Magic of Coaching

Abschlussarbeit von Anja Otten-Reichel, als PDF lesen


Vorwort zum Prolog

Die folgende Geschichte basiert auf wirklich wahren Begebenheiten, die die Autorin vor noch gar nicht allzu langer Zeit selbst erlebt hat, und ist in dieser niedergeschriebenen Form entstanden als schriftliche Abschlussarbeit der Autorin im Rahmen ihrer Ausbildung zum systemischen Coach bei InKonstellation.

Prolog

Ich, die Autorin, wage an dieser Stelle ein Experiment. Und zwar das, eine persönlich gemachte, von mir tatsächlich als magisch empfundene, Erfahrung während eines hypnosystemischen Coachings in die äußere Form einer (hoffentlich!) unterhaltsamkurzweiligen Geschichte zu „verpacken“ und dabei gleichzeitig auch Fachliches zu vermitteln.

Ob – und wenn ja, wie gut – mir dieses Experiment am Ende gelungen sein wird, kann, darf, soll und muss letztlich jede Leserin und jeder Leser für sich ganz persönlich entscheiden. Denn, wie man schon als angehender Coach sehr früh lernt, bildet sich ja gemäß Konstruktivismus jedes Individuum seine Realität permanent selbst. Oder – um es mal mit den Worten des (für mich sehr inspirierenden) Pioniers des hypnosystemischen Coachings, Dr. Gunther Schmidt, zu sagen: „Es gibt nicht ‚die Wahrheit‘ in diesem Sinne, sondern Perspektiven.“ *

I

Anaïs lächelte. Sie ließ sich gerade auf einer Parkbank die Sonne ins Gesicht scheinen. Wie sie einfach so da saß, die Augen entspannt geschlossen, das Gesicht den sanft wärmenden Sonnenstrahlen entgegen gereckt, hätte sie rein vom Gefühl her gar nicht sagen können, ob es jetzt noch ein goldener Herbsttag oder bereits ein verheißender Frühlingstag war. Aber das spielte gerade auch gar keine Rolle. Sie streckte sich, öffnete die Augen und blinzelte in den wortwörtlich himmelblauen Himmel. Als zwinkerte der zurück, flog ein Vogel in ihrem Sichtfeld vorbei. Anaïs‘ Lächeln wurde noch ein bisschen breiter. Sie seufzte ganz leise und sehr wohlig und ließ den Blick über den vor ihr liegenden See schweifen. Es war eine ihrer absoluten Lieblingsstellen im Park. Und einer dieser Tage… An denen sie, trotz reichlich Arbeit, die am Schreibtisch auf sie wartete, ganz und gar ohne schlechtes Gewissen und innere Unruhe diesen herrlichen Tag draußen genoss. Das wäre noch vor geraumer Zeit so entspannt und völlig mit sich im Reinen überhaupt nicht möglich gewesen. „So schön“, dachte Anaïs und freute sich über das Regenbogen-Fragment, das die im Sonnenlicht aufstiebenden Wassertröpfchen der Fontäne in der Mitte des Sees zauberten. Sie atmete tief ein, lehnte sich noch ein wenig mehr zurück, ruckelte sich dabei gemütlich auf der Bank zurecht, schloss die Augen und gönnte sich einen Moment der Versenkung in sich selbst.

Dass sich dort nach wenigen Sekunden Orla zu ihr gesellte, wunderte Anaïs nun nicht. Sie hieß diese Seite von sich, die sie schon so lange hatte, aber erst vor einigen Monaten wirklich ‚kennenlernte‘, willkommen. „Na, Du“, sagte sie innerlich zu Orlas Begrüßung. „Na, Du“, erwiderte Orla und lächelte. „Ja, genieß‘ das herrliche Wetter“, fuhr sie mit der für sie typischen, freundlich-bestimmten Stimme fort. „Dass bis übermorgen noch einiges erledigt und abgearbeitet sein muss, weißt Du ja“. Sie lächelte noch immer und schenkte Anaïs ein Augenzwinkern, trotzdem war ein gewisser Anspruch in ihrer Stimme. Es war nun mal ihr ‚Job‘, dafür zu sorgen, dass ‚der Laden lief‘. Dinge getan und Aufgaben erledigt wurden. Zumindest eine Grundstruktur und gewisse Ordnung herrschte. Die Anaïs zweifelsohne tatsächlich auch brauchte! Was ihr selbst mittlerweile völlig klar war und wozu sie auch stand. Alles andere war das Ressort von Lola. Dem konträren Pendant zur, wenn es sein musste, strengen, von Natur aus stets verantwortungsbewussten, fleißigen und geerdeten Orla. Yin und Yang, sozusagen. Zwei Seelen, ach, in einer Brust. Die erst gemeinsam ein vollständiges Ganzes ergaben. Seit Anaïs das begriffen und die beiden überhaupt als eigenständige Seiten in sich erkannt und kennengelernt hatte, war ihr Leben zwar nicht ‚einfacher‘, für sie selbst aber sehr viel verständlicher, und nochmals reicher, geworden.

„Na, ihr!“ Tadaaa, und da war jetzt auch sie – Lola, die andere Seite von und in Anaïs. „Ja, das weiß sie!“ tönte sie kess und mit dem für sie ganz typischen Augenzwinkern. „Bis dahin sind’s ja aber noch etliche Stunden. Wenn’s sein muss, gibt’s eben wieder ’ne Nachtschicht – oder zwei. Das tolle Wetter genießen ist jedenfalls auch total wichtig!“ Anaïs seufzte, rein innerlich, amüsiert. Lola war super in Nachtschichten! Solange es dabei um Feiern, Spaß haben, vergnügt und unbeschwert sein ging. Orla war auch super in Nachtschichten. Solange es dabei um gewissenhaft zu erledigende Aufgaben ging.

Anaïs betrachtete ihre beiden so gegensätzlichen Seiten. Lachend. Wohlwollend. Liebevoll. Und dankbar. Dankbar ohne Ende dafür, dass sie die beiden ‚entdeckt‘ hatte und sich ihrer heute jederzeit voll und ganz bewusst war. Das war für alle drei noch ziemlich neu. Und bis zu jenem Sonntagnachmittag, an dem sie sich fanden, für alle drei nicht schön und zunehmend krampf- und schmerzhafter gewesen. Über Jahre hinweg hatte sich eine immer gravierendere innere Disbalance aufgebaut. Aus zig verschiedenen Gründen war Orla, ohne die Anaïs – in jeder Hinsicht – nicht da wäre, wo wie war, immer größer und tonangebender geworden; Lola im Gegenzug immer kleiner, ‚zusammengefalteter‘, stiller und schließlich so gut wie stumm. Anaïs spürte dieses Ungleichgewicht, schon lange und immer stärker werdend, als diffusen, nicht greifbaren, Druck, den sie (weder sich noch anderen) wirklich erklären konnte.

„Ladies“, sagte sie jetzt lachend und umarmte alle beide, „das kriegen wir hin! Wie ja eigentlich immer. Ihr habt beide recht – ich hab noch viel zu tun, und schönes Wetter ist zum Genießen da.“ Orla nickte erst kräftig, verdrehte dann aber die Augen, Lola tat dasselbe, nur umgekehrt. Anaïs ließ davon nicht beirren und fuhr fort: „Mal wieder eine Nachtschicht ist völlig ok, zwei hintereinander brauchen’s aber nicht schon wieder zu werden; zumindest nicht wegen Arbeit.“ Jetzt war sie diejenige mit dem Augenzwinkern. „Deshalb schlendern wir jetzt schön gemütlich zurück, gönnen mir dabei noch ein Eis auf die Hand und setzen uns dann ganz diszipliniert an den Schreibtisch.“ Lola grinste. „Deal!“, sagte sie. „Deal!“, bekräftigte auch Orla zufrieden. „Deal!“, sagte Anaïs besiegelnd. Es war (längst und noch) nicht immer so harmonisch! Aber Anaïs freute sich einfach über jeden Tag, an dem es so war. Entsprechend durchströmte sie jetzt ein wohliges Gefühl der Ruhe und Ausgeglichenheit. Sie machte sich auf den Rückweg aus der Trance, also ihrer nach innen gerichteten Aufmerksamkeit, öffnete ganz langsam die Augen, atmete tief ein, blickte auf den See, und atmete langsam wieder aus.


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* Dr. Gunther Schmidt im Juni 2017 in seinem Beitrag im Rahmen des 2. Symposiums zur „Praxis systemischer Konfliktberatung in Organisationen“ an der Universität Witten/Herdecke