Lehrer sein aus der Haltung eines Coaches

(Wie) geht das?

Chancen der Anwendung systemischen Denkens in schulischen Kontexten

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Vorwort

Wer eine Ausbildung zum systemischen Coach absolviert, erlebt diese auch als persönliche Bereicherung, nicht nur aufgrund der zahlreichen Gelegenheiten, innerhalb der Ausbildung selbst in den Genuss eines Coachings zu kommen, sondern auch dank der positiven Auswirkungen, die eine Verinnerlichung der Grundprinzipien des Coachens und der Haltung des systemischen Coaches auf das zwischenmenschliche Miteinander anderer Lebensbereiche privater wie beruflicher Natur zeigt.

Als angehender systemischer Coach bemerkte ich in meinem beruflichen Alltag als Lehrerin beispielsweise, wie mir das konstruktivistische Denken half, reflektierter mit Konfliktsituationen umzugehen

oder auch, wie ich unwillkürlich begann, noch stärker ressourcenorientiert und wertschätzend mit den Schülern zu arbeiten – mit positiven Auswirkungen.

Daher schien es mir interessant zu prüfen, ob sich die Grundprinzipien des Coachens und die Haltung des systemischen Coaches nicht noch konsequenter und umfassender mit meiner Tätigkeit als Lehrerin verbinden ließen, um aus einer veränderten Grundhaltung heraus den Beruf auszuüben und die alltägliche Unterrichtspraxis und pädagogische Arbeit stärker an den Grundprinzipien des systemischen Coachens auszurichten.

Mit Blick auf die Rahmenbedingungen der schulischen Arbeit, und die Rolle des Lehrers, die diesen Grundprinzipien vordergründig gleich mehrfach zu widersprechen schienen, fragte ich mich jedoch, ob der Versuch, aus der Haltung eines systemischen Coaches heraus den Lehrerberuf auszuüben, nicht unweigerlich an Grenzen stoßen müsse. Denn immerhin nehmen die Schüler nicht freiwillig, sondern aufgrund der Schulpflicht am Unterricht teil, oder müssen sich aufgrund eines Vorfalls oder schlechter Leistungen zu einem persönlichen Gespräch mit dem Lehrer einfinden. Die Wahl des Unterrichtsstoffes ist nicht Gegenstand einer Zielvereinbarung zwischen Lehrern und Schülern, sondern ist durch das Curriculum vorgegeben und vom Lehrer aus seiner Leitungsfunktion heraus durchzusetzen. Der Lehrer soll außerdem per Gesetz nicht nur einzelne Schüler fördern, sondern auch selektieren, erziehen und beurteilen.

Lassen sich angesichts dieser Rahmenbedingungen die Haltung eines systemischen Coaches und die Grundprinzipien des Coachens im Schulalltag überhaupt aufrecht erhalten?
Und wo und wie genau lässt sich die schulische Arbeit – wenn man vom institutionalisierten Coachen oder Beratungsgespräch einmal absieht – an systemischen Grundprinzipien ausrichten?

Nebenbei bemerkt werden unter dem Titel des Beratungsgesprächs oder auch Coachings tatsächlich an immer mehr Schulen auch Coachings im eigentlichen Sinne angeboten. Mittlerweile gibt es regelmäßig Fortbildungen für Lehrer, die an ihrer Schule als Coach tätig werden wollen. Diese Coachings können der Klärung von Laufbahnfragen älterer Jahrgänge, der Berufsorientierung, aber auch der Unterstützung von Schülern in Krisen oder Konfliktsituationen dienen. Hier ist, sofern das Angebot freiwillig genutzt wird und der Coach nicht zugleich auch Lehrer des Schülers ist, von Bedingungen auszugehen, die zumindest weitestgehend den Bedingungen in anderen Coaching-Settings entsprechen. Das heißt:

der beratende Lehrer nimmt hier auch nach außen hin sichtbar die Rolle des Coaches ein und kann getreu der Grundhaltung eines Coaches agieren.

In allen anderen schulischen Kontexten hat der Lehrer Aufgaben zu erfüllen, die sein berufliches Handeln von außen betrachtet in weite Ferne von der Tätigkeit eines Coaches rücken. Lehrer sein aus der Haltung eines systemischen Coaches heraus kann innerhalb dieser Aufgabenfelder also nur bedeuten, auf der Grundlage einer verinnerlichten systemischen Haltung und entsprechend veränderter Wahrnehmung menschlicher Interaktion zu einer entsprechend veränderten Einschätzung des pädagogischen Handlungsbedarfs und zu aus systemischer Sicht zielführenderen Handlungsalternativen bzw. Interventionen zu kommen. Dort, wo das was der Aufgaben gesetzlich vorgegeben ist, kann der Lehrer eine Orientierung an systemischen Grundprinzipien also nur im wie der Umsetzung dieser Aufgaben suchen, d.h. in seiner individuellen Art und Weise, mit den Schülern zu kommunizieren und pädagogisch zu interagieren (vgl. Staake 2013, S. 14-15)

Aber was sind nun die Grundprinzipien des systemischen Coachens, wie sieht die Haltung eines Coaches idealerweise aus und welche Chancen bietet es, diese in schulische Kontexte zu übertragen?

Die Grundprinzipien des systemischen Coachens und die Haltung des systemisches Coaches

Systemisches Arbeiten im Allgemeinen berücksichtigt stets, dass jedes Individuum Teil verschiedener sozialer Systeme ist, und nur in Bezug zu diesen Systemen handeln kann. Sein Handeln folgt außerdem eingeübten Mustern, die ihre Berechtigung und Funktion haben, und zugleich dem Individuum beim Erreichen seiner Ziele im Wege stehen können. Wer das Individuum als Teil seiner Systeme begreift, wird sich für die Beziehungen innerhalb der Systeme und für das Verhalten der Mitglieder interessieren und vermeiden, linearkausal zu denken. Auch wird er darauf verzichten, dem Individuum feste Eigenschaften zuzuschreiben oder das Individuum bzw. sein Verhalten in Kategorien wie „gut-böse“ oder „richtig-falsch“ einzuordnen. An Stelle eines Verharrens im „entweder- oder“ gilt grundsätzlich die Überzeugung, dass es immer eine Handlungsalternative gibt (vgl. InKonstellation 2020, S. 11-12).

Zu den Grundprinzipien systemischen Coachens gehört die Aufgabe des Coaches, durch die Herstellung eines guten persönlichen Kontaktes und ein gutes Pacing zunächst eine angenehme und vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen, und Respekt und Wertschätzung für den Klienten und seine individuelle Situation zu zeigen. Das Problemverhalten wird nicht abgewertet, sondern – getreu eines konstruktivistischen Grundverständnisses – stets als sehr gut nachvollziehbare und in bester Absicht gewählte, aber nicht hilfreiche Lösungsstrategie konnotiert.

Der Coach hört dem Klienten bei der Schilderung des Problems aktiv zu, und sorgt zugleich durch Reframing für einen lösungsorientierten Gesprächsansatz

(vgl. InKonstellation 2020, S. 25-30)

Dabei zeigt der Coach stets Wertschätzung für die Ressourcen, über die der Klient bereits verfügt und lädt ihn ein, diese Ressourcen auch in neuen Kontexten zu mobilisieren. Der Coach verzichtet auf linearkausales Denken, sucht also nicht nach der einen Ursache für das problematische Erleben des Klienten, sondern leitet den Klienten an, das Wirkgefüge seines sozialen Systems und die wechselseitige Beeinflussung seiner Teile zu beleuchten. Durch Methoden der Veranschaulichung hilft er dem Klienten, seine Situation innerhalb dieses Kontextes und seiner sozialen Vernetzung zu begreifen und zu verändern.

Er hilft dem Klienten dabei, die seine Situation prägenden Strukturen der Kommunikation, Wahrnehmung und Interpretation zu identifizieren und letztendlich zu verändern (vgl. InKonstellation 2020, S. 25-30).

Dabei begreift sich der Coach nicht als Lösungslieferant, sondern als Befähiger oder Ermöglicher, als „Kutscher“, der den Klient seinen Wünschen entsprechend durch unbekanntes Terrain führt. Der Coach agiert dabei aus einer Haltung der Demut heraus, die deutlich macht, dass allein der Klient im Wissen um die beste Lösung für seine Situation ist. Auch treibt der Coach den Klienten nicht an, sondern nimmt eine abwartende Rolle ein, denn er vertraut auf die Selbstwirksamkeit, die Ressourcen und die Expertise des Klienten. Der Coach weiß, dass das Coaching ein ergebnisoffener Prozess ist, da allein der Klient entscheidet, was hilfreich für ihn ist, und ist sich bewusst, dass die Verantwortung für den Erfolg des Coachings allein beim Klienten liegt. Der Coach ist nur verantwortlich für den Prozess, gibt z.B. Hinweise, wenn der Klient vom eigentlichen Ziel abweicht.

Bei einem Konflikt mehrerer Parteien ist der Coach stets neutral und allparteilich

(vgl. InKonstellation 2020, S. 25-30).

Das Coaching ist eine Dienstleistung, daher wird der Coachingprozess anhand er Ziele und Wünsche des Klienten ausgerichtet. Aus diesem Grund ist die Auftragsklärung ein zentrales Element im Coachingprozess. Der Klient ist nicht nur verantwortlich für den Auftrag. Letztendlich entscheidet auch immer der Klient, ob und wann das Ziel erreicht ist (vgl. InKonstellation 2020, S. 25-30).

Zwar ist der Klient für den Erfolg seines Coachings verantwortlich, die innere Haltung des Coaches kann aber maßgeblich dazu beitragen, wie lösungskompetent sich der Klient erlebt. Denn wie der Coach seinem Klienten begegnet, nimmt nach dem Gesetz der sich selbst erfüllenden Prophezeiung (nach Rosenthal und Jakobson (1986), vgl. In-Konstellation 2020, S. 29) auch Einfluss auf dessen Verhalten. Auch sollte der Coach seinem Klienten stets mit der „Ich bin ok – du bist ok.“ – Haltung (vgl. InKonstellation 2020, S. 27-30) begegnen können, also mit bedingungsloser Wertschätzung, auch dann, wenn Schwierigkeiten oder Probleme auftreten.

Der Coach sollte daher im Vorfeld dafür Sorge tragen, dass auch das „Ich bin ok“ vorliegt, und ggfs. belastende Themen aufarbeiten. Während des Coachingprozesses selbst sollte er Achtsamkeit walten lassen, um für sein Wohlbefinden im Coaching zu sorgen (vgl. InKonstellation 2020, S. 25-30), denn, so Gunther Schmidt, der Coach ist während des Coachingprozesses „die Umwelt“ des Klienten (vgl. Schmidt 2016/2017).

Chancen des Transfers der Grundprinzipien systemischen Coachens und der Haltung des Coaches auf die pädagogische Arbeit des Lehrers

Letztendlich ist klar, dass sich die Grundsituation im Coaching fundamental von der pädagogischen Arbeit in der Schule unterscheidet, so wie die Rolle des Lehrers in vielen Handlungsfeldern wenig mit der Rolle des Coaches gemein hat. Es geht im Folgenden daher auch weniger darum, was der Lehrer zu tun hat, sondern darum, wie er bei diesen Tätigkeiten in Interaktion mit Schülern und Eltern tritt und inwiefern der systemische Ansatz hilfreich ist.

Die Verinnerlichung einer systemischen Sichtweise auf Seiten des Lehrers könnte sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Kommunikation und Zusammenarbeit mit allen am schulischen Leben beteiligten Personen – Schülern, Lehrern und Eltern – auswirken

und wird sich insbesondere in einem veränderten Sprachgebrauch und veränderten kommunikativen Strategien des Lehrers zeigen. Situationen, in denen eine Orientierung an den Grundprinzipien des systemischen Coachens und der Haltung des Coaches besonders fruchtbar sein könnte, sind Einzelgespräche mit Schülern, Elterngespräche, aber auch der Umgang mit Unterrichtsstörungen, problematischem Schülerverhalten oder Schülerkonflikten. In der Fachliteratur sind dazu bereits recht hilfreiche Methodensammlungen und Ratgeber mit systemischem Ansatz erschienen, unter anderem von Manfred Prior (2009) und Gesa Staake (2013), aus denen auch im Folgenden Beispiele genannt werden.

Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, wo und wie sich systemische Grundprinzipien auf konkrete Handlungsfelder des Lehreralltags übertragen lassen. Sie sind exemplarisch zu verstehen und stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl der Anwendungsmöglichkeiten systemischer Methoden und Grundsätze dar.


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