischen Coachings und des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), da ich bereits zu Beginn der Ausbildung vermutete, dass Elemente des systemischen Coachings sinnvoll in die Begleitung eines BEM-Prozesses eingebracht, diesen vor allem im Sinne des Klienten, besser machen könnten.

Nachfolgend beziehen sich meine Ausführungen vorrangig auf die Unterlagen und Skripte, die von InKonstellation zur Verfügung gestellt wurden sowie meine eigenen Notizen aus der Ausbildung, sofern weitere externe Quellen genutzt werden, sind diese kenntlich gemacht und im Quellenverzeichnis aufgeführt.

Grundlagen

Im Vorfeld einer vergleichenden Betrachtung ist es sinnvoll, noch einmal den Fokus zu schärfen und genau zu beschreiben, welches Objekt, Thema etc. Gegenstand der vergleichenden Betrachtung sein soll, so dass auch meine Überlegungen bei einer Definition des jeweiligen Begriffs beginnen.

Systemisches Coaching

Es gibt eine ganze Reihe, von Beschreibungen, die versuchen den Begriff des systemischen Coachings zu definieren, wobei sie in wesentlichen Elementen der Beschreibung identisch oder fast identisch formuliert sind.

Basierend auf der Grundhaltung, nach der der Einzelne immer Teil eines oder mehrere Systeme ist, so dass eine ganzheitliche Betrachtung aller betroffenen Systeme erfolgen sollte, definieren sie systemisches Coaching als:

…Beratung ohne Ratschlag – eine Beziehung zwischen Coach und Coachee, in der der Coach die Verantwortung für die Gestaltung des Coaching-Prozesses und der Coachee die inhaltliche Verantwortung übernimmt

und weiter:

„- also die Verantwortung dafür, an seinem Problem zu arbeiten…damit wird deutlich, worum es im systemischen Coaching geht- …maßgeschneidert mit ihnen konkret an anstehenden Problemen zu arbeiten und diese in möglichst effizienter Zeitnutzung zu lösen.“
(Radatz, 2010, S. 16)

Oder auch

Coaching ist eine Dienstleistung im Bereich Problem-Lösungsfindung:

und weiter:

„Der Klient hat eine Fragestellung oder mehrere Entscheidungsoptionen und der Coach unterstützt ihn dabei, seine individuelle Lösung zu finden und umzusetzen.“
(Albrecht 2018, S. 8)

Bereits an diesen beiden exemplarischen Beispielen wird deutlich, dass es um einen höchst individuellen Prozess geht, dessen Ausgang zunächst offen und von der durch den Klienten erarbeiteten Lösung abhängig ist und im dessen Verlauf der Coach als Prozessbegleiter Sorge dafür trägt, dass er durch seine Haltung dem Klienten gegenüber und durch die Gestaltung des Prozesses mittels verschiedener Methoden und Interventionen bestmögliche Voraussetzungen schafft, die es dem Klienten ermöglichen, in einer kurzen Zeitspanne für ihn passende, tragbare und zufriedenstellende Lösungen oder Entscheidungen zu erarbeiten und so die Erreichung seiner selbstgewählten Ziele zu unterstützen.

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Der Arbeitgeber ist seit dem Jahr 2004 nach Sozialgesetzbuch IX zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) verpflichtet.

und weiter:

„Wenn ein Arbeitnehmer häufig oder längere Zeit am Stück wegen Krankheit ausfällt, so muss der Arbeitgeber dazu beitragen, dass seine Arbeitskraft erhalten bleibt und er nicht dauerhaft arbeitsunfähig wird. Wie er es im Einzelnen gestaltet, bleibt ihm überlassen…

In der Regel geschieht dies, gemeinsam mit dem Betroffenen, der Arbeitnehmervertretung und anderen Beteiligten, im Rahmen eines BEM…Dabei werden alle Möglichkeiten recherchiert und ausgeschöpft.1

Es handelt sich beim BEM um einen Prozess, zu dessen Angebot der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, jedoch gilt wie beim Coaching, dass die Annahme dieses Angebots durch den Betroffenen/Klienten freiwillig ist und der Prozess erst durch dessen Angebotsannahme beginnen kann.

Hinzu kommt, dass er in der Regel ergebnisoffen ist, d.h. zu Beginn nicht absehbar ist, zu welchem Ergebnis man gelangt.

Sicherlich kann man zu beiden Prozessen noch zahlreiche weitere differenzierte Beschreibungen finden und analysieren, für den Zweck dieser Betrachtung ist allerdings auch diese Kurzfassung ausreichend, denn wie bereits bei der Beschreibung des BEM bemerkt, gelangt man unweigerlich zu den Gemeinsamkeiten beider Prozesse.

Gemeinsamkeiten

Die Haltung dahinter

In beiden Fällen, bei einem Coach, der nach dem systemischen Ansatz arbeitet und auch bei einem BEM Case Manager, geht es um eine konstruktivistische, dem Menschen zugewandte, neugierig-interessierte Haltung, die den Klienten in beiden Prozessen als Experten für sein Problem, seine Situation und die für ihn passende Lösung betrachtet.

Darüber hinaus gibt es auch hinsichtlich der Betrachtung des Klienten als Teil eines oder mehrerer Systeme viele Parallelen, wobei meine Wahrnehmung ist, dass es unerheblich ist, ob für die Fundierung Insel-Modell, OK-OK Modell oder die Ausrichtung an Kopf, Herz und Hand nach Pestalozzi oder eine systemische Betrachtung von Klient, Arbeits- und sonstigem Lebensumfeld auf der anderen Seite herangezogen wird.

Die Auftragsklärung

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Notwendigkeit einer umfassenden Auftragsklärung vor bzw. zu Beginn des jeweiligen Prozesses.

Sowohl der Coach, als auch der Case Manager muss gemeinsam mit seinem Klienten klären, mit welchem Anliegen dieser ihn aufsucht und woran er arbeiten möchte und wird ihn nur dann im Rahmen des Coachings oder BEM begleiten, wenn der Klient dies wünscht.

Auch wenn beim BEM der Hintergrund und eine sehr grobe Zielrichtung („Nachhaltige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit„) vorgegeben ist, ist die Annahme des BEM Angebotes durch den Klienten freiwillig und es muss zu Beginn und analog zum Coaching-Prozess, bei Bedarf auch erneut bzw. wiederholt, abgeklärt werden, wie der Auftrag an den Case Manager lautet.

Die Verantwortung für Prozess und Ergebnis

Weitere wesentliche Gemeinsamkeit ist die, in beiden Prozessen vorhandene, deutliche Trennung der Verantwortung für den Prozess und dessen optimaler Gestaltung bzgl. Unterstützung für den Klienten und der Verantwortung für das Ergebnis, die in beiden Fällen eindeutig beim Klienten liegt, ob er im Coaching die für ihn passsende Lösung seines Problems erarbeitet oder im BEM die für ihn passende Vorgehensweise erarbeitet, auswählt oder ausprobiert.

Die konsequente Lösungsorientierung

Sowohl im Rahmen der Auftragsklärung und des sich anschließenden Rapport-Aufbaus im Coaching Prozess, wie auch bei der vergleichbaren Situation im Rahmen des BEM zeigt sich eine weitere Gemeinsamkeit: Die konsequente Lösungsorientierung.

Sicherlich ist es in beiden Zusammenhängen wichtig und wertvoll, ein wenig mehr über den Kontext zu erfahren, jedoch nur gerade so viel wie nötig, um das Anliegen oder die Situation zu durchdringen und sich gleichzeitig, die sogenannte „Schlüsselloch-Sichtweise“ zu erhalten.

Hinzu kommt eine ausreichend große Würdigung der Situation, in der sich der Klient befindet, die ihm ermöglicht, sich wahrgenommen zu fühlen, ohne sich dauerhaft in dem Problemkontext zu verfangen.

Dann jedoch, auf Basis dieses vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Coach bzw. Case Manager und Klient, erfolgt eine konsequente Zukunfts- und Lösungsorientierung und es wird daran gearbeitet, wie diese wünschenswerte Zukunft gestaltet und erreicht werden kann:

Lösungsschritte werden beschrieben und durch den Klienten ausgewählt und ihre Umsetzung geplant, nach Möglichkeit sogar begonnen.

Die Zielorientierung und kurzfristiger Zeithorizont

Auch hier sind Parallelen zu ziehen: Beide Prozesse verfolgen das Ziel, den Klienten möglichst effizient zu unterstützen und ihn innerhalb eines kurzen Zeithorizont seiner Problemlösung bzw. Zielsetzung näher zu bringen.

Dies gilt uneingeschränkt hinsichtlich eines einzelnen Termins mit dem Klienten, aber auch für die zumeist etwas länger andauernden BEM-Prozesse:

Auch hier wird eine möglichst zeitnahe, kurzfristige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit angestrebt, so dass der Klient schnell wieder eigenverantwortlich sein (Arbeits-)Leben organisieren kann.

Der letzte Ansatzpunkt für Parallelen in den beiden Prozessen deutet es bereits an, trotz vieler Parallelen gibt es auch Unterschiede zwischen den beiden Prozessen, nach deren ebenfalls kurzer Beleuchtung, sich die Suche nach den Synergien für die Arbeit im BEM anschließt.


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Quellen bis hierher (genaue Quellenangaben befinden sich in der OriginalPDF)

1 https://www.dguv.de/disability-manager/disability-management/index.jsp aufgerufen am 30.04.2021