Anknüpfung von Haltung und Vorgehensweise

im agilen Kontext

Abschlussarbeit von Schazia Delhvi, als PDF lesen


Agiler Kontext

Der Kontext, in dem Organisationen heutzutage agieren, wird zunehmend dynamisch und komplex.

Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle, zunehmender Wettbewerb, schnell wechselnde Kundenwünsche, ständig neue, innovative Produkte und Dienstleistungen sowie zunehmende Vernetzung und steigende Geschwindigkeit von Veränderungen stellen nur einige der möglichen Treiber dafür dar.

Gleichzeitig verändern sich auch die Bedürfnisse und Werte in der Gesellschaft und so auch von Mitarbeitenden sowie deren Anforderungen an die Arbeitswelt (z. B. mehr Partizipation oder Autonomie im Arbeitsalltag erleben), denen ebenfalls Rechnung getragen werden sollte, um als Organisation attraktiv zu bleiben (vgl. Franken, 2016; Häusling et al., 2019).

Um in diesem turbulenten und unvorhersehbaren VUCA-Kontext (volatile, uncertain, complex, ambiguous) flexibel, anpassungs-, veränderungs- und marktfähig zu bleiben und auf sich stetig verändernde Kundenwünsche schnell reagieren zu können, stellen sich viele Organisationen agil(er) auf (vgl. z. B. Franken, 2016; Häusling et al., 2019; Olbert, 2019).

Agilität steht für die Fähigkeit, in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umfeldern in kurzer Zeit angemessen (re)agieren zu können – strategisch, organisatorisch und kulturell

(Petry & Konz, 2021, S. 36).

Organisationen gelten als agil, „wenn die handelnden Akteure agil denken und handeln“ (Petry & Konz, 2021, S. 37). Um dies zu erreichen, ist eine agile Haltung bzw. ein agiles Mindset (‚being agile‘) erforderlich (vgl. Hofert, 2018). Ein sog. agiles Mindset „lässt sich durch normative Werte beschreiben, die sich in Prinzipien bzw. Handlungsgrundsätzen manifestieren“ (Petry & Konz, 2021, S. 37).

Das agile Mindset ist nach Hofert (2018) beweglich und anpassungsfähig, wenn sich beispielsweise neue Informationen oder Erfahrungen ergeben und kann verschiedene Perspektiven integrieren. Solch ein Mindset kann laut Hofert (2018) entwickelt – jedoch nicht einfach geschult – werden und benötigt u. a. ein „passendes Umfeld und Rahmenbedingungen“ (S. 5).

Agiles Handeln manifestiert sich wiederum beispielsweise in einzelnen agilen Praktiken (z. B. Scrum, Kanban-Board) sowie „in der Kombination verschiedener Praktiken in Form von ausgearbeiteten Prozessen und Strukturen (z. B. SA-Fe, Holacracy). Durch die Anwendung von agilen Praktiken und Ansätzen, wird „agil gehandelt“ (Petry & Konz, 2021, S. 37) (‚doing agile‘).

Hinsichtlich der agilen Werte sei das Agile Manifesto (2001) erwähnt:

Eine Reihe von Softwareentwicklern hat 2001 vier agile Wertepaare und 12 agile Prinzipien definiert, die heutzutage nicht nur in der Softwareentwicklung, sondern auch in vielen weiteren Organisationsbereichen Anwendung finden.

Diese wurden im sogenannten Agilen Manifest (vgl. Beck et al., 2001) veröffentlicht.

Die vier agilen Wertepaare

    1. Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
    2. Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
    3. Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlungen
    4. Eingehen (Reagieren) auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Während die Werte auf der rechten Seite durchaus wichtig sind, werden die Werte auf der linken Seite im agilen Kontext höher eingeschätzt (vgl. Beck et al., 2001).

Die 12 agilen Prinzipien

    1. Kundenpriorität
      höchste Priorität ist Kundenzufriedenheit
    2. Veränderungsbereitschaft
      Änderungen stets willkommen heißen
    3. Schnelle, iterative Lieferung funktionsfähiger Produkte
      regelmäßig Wert liefern
    4. Zusammenarbeit
      Fachexperten müssen täglich zusammenarbeiten
    5. Motivierte Individuen
      benötigtes Umfeld und Unterstützung bieten
    6. Kommunikation von Angesicht zu Angesicht
      effektivste Methode zur Infoweitergabe
    7. Funktionsfähige Inkremente
      (Teil-)Lösungen
      wichtigstes Fortschrittsmaß
    8. Gleichmäßiges Tempo
       nachhaltige Entwicklung von Lösungen; Tempo halten können
    9. Exzellenz in Technik und Design
      ständiges Augenmerk darauf legen
    10. Einfachheit
      die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren
    11. Selbstorganisierte Teams
      die besten Anforderungen und Entwürfe entstehen so
    12. Reflexion in regelmäßigen Abständen
      wie kann Team effektiver werden

Diese Wertepaare und Prinzipien bilden das Fundament für agiles Denken und Handeln

(vgl. Petry & Konz, 2021).

Natürlich stehen sie nicht abschließend und alleine für agile Werte und Prinzipien, denn einzelne agile Methoden und Frameworks können auch auf weitere und andere Werte und Prinzipien Bezug nehmen.

Das Scrum Framework bezieht sich beispielsweise auf die fünf Werte Fokus, Respekt, Offenheit, Commitment und Mut (vgl. Schwaber & Sutherland, 2020).

Dennoch stellen diese vier Wertepaare den Ursprung und eine Basis für ein agiles Mindset dar.

Insbesondere das Mindset sowie agile Werte und Prinzipien haben einen engen Bezug zu einer agilen Kultur (‚being‘ agile), während das Nutzen von agilen Methoden und Frameworks eher Ausdruck von agilem Handeln (,doing‘ agile) ist.

Letzten Endes ist es erstrebenswert, dass die Individuen agil denken (‚being‘ agile), da sich das entsprechende Handeln daraus ergibt (‚doing‘ agile) (vgl. Oesterreich & Schröder, 2016; Petry & Konz, 2021).

Es besteht jedoch die Restriktion, direkt die Kultur zu verändern, da diese komplex, träge und lediglich indirekt beeinflussbar ist.

Um eine Kulturveränderung zu bewirken, führt der Weg über die Veränderung des alltäglich gezeigten Verhaltens von Individuen. Dieses Verhalten, welches sich sowohl in der Kommunikation als auch in der Zusammenarbeit zwischen den Individuen ausdrückt, spiegelt die Kultur einer Organisation wider und macht diese somit sichtbar.

Daher steht auch die Kulturveränderung in Richtung Agilität im permanenten Wechselspiel mit dem Einsatz und dem Erleben agiler Ansätze

(Petry & Konz, 2021, S. 37)

Es handelt sich um dynamische und kontinuierliche Wechselwirkungen.

Welche Ansatzpunkte bestehen in einer Organisation, sich in Richtung Agilität zu entwickeln und

wie kann der systemische Ansatz in diesem Zusammenhang genutzt werden?

Soviel sei vorab gesagt:

Der systemische Ansatz kann in diesem Kontext wertvolle und hilfreiche Impulse liefern, die auf unterschiedlichen Ebenen (Individuum, Team, gesamte Organisation) einer Organisation Wirkungen erzielen können.

Vor diesem Hintergrund soll in dieser Arbeit zunächst auf den Begriff des Systems eingegangen werden. Im weiteren Verlauf wird dargestellt, wie systemisches Denken und Handeln sowohl auf der Individual- als auch Team- und Organisationsebene im agilen Kontext anknüpfungsfähig ist.

Dabei wird der Bezug zur systemischen Haltung und Vorgehensweise sowie deren Relevanz und Anschlussfähigkeit im agilen Umfeld in den Fokus gerückt und herausgearbeitet.

Die Betrachtung eines Systems

Zunächst soll der Begriff des Systems definiert werden.

Grundlegend ist zunächst einmal festzuhalten:

Ein System ist immer eine Beschreibung eines zusammengesetzten Gebildes aus verschiedenen Einzelteilen (Komponenten) und ihrer Beziehungen (Relationen) untereinander

(Lindemann & Hnatenko, 2019, S. 52)

Neben den Komponenten und Relationen zwischen diesen gibt es eine dritte Komponente von Systemen: ihre Grenze.

Durch diese wird das System von seiner Systemumwelt getrennt, sprich „von allen Komponenten und Relationen, die nicht Bestandteil des beschriebenen Systems sind“ (Lindemann & Hnatenko, 2019, S. 52).

Vor diesem Hintergrund können Relationen eines Systems mit seiner Systemumwelt beschrieben werden – beispielsweise wenn ein System als Teil / Subsystem eines größeren Systems (z. B. ein Individuum als Teil eines Teams oder ein Team als Teil eines Clusters oder einer Abteilung) verstanden wird.

Weiterhin wird ein System als „eine Einheit, die als Ganzes existiert und funktioniert, indem ihre Teile zusammenwirken“ (O’Connor & McDermott, 2004, S. 22) definiert.

Im Sinne der personalen Systemtheorie von Bateson (1995) sind die Teile bzw. „Elemente eines sozialen Systems die in diesem System handelnden Personen“ (König & Volmer, 2008, S. 38). König & Volmer (2008, 2010) beschreiben sechs Merkmale, die soziale Systeme kennzeichnen:


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