Bedeutung der Emotionsarbeit

Abschlussarbeit von Annika Meyering, als PDF lesen


Die Bedeutung von Emotionsarbeit im Coaching

Die Frage was ein „gutes“ Coaching ausmacht und wie es gelingend und effektiv sein kann, stellt sich wohl jeder Coach1 im Rahmen seiner Ausbildung und Arbeit.

Es gibt verschiedene Voraussetzungen, die hierfür erfüllt sein müssen und viele davon kann der Coach selbst beeinflussen.

Einige Voraussetzungen für gelingendes/effektives Coaching

Zum einen ist es sinnvoll, dass er sich selbst kennt, seine Außenwirkung, seine Bedürfnisse und Grenzen.

Er tritt in der Coachingsituation mit ein oder mehreren anderen Personen in Kontakt und zwar nicht nur in seiner Rolle als professioneller Coach, sondern automatisch auch als Mensch.

Folgen wir dem Ideal der Stimmigkeit von Schulz von Thun sollte der Coach in der Kommunikation mit dem Coachee danach streben in doppelter Weise stimmig zu sein:

Stimmig und mit sich selbst und dem Gehalt der Situation

Um mit sich selbst stimmig sein zu können, also eine Passung zwischen innerem Erleben und äußerem Verhalten zu erzeugen, muss der Coach achtsam mit sich und seinen Gefühlen sein können, sich selbst wahrnehmen und eine Bandbreite an Verhaltensweisen erlernt haben, um seinem Innenleben angemessen Ausdruck verleihen zu können.

Hinzukommt, dass er[der Coach] zu sich selbst steht und sich als Mensch greifbar und damit angreifbar macht.

Um dem Gehalt der Situation und seiner situationsbezogenen Rolle gerecht werden zu können, ist es hilfreich, ein situatives Gespür zu haben, also die jeweilige Situation (und damit auch die Emotionen und das Verhalten des Coachee) einschätzen zu können.

Person und Situation sind hierbei nicht unabhängig voneinander zu denken und jede Situation ist in ein Gesamtsystem eingebunden, welches mitberücksichtigt werden sollte (vgl. Schulz von Thun 2019).

Hierzu lohnt es sich anzuschauen, welche besondere Bedeutung die Beziehung zwischen Coach und Coachee hat und sich mit verschiedenen Ebenen der Kommunikation zu beschäftigen.

Beziehung schafft ihre eigene Wirklichkeit, die Beziehungswirklichkeit. Sobald sie einmal entstanden ist, ist sie der subjektiven Willkür entzogen, denn sie wird von mindestens zwei Menschen „gemacht“.

(Müller und Hoffmann 2008, S.46)

Daraus folgt, dass der Coach den Beziehungsaufbau und die Beziehungsgestaltung nicht alleine kontrollieren oder steuern und sie nicht einmal objektiv von außen betrachten kann, da er immer Teil der Beziehung ist.

Laut Müller und Hoffmann schaffen die beteiligten Personen also eine neue soziale Wirklichkeit, wenn sie miteinander in Beziehung treten.

Und weiter:

Das Erkunden der Beziehung ist die Bereitschaft, sich mit eigenen und kollektiven Werten kritisch auseinander zu setzen und sich auf das Risiko des Nichtwissens, auf das Gefühl der eigenen Inkompetenz einzulassen.“ (Müller und Hoffmann 2008, S.48).

Hier werden unter anderem die Grenzen deutlich, mit denen ein Coach sich im Coachingprozess auseinandersetzen muss.

Es kann zudem der Schluss gezogen werden, dass die Schaffung einer einladenden Atmosphäre und vertrauensvollen Beziehung ebenfalls zum Gelingen der gemeinsamen Arbeit unabdingbar ist. Bauer bezeichnet die Art der Kommunikation in Beziehungen auch als „miteinander in Resonanz treten“.

Er schreibt, dass das Resonanzgeschehen meist nonverbal beginne und das Bedürfnis in Resonanz zu treten eine tiefe Sehnsucht des Menschen wiederspiegle.

Weiter geht er davon aus, dass wechselseitig ausgetauschte Resonanz eine beglückende Erfahrung sei, die Möglichkeitsräume eröffne, in die das Selbst hineinwachsen könne (vgl. Bauer 2019).

Der Autor empfiehlt zudem, sich dem Phänomen der Resonanzroutine bewusst zu sein und auch einen Menschen, den man schon länger kennt, „immer wieder einmal so anzusehen, als würde er uns heute zum ersten Mal begegnen (…).“ (Bauer 2019, S.141).

Auf das Coaching bezogen bedeutet das, dass ein Coach stets versuchen sollte offen zu sein für neue Erfahrungen und Entwicklungen, die eigene Unkenntnis vorauszusetzen, dem Coachee wertschätzend und echt zu begegnen und auch non- und paraverbale Anteile der Kommunikation miteinzubeziehen.

Dies führt uns zu der bereits angesprochenen Kommunikation auf verschiedenen Ebenen.

Bereits Watzlawick beschrieb in seinen Kommunikationsaxiomen, dass kommunikativen Nachrichten neben dem Inhalts- auch ein Beziehungsaspekt innewohnt und Letzterer den Ersteren bestimmt (vgl. Watzlawick, 1969/2017).

Schulz von Thun entwickelte diesen Gedanken in seinem Nachrichtenquadrat weiter.

Um aber diese verschiedenen Ebenen einer Nachricht sowohl als Sendende*r als auch als Empfangende*r gezielt berücksichtigen zu können, bedarf es neben dem entsprechenden Wissen auch hier ein Verständnis der jeweiligen Emotionalität und die Fähigkeit eigene und ggf. fremde Emotionen beeinflussen zu können.

Ich muss also als Coach, um die oben beschriebenen Bestandteile und Voraussetzungen eines gelingenden Coachings umsetzen zu können, in der Lage sein Emotionsarbeit zu leisten.

Was genau sich hinter diesem Begriff und dieser Fähigkeit verbirgt, welche Strategien zu ihrer Anwendung eingesetzt werden können und welche Konsequenzen sie haben kann, schauen wir uns im folgenden Kapitel an.

Emotionsarbeit

Eine Begriffsbestimmung

Die amerikanische Soziologin Arlie R. Hochschild prägte erstmals Ende der 1970er Jahre den Begriff der Emotionsarbeit, worunter sie das „Management des Fühlens“ verstand.

Genauer gesagt beschrieb sie die öffentlich sichtbare Darstellung von Gefühlen2 als Gegenleistung zum Gehalt als Emotionsarbeit (vgl. Hochschild 1983/2003; Nerdinger 2013).

Eine Ausdifferenzierung der Emotionsarbeit lässt sich u.a. bei Hacker finden, der als „emotional work“ die Einflussnahme auf die eigenen Gefühle und als „sentimental work“ die Beeinflussung der Emotionen anderer Personen versteht (vgl. Hacker 2015).

Auf Coaching bezogen bedeutet das also erstens, dass ich als Coach im Rahmen der Erbringung meiner professionellen Coachingdienstleistung, für die ich bezahlt werde, den (nicht unbedingt explizit ausgesprochenen oder vereinbarten) Auftrag habe, meine eigenen Gefühle in bestimmter Form darzustellen.

Dies kann sein, indem ich „unerwünschte“ Gefühle wie Wut, Frust, Ärger nicht zeige und nicht am Coachee „auslasse“, aber auch indem ich „erwünschte“ Gefühle zeige und somit eine vertrauensvolle, wertschätzende Atmosphäre schaffe.

Zweitens kann es zu meinem Auftrag gehören, dass ich die Emotionen meines Gegenübers beeinflusse, zum Beispiel wenn ich möchte, dass er*sie sich gut fühlt oder, im Rahmen des provokativen Ansatzes, dass er*sie sich „aufregt“.

In der Praxis denken wir oft nicht darüber nach, dass wir Emotionsarbeit leisten oder dass das, was wir vielleicht intuitiv tun, so bezeichnet werden kann.

Selbst wenn es nicht explizit als Auftrag benannt wird, wird es spätestens dann deutlich, wenn die Erwartungshaltungen, die ich an mich oder die andere an mich als Coach haben, in diesem Bereich nicht erfüllt werden und dadurch ggf. das Gefühl entsteht ich hätte mich unprofessionell verhalten.

Strategien der Emotionsregulation

Es werden zwei Strategien der Emotionsregulation beschrieben:

das Oberflächenhandeln (engl. surface acting) und

das Tiefenhandeln (engl. deep acting).

In der Praxis verwenden wir in der Regel beide Strategien mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung (vgl. Hochschild 1983/2003).

Das Oberflächenhandeln hat den Ansatzpunkt der Gefühlsdarstellung. Die erwünschten Gefühle werden also nicht tatsächlich empfunden, sondern nur gezeigt, also „vorgespielt“, indem Gestik und Mimik entsprechend angepasst werden.

Da Menschen aber einige Muskelgruppen (z.B. um die Augen) nicht willkürlich steuern können, kann ein unauthentischer Eindruck entstehen, zum Beispiel ein als nicht echt empfundenes Lächeln, das den Mund, aber nicht die Augen erreicht.

Als Konsequenz daraus könnte sich ein Coachee weniger ernst genommen oder missverstanden fühlen.

Das Tiefenhandeln stellt sich im Gegenzug dazu als authentischer dar, weil hier die eigenen Gefühle so verändert werden, dass sie mit dem erwünschten Emotionsausdruck übereinstimmen.

Dies kann mittels kognitiver Techniken wie der kognitiven Umdeutung oder der Aufmerksamkeitsfokussierung erreicht werden (vgl. Beitz, 2017).

Ich versetze mich als Coach demnach in einen Zustand, in dem ich wirklich das empfinde, was ich zeigen möchte.

Dies gelingt leichter, wenn ich empathisch bin und ein aufrichtiges Interesse an meinem Gegenüber habe.

Wenn ein Coach eigene und fremde Emotionen sensibel wahrnehmen, kontrollieren und ggf. an sich verändernde Situationen anpassen möchte, bedarf dies emotionaler Intelligenz und der Aufwendung psychischer Ressourcen (= psychischer Energie) (vgl. Beitz, 2017; Nerdinger, 2013).


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Anmerkung

1 In diesem Kurzbeitrag wird ausschließlich in der männlichen Form von Coach und Coachee gesprochen, da es, meines Wissens (noch) keine gängige geschlechterübergreifende Form im Deutschen gibt. Selbstverständlich sind hiermit Coachs aller Geschlechter gemeint.
2 In diesem Kurzbeitrag werden die Begriffe Gefühl und Emotion synonym verwendet, auch wenn es in anderen Kontexten sinnvoll sein kann diese zu differenzieren.