Ressourcenorientierte Arbeit mit Jugendlichen

Systemische Coaching-Tools im Kontext der

stationären Jugendhilfe

Abschlussarbeit von Tobias Heimann, als PDF lesen


„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen es in ihm selbst zu entdecken“
Galileo Galilei

Einleitung

Als Sozialpädagoge in einer Jugendhilfeeinrichtung arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen, welche zum Teil seit vielen Jahren außerhalb des Familiensystems leben.

Die Rolle der Fachkräfte die mit diesen Kindern/Jugendlichen arbeiten, reicht meiner Einschätzung nach je nach Entwicklungsstand und Lebensalter von Elternersatz über Berater, Begleiter, Beschützer, Versorger, usw.

Begeben sich Jugendliche in die Phase der Verselbstständigung, kommen besondere Anforderungen auf die Fachkräfte zu.

Meiner Überzeugung nach braucht es an dieser Stelle erwachsene Persönlichkeiten, die in der Lage sind, die Jugendlichen so zu begleiten, dass diese sich ihrer Stärken und Ressourcen bewusst sind und so in Selbstwirksamkeitserwartung ihre Zukunftsthemen angehen können.

Dafür braucht es eine differenzierte Haltung.

Die Herausforderung an die Fachkräfte besteht laut Gehrmann (2015) darin, einerseits ein Höchstmaß an Normalität anzubieten (Begleitung bezüglich Freizeit, Schule und Gesundheitsversorgung) und andererseits Erleben und Verhalten der Jugendlichen unter funktionalen Aspekten im System zu berücksichtigen und damit entsprechend professionell umzugehen.

Im Rahmen der systemischen Coachingausbildung haben mich folgende Fragen beschäftigt:

• Wie hilfreich ist eine systemische Coaching-Haltung für Fachkräfte im Entwicklungs- bzw. Verselbstständigungsprozess von Jugendlichen?

• Wie lassen sich Coaching-Tools in einem „Nicht-Coaching-Setting“ anwenden bzw. wie erfolgreich kann dies gelingen?

Am Beispiel des Tools timeline habe ich wichtige Lebensereignisse der Jugendlichen mit ihnen gemeinsam visualisiert und mit Emotionen in Verbindung gebracht.

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Erfassung der Ressourcen gerichtet.

Coaching, Systemisches Coaching und systemische Coachingtools

Radatz (2010) beschreibt Coaching als gemeinsamen Tanz, in dem der Coach dem Coachee die passenden Fragen stellt, um gemeinsam passende Lösungen zu den vom Coachee angesprochenen Problemen zu bilden.

Dabei sollen Coach und Coachee gleichwertige Partner sein, von denen nicht Einer über mehr und der Andere über weniger Wissen verfügt.

Auf einen Tanz muss man sich einlassen, er lässt sich nicht im Detail planen.

Beide Partner passen sich im Idealfall laufend in Form, Dynamik, Ausführung und nonverbalem Ausdruck aneinander an.

Systemisches Coaching lässt sich demnach nicht als weiteres „Tool“, welches wie viele andere Punkt für Punkt beschreibungsgetreu abgearbeitet werden kann, sondern als Haltung beschreiben.

Es geht darum, sich der eigenen Problemlösungsfähigkeit der Menschen zu bedienen. Als Coach die Verantwortung für die Gestaltung des Coachingprozesses zu übernehmen und dem Coachee die inhaltliche Verantwortung zu geben, ist die große Kunst des Systemischen Coachings.

Radatz geht davon aus, dass wenn wir täglich unsere Wirklichkeit nicht „erleben“, sondern sie uns konstruieren bzw. erschaffen, wir auch in der Lage sind die dazu passenden Lösungen zu konstruieren bzw. „zu erschaffen“ (Radatz 2010).

Konkret anstehende Probleme, an welchen im Coaching gearbeitet wird, lassen sich den Bereichen Beruf, Privatleben und Organisation zuordnen oder können dazwischen angesiedelt sein.

Ein (klassisches) Coaching in dem ein Thema komplett bearbeitet wird, lässt sich nach Radatz(2006) in folgende Phasen einteilen:

Einstieg,

Problemschilderung,

vom Problem zum Ziel,

Auftragsgestaltung,

Lösungsfokussierung,

Lösungserarbeitung,

Bildung konkreter Maßnahmen.

Dieser Ablauf kann mit beliebigen (systemischen) Fragestellungen gefüllt werden. In einem anstehenden Coaching werden Coachinginstrumente auf Grundlage der Ziele des Coachees gewählt.

Coachinginstrumente lassen sich sehr unterschiedlichen Zielen zuordnen.

Im Coaching sprechen wir auch von verschiedenen Coaching-Methoden und Coaching-Tools.

Eine Coaching- Methode stellt nach diesem Verständnis einen Werkzeugkoffer dar, der dann verschiedene Werkzeuge – die Coaching – Tools – beinhaltet.

Die in den folgenden Kapiteln vorgestellte „timeline“ lässt sich als Coaching-Tool einordnen.

Timeline – ein Coaching-Tool

Die Arbeit mit der Timeline geht bis in die 70er Jahre zurück, wo sie erstmalig eingesetzt wurde.

Breiteren Einsatz fand die Technik dann ab den 80er Jahren durch den Hypnotherapeuten Tad James. Er entwickelte gemeinsam mit dem NLP-Trainer Wyatt Woodsmall die Time Line Therapie, die als fast eigenständige Methode innerhalb des NLP insbesondere zur Heilung traumatischer Erlebnisse eingesetzt wird.

Die Arbeit mit der Timeline beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, sondern kann auch für andere Ziele eingesetzt werden.

Im Coaching und Training ist die Timeline-Arbeit eine weit verbreitete Methode, denn sie ist ein vielseitiges Instrument für unterschiedliche Einsatzgebiete.

Und weiter:

„U.a. können vergangene belastende Erfahrungen bearbeitet werden, aber auch zukünftige Situationen durch Rückgriff auf Ressourcen leichter handhabbar gemacht werden (Format „RessourcenTimeline“). Grundsätzlich ist bei der Veränderungsarbeit ein sogenannter „Future Pace“ (gedanklicher Schritt in die Zukunft) hilfreich, da so ein gedankliches Ausprobieren der entwickelten Lösungen und Handlungsweisen möglich ist. Was wir intensiv bereits gedacht haben, können wir im realen Tun leichter verwirklichen.“ (Heller 2021)

Die Timeline ist auch als eine imaginative Repräsentanz des Ablaufs der Ereignisse der Lebensgeschichte zu beschreiben.

Mit Hilfe der Timeline verlassen wir (die Coaches) die Ebene des Gespräches und begeben uns mit dem Gegenüber auf eine körperliche Ebene.

Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass wir von der rein verstandesgesteuerten Ebene auf die emotionale Ebene gelangen. Verdeckt geglaubte Erfahrungen werde sanft reaktiviert – und somit dem Klienten wieder zugänglich gemacht.

Im therapeutischen Einsatz (sowie im systemischen Coaching) erscheint bedeutsam, dass ausgehend von der Gegenwart Bilder/Ereignisse aus der Vergangenheit in Gedanken aufgesucht werden, die möglicherweise für die derzeitige Fragestellung noch eine Rolle spielen.

Die körperliche Bewegung des Klienten / der Klientin – das Laufen entlang der Zeitlinie zum Punkt des Ereignisses – wird durch den Therapeuten / die Therapeutin (sowie dem Coach) aktiv begleitet und sorgt damit für Stabilität und Sicherheit.

Durch die zeitliche Ordnung der Erlebnisse gelingt es Klienten/Klientinnen besser, Ordnung und Struktur in die eigenen Erfahrungen zu bringen.

Darüber hinaus knüpfen sie

Verbindungen zwischen den einzelnen Ereignissen und zu den Elementen, die sie in ihren Erlebnissen positiv unterstützt und begleitet haben.

Innere und äußere Kraftquellen werden reaktiviert und können den Klienten/ die Klientin in der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Thema positiv unterstützen (Strehlau 2021).


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