Agile Coach

Coaching in der VUCA-Welt

Abschlussarbeit von Anica Schmitz-Remy, als PDF lesen


Die Welt verändert sich

Einleitung

Ein Systemischer Coach kann in einer Vielzahl Feldern tätig und wirksam werden.

Ein Bereich, der in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, ist das agile Umfeld. Agilität ist, häufig als Buzzword, in aller Munde und große Unternehmen „agilisieren“ ihre Prozesse.

Unterstützen soll dabei oftmals ein Agile Coach. Gefragt ist dabei häufig auch Wissen über Systemtheorie und systemisches Arbeiten.

Um zu begreifen, was Coaching in agilen Umfeldern bedeutet und warum dies in der heutigen Zeit immer mehr nachgefragt und gefordert wird, ist es wichtig zu verstehen, was die aktuelle, sich verändernde (Arbeits-)welt ausmacht und zu klären wie wir uns an diese Veränderung anpassen.

Vorweg möchte ich betonen, dass die Rolle des Agile Coaches sehr vielfältig ist und einem steten Wandel unterliegt. Darüber wird die Rolle, je nach Organisation und Hintergrund, sehr unterschiedlich aufgefasst. Es gibt hierzu kein einheitliches Theoriekonstrukt.

In dieser Arbeit kann es also keinesfalls um eine vollständige Darstellung gehen, sondern um einen Überblick über die Facetten der Rolle und den Bezug zum systemischen Coaching.

Digitalisierung

Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung, das viele gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringt, die sich auch beruflich stark auswirken.

Begonnen hat das „Zeitalter der Digitalisierung“ ca. im Jahr 1990 mit dem Aufkommen der digitalen Vernetzung durch PCs. Auch wenn zu Beginn nur ein kleiner Teil der Menschen an das Internet angeschlossen war, wurde die Nutzung immer intensiver. E-Mails wurden mehr und mehr zur Kommunikation genutzt und Informationen im Internet gesucht und gefunden. Anfangs galt das Internet nur als weiterer Kommunikations- und Informationskanal, was sich jedoch recht schnell änderte.

War es am Anfang vor allem die stationäre Vernetzung über Rechner, wurde ab ca. 2000 die Vernetzung immer mobiler. Durch die Verbreitung des ersten iPhones ab 2007 wurde endgültig der Zugang zum Internet mobil.

Die Digitalisierung verändert Prozesse und Lebensbereiche wie Dienstleistungen, Bildung, Reisen und natürlich die Kommunikation.

Auch die Automatisierung von Prozessen geht stetig voran und verändert viele Berufsfelder bedeutend. Prognostiziert wird ein Ende des Zeitalters ca. um das Jahr 2030.

Insbesondere in den Jahren 2020 und 2021 wurde der Prozess durch das Corona-Virus beschleunigt. Plötzlich mussten die Menschen sich vorwiegend in den eigenen vier Wänden aufhalten. Sie mussten vielfach nicht nur ins Homeoffice wechseln, sondern auch online Verträge abschließen, vom Sofa aus mit Freunden kommunizieren und Kleidung bestellen.

Die Corona Pandemie gilt daher als starker Beschleuniger der Digitalisierung.

Globalisierung

Auch die Globalisierung spielt eine große Rolle bei der Veränderung der (Arbeits-)welt. Kommunikation und Handel geschieht über Ländergrenzen hinweg.

Die ganze Welt ist miteinander vernetzt.

Hierbei kommt es zu großen Abhängigkeiten, denn eine Störung oder Krise betrifft nie mehr nur eine Region, sondern macht sich weltweit bemerkbar. Auch dies hat sich bei der Coronapandemie deutlich gezeigt. Verschiedene Kulturen, Sprachen, Zeitzonen und Mentalitäten sorgen zusätzlich für Komplexität.

VUCA Welt

Der Begriff VUCA wurde in den 1990er Jahren von der US-Armee geprägt und bezeichnete zunächst einmal die Veränderungen nach dem Kalten Krieg. Heute wird der Begriff verwendet, um das aktuelle Umfeld der Unternehmen vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Automatisierung zu beschreiben.

Klassische Vorgehensweisen wie langfristig geplante Prozesse, z.B. eine Planung nach dem Wasserfallprinzip, funktionieren in diesem Umfeld, wenn überhaupt, nur teilweise.

VUCA besteht aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe Volatility (Volatilität), Uncertainty (Ungewissenheit/ Unsicherheit), Complexity (Komplexität ) sowie Ambiguity (Ambiguität).

Dabei werden mit den Begriffen folgende Eigenschaften verbunden, die Einfluss auf Privatleben, aber vor allem auch auf Organisationen und die gesamte Wirtschaft haben.

Volatility
Veränderungen finden zunehmend und mit hoher Geschwindigkeit statt. Dabei herrscht eine hohe Intensität von Schwankungen.

Uncertainty
Da die Veränderungen so schnell und schwankend stattfinden, sind sie immer schwerer vorhersehbar. Es herrscht häufig ein Mangel an Informationen und Wissen.

Complexity
Die Welt ist komplex durch Ursachen und Wirkungen mit unklarer Korrelation.
Es gibt eine große Zahl an externen Einflussfaktoren und Abhängigkeiten voneinander, die nicht mehr durchdrungen werden können und intransparent sind.

Ambiguity
Der Begriff umschreibt, dass einzelnen Situationen und Umfelder mehrdeutig gedeutet werden können. Es gibt keine eindeutigen Schlussfolgerungen mehr.

Die Arbeitswelt wird komplex

Dass die Arbeitswelt sich verändert wird deutlich.

Im Zeitalter der Industrialisierung und in der darauf folgenden Zeit wurden überwiegend lineare Prozesse etabliert.

Das ist in der digitalen und globalen VUCA-Welt nicht mehr der Fall. Planbarkeit ist in vielen Fällen nicht bzw. nur kurzfristig gegeben. Aufgrund der hohen Volatilität entsteht eine große Unsicherheit, denn Umfelder, Vorgaben und Maßnahmen sind kaum vorhersehbar.

Kompliziert vs. Komplex

Die Begriffe kompliziert und komplex werden häufig synonym verwendet, bedeuten jedoch zwei unterschiedliche Dinge.

Wenn etwas kompliziert ist, ist es zwar nicht unbedingt auf den ersten Blick verständlich und ggf. muss ich mir Wissen zum Verständnis aneignen.

Es gibt aber klare Regeln und Abhängigkeiten, sodass ich ein Problem mit den nötigen Kenntnissen lösen kann.

Komplizierte Systeme sind vorhersehbar und es gibt zur Lösung Methoden und Tools.

Komplex ist hingegeben alles, was nicht vorhersehbar ist.

Auch mit dem nötigen Wissen kann niemand eindeutig herleiten, wie sich ein komplexes System verhält. Der Mensch als solcher ist ein komplexes Wesen.

Veränderte Kundenanforderungen

Die hohe Volatilität und Unsicherheit betrifft auch die Entwicklung von Produkten, vor allem von digitalen Produkten.

War eine Entwicklung – beispielsweise der Bau einer Brücke oder eines Autos – kompliziert, so ist die Entwicklung eines digitalen Produkts – zum Beispiel die Erstellung einer Software – komplex.

Dazu kommt:

Wurden früher vor allem Produkte weiterentwickelt und auf bestehenden Systemen und Ideen aufgebaut, so geht es immer stärker darum Kunden wirklich zu überzeugen, indem ein echter Mehrwert für den Kunden geschaffen wird.

Es verändern sich nicht nur die Technologien und Märkte, sondern auch die Erwartungen der Kunden und der Mitarbeiter.

Insgesamt kommt es durch die Digitalisierung also zu einem starken Druck auf Organisationen. Sie müssen sich anpassen. Dabei kommt es entweder zu einer Transformation durch Druck von außen oder zu einer Transition von innen durch eine aktive Entscheidung des Unternehmens.

Über viele Jahrzehnte hinweg wurden Projekte und die Entwicklung von Produkten anhand der Wasserfall Methode durchgeplant.

Das bedeutet, dass Projekte vollumfänglich im Voraus geplant und möglichst alle Faktoren berechnet wurden. Diese Pläne wurden etappenweise von spezialisierten Abteilungen oder Experten abgearbeitet.

Die Darstellung in Gantt-Charts, bei der der Prozess wie eine Treppe oder ein stufenweiser Wasserfall abgebildet ist, gab der Methode Ihren Namen.

Agilität als (mögliche) Antwort

Wie gehen wir also mit der VUCA Welt um?

Wie schaffen Organisationen es, Kunden zu begeistern?

Wie soll mit der schnelllebigen Welt und der Unsicherheit umgegangen werden?

Eine mögliche Antwort, die derzeit in fast allen Organisationen mehr oder weniger laut herumgeister ist: Agilität.

Der Begriff agil stammt vom lateinischen agilis ab und bedeutet „beweglich, behände, rasch“. Der Begriff agere aus dem lateinischen heißt „bewegen, in Bewegung setzen, treiben“.

Agilität ist somit das Gegenteil von Stillstand, sondern bedeutet Beweglichkeit und eine hohe Anpassungsfähigkeit an äußere Umstände.

Hervorzuheben ist, dass Agilität als Antwort nur in solchen Umfeldern Sinn ergibt, die tatsächlich als komplex zu sehen sind.

Je mehr Informationen vorliegen, je mehr Anforderungen klar und je mehr das Wissen und die Fähigkeiten in einem Team vorhanden sind, desto weniger sinnvoll ist es, auf agile Weise im Sinne der nächsten Kapitel vorzugehen.

Agilität macht also nur in komplexen Umfeldern Sinn. Ralph Douglas Stacey hat zur Visualisierung eine Matrix erstellt, die dies aufzeigt.


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