Coaching als Element des eigenen Führungsstils

Abschlussarbeit von Julia Müller, als PDF lesen


Einleitung

Im Jahr 2019 wurde ich das erste Mal in der Rolle einer disziplinarischen Führungskraft verantwortlich. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass ich Unterstützung benötige, um meinen eigenen Führungsstil zu entwickeln.

Selber mit dem großen Glück einer hervorragenden Führungskraft ausgestattet zu sein, waren meine Ansprüche an mir selbst von Anfang an hoch.

Ich habe hierfür versucht viel von meiner Führungskraft zu lernen. Ich habe aber – besonders in kritischen Situationen – gemerkt, dass ich meinen eigenen Weg finden muss, wie ich als Führungskraft agieren möchte.

Deshalb habe ich meinen Arbeitgeber um Unterstützung ersucht und mir wurde die Möglichkeit gegeben eine Ausbildung zum systemischen Coach zu machen.

Seit Beginn meiner Coaching-Ausbildung ist mein Team gewachsen. Zudem befinden wir uns mitten in einer Integration zweier Unternehmen.

Als Führungskräfte sind wir hier im besonderen Maße gefragt, Sicherheit und Orientierung zu geben und gleichzeitig die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu gehen, neue Dinge auszuprobieren und mutig den Merger mitzugestalten.

Der Augenmerk dieser Arbeit ist deshalb aufzuzeigen, wie sich mein Verständnis von Führung durch die Ausbildung verändert hat, welche Methoden in der Arbeit mit meinem Team hilfreich für mich sind und wie mir vor allem die systemische Haltung dabei hilft, meiner Rolle gerecht zu werden.

Leadership is not about you; it’s about investing in the growth of others.

Ken Blanchard

Haltung

Direkt zu Beginn meiner Coaching Ausbildung hatte ich einen AHA Moment, als wir darüber gesprochen haben, dass es nicht die EINE Wirklichkeit gibt.

Jeder von uns erlebt Situationen anders, geprägt durch Erfahrungen aus der Vergangenheit, erlernten Verhaltensmustern und Werten. Somit bewertet auch jeder eine Situation sehr individuell.

Jeder von uns erzeugt seine Wirklichkeit selbst. Dies führt dazu, dass jeder Mensch ein Experte für sich selber ist.

Oder, anders ausgedrückt, dass ich als Führungskraft immer nur Ausschnitte meiner Teammitglieder zu sehen bekomme und somit auch nicht ihre Wirklichkeit zu großen Teilen nachvollziehen kann.

In der Vergangenheit verspürte ich häufig den starken Impuls, die an mich heran getragenen Probleme und Herausforderungen zu lösen.

Ich habe es als unglaublichen Druck empfunden, es eigentlich immer am besten wissen zu müssen. Dass, obwohl ich sehr diverse Typen und Fachexpertisen in meinem Team habe.

Ich hatte den Anspruch für jedes Problem eine Lösung oder einen Lösungsweg aufzeigen zu können. Häufig war die Enttäuschung auf beiden Seiten groß, wenn der von mir gegebene Ratschlag zwar in die Tat umgesetzt wurde, aber nicht zur Lösung führte.

Heute weiß ich, dass es kein Zufall ist, dass dieser Weg nicht zum Erfolg geführt hat.

Es liegt nicht daran, dass meine Ratschläge per se schlecht waren, oder mein Team nicht in der Lage war diese umzusetzen.

Die Ursache liegt darin begründet, dass ich einen Ratschlag gebe, der perfekt auf mich selber zugeschnitten ist. Eine Lösung oder ein Lösungsweg der zu mir passt.

Dieser entspricht meiner Persönlichkeit und passt zu meinen Handlungen, Werten und Bewertungen. Dies bedeutet noch lange nicht, dass das der richtige Weg für meine Teammitglieder ist.

Inzwischen arbeite ich in der Führung meiner Mitarbeiter sehr viel mehr mit Fragen, um die Kolleg:innen dazu zu befähigen, ihre eigenen Lösungsansätze zu erarbeiten.

Diese sind dann ganz individuell auf sie zugeschnitten. Damit erhöht sich die Erfolgswahrscheinlichkeit.

Natürlich gibt es Situationen, in denen meine Entscheidung als Führungskraft gefragt und notwendig ist. An der genauen Ausgestaltung dieser Umsetzung versuche ich, das Team aber immer teilhaben zu lassen. Zunächst ist dieses veränderte Vorgehen nicht ausschließlich auf Gegenliebe gestoßen.

Ich bin doch zu dir gekommen, damit du mir jetzt sagst, was ich machen soll.“

Inzwischen bekomme ich häufig das Feedback, dass das Team es sehr wertschätzt, dass ich als Führungskraft nicht einfach Ratschläge gebe, sondern dabei helfe eigene Lösungen zu entwickeln.

Dies führt auch dazu, dass die Teammitglieder sich ihrer Ressource Themen selber lösen zu können, bewusster werden.

Zudem entwickeln sie ihre Fähigkeiten hierzu weiter und können diese auf andere schwierige Situationen anwenden.

Des Weiteren hilft mir das Wissen, dass jeder Mensch in jeder Situation in einer für sich positiven Absicht handelt.

Auch wenn mir diese Absicht nicht immer auf Anhieb transparent erscheint, ist es gut zu Wissen, dass diese existiert. Wenn ich in meiner Bewertung also beispielsweise destruktives Verhalten wahrnehme, stelle ich mir aktiv die Frage, was die positive Absicht hinter diesem Verhalten sein könnte.

Mit ein wenig Empathie und einem Perspektivwechsel, findet man hier eigentlich immer eine Antwort auf diese Frage.

Dies ermöglicht es mir als Führungskraft ganz anders auf meine Mitarbeiter einzugehen.

Aktives Zuhören

Wie oft führen wir ein Gespräch mit einem anderen Menschen und noch während die Person spricht, formulieren wir im Kopf unsere Erwiderung?

Oder bilden uns eine Meinung und warten nur darauf, unsere Sicht auf die Dinge loswerden zu können?

Gar im schlimmsten Fall unterbrechen wir vielleicht die Person, um unseren Punkt loszuwerden?

Wie oft nehmen wir uns gar nicht die Zeit oder machen uns nicht die Mühe, wirklich das Gesagte zu verstehen, bevor wir antworten?

Beim aktiven Zuhören geht es darum, wirklich verstehen zu wollen was das Gegenüber sagt.

Ich habe festgestellt, dass es beim Führen von Mitarbeitern einen großen Unterschied macht, wie ich zuhöre.

Wenn ich nochmal zusammenfasse, was ich verstanden habe oder Rückfragen stelle, ergibt sich häufig, dass es einen (entscheidenden) Unterschied in dem gibt, was gesagt wurde und dem was ich verstanden habe.

In den wöchentlichen 1:1 Gesprächen mit meinen Mitarbeitern, die Covid-19 bedingt zurzeit online stattfinden, habe ich es mir angewöhnt das Einschalten der Kamera zur Grundvoraussetzung zu machen.

Ich drehe mein Handy mit dem Display nach unten und verändere meine Skype-Status auf „Nicht stören“, um Ablenkungen zu vermeiden.

Dann gehe ich mit dem Anliegen in die Gespräche, 30 Minuten wirklich verstehen zu wollen, was meine Mitarbeiter mir sagen wollen.

Ich möchte das Interesse der Mitarbeiter hinter der formulierten Position verstehen (Harvard Modell).

Der positive Effekt des aktiven Zuhörens zeigt sich aus meiner Sicht zum einen in der Vermeidung von Missverständnissen und Konflikten.

Zum anderen ist es eine gute Basis dafür, dass die Mitarbeiter das Gefühl haben, in ihren Anliegen ernst genommen zu werden.

Es schafft eine positive Gesprächskultur als Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Fokuslenkung

Mein Team und ich stehen vor der Herausforderung, nach einem Merger unsere Abteilung neu etablieren zu müssen.

Aus dem gekauften, kleineren Unternehmen kommend, stoßen wir häufig auf Herausforderungen im Großkonzern, mit denen wir uns schwertun.

Nichts fällt da leichter, als den Fokus auf die störenden Elemente zu lenken, sich darüber zu beklagen, was alles nicht mehr klappt und wieviel besser es für eine Einheit wie uns in einem kleinen, dynamischen Unternehmen war.

Der Punkt ist aber, dass dies zum einem nicht mehr der Fall ist und sich diese Situation auch nicht mehr herstellen lässt (Restriktion).

Vor allem aber sind wir mit diesem Fokus nicht gut in der Lage, unsere Zukunft zu gestalten.

Daher nutze ich gerne Methoden zur Fokuslenkung,  um die gesamten Ressourcen, die im Team verfügbar sind, nutzbar zu machen.

Gerade wenn wir über Herausforderungen in Projekten sprechen, insbesondere darüber wie wir unsere Abteilung noch besser etablieren und mehr Akzeptanz für unsere Arbeitsweisen schaffen können, hilft es den Fokus bewusst zu lenken.

Das auf Seite 6 abgebildete Model habe ich zu Beginn eines ganztägigen Strategieworkshops mit meinem Team geteilt.

Gerade die Erkenntnis, dass uns im Problemfokus weit weniger Ressourcen zur Lösung einer Situation zur Verfügung stehen als im Kompetenz-/ Lösungsfokus, hat das Team sehr interessiert aufgenommen.

Wir haben seitdem ein Zeichen vereinbart, dass wir uns gegenseitig geben, wenn wir in eine Art Problemstrudel geraten.

Vgl. Fotoprotokoll Syst. Coaching Ausbildung Modul 6 Hypnosystemische Konzepte, Seite 6

Morning Power Questions

Seit wir aufgrund von Covid-19 zu 100 % im Homeoffice arbeiten, haben wir jeden Morgen zum Start in den Tag einen „Team-Huddle“.

Ziel ist es vor allem, den zwischenmenschlichen Kontakt im Team aufrecht zu halten und wir vermeiden es, (bis auf wenige Ausnahmen) explizit in diesem Termin über fachliche Fragestellungen zu sprechen.

Im Fokus steht steht der Team-Austausch zu diversen Themen.

Um mit einem guten und hilfreichen Fokus in den Tag zu starten, stellen wir uns häufig gegenseitig „Morning Power Questions“.

Wofür bist du gerade in diesem Moment dankbar?

Worauf bist du gerade stolz?

Der Kreativität an Fragen ist keine Grenzen gesetzt und es versetzt einen zum Start in den Tag in einen positiven Fokus.


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