Kognition und Emotion im Coaching

Abschlussarbeit von Henrike Barth, als PDF lesen


Einleitung

Ich bin eher der kognitive Typ – dieser Einschätzung begegnet man im Alltag sowie im Coaching immer wieder. Dies fußt auf der Fehlannahme, dass Prozesse der Kognition und Emotion separiert voneinander ablaufen und man entweder nur die Kognition oder nur die Emotion für relevante Situationen verwendet. Dass dem nicht so ist, soll in der vorliegenden Arbeit durch Erläuterungen neurologischer Erkenntnisse und Bezüge zur Coachingpraxis aufgezeigt werden. Die Verbindung zwischen neurologischen Erkenntnissen und Coaching gewinnt in den letzten Jahren mehr an Aufmerksamkeit. Rock & Page (2009) leisteten dabei mit ihrem Buch Coaching with the Brain in Mind einen großen Beitrag.


Für den Coach kann diese Arbeit in der Hinsicht von Nutzen sein, als dass er sich der neurologischen Vorgänge bewusst werden und Kognition und Emotion durch die weiteren Ausführungen zum Coaching gezielter ansprechen kann.

Als Coachee kann das Wissen über die physiologischen Hintergründe von Kognition und Emotion alleine eine neue Sichtweise auf das eigene Empfinden und Denken hervorrufen. Gleichzeitig können Barrieren hinsichtlich dieser beiden Komponenten und Coachingmethoden die auf das eine oder andere abzielen abgebaut werden.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass im Fokus dieser Arbeit die Kognition und Emotion des Coachees und nicht die des Coaches stehen. 

Im nachfolgenden Teil werden grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse zum Ursprung, Ablauf etc. von Kognition und Emotion dargestellt. Es ist hervorzuheben, dass hier kein Anspruch der Vollständigkeit geltend gemacht wird. Detaillierte und umfassendere Ausführungen gehen über den Anspruch dieser Arbeit hinaus und können in einschlägiger Fachliteratur nachgelesen werden.


Begriffsbestimmung

Nachfolgend werden die Begriffe Kognition und Emotion definiert.

Zimbardo (1995, S. 357) definiert

Kognition als einen „allgemeine[n] Begriff für alle Formen des Erkennens und Wissens. Dazu gehören etwa: Aufmerksam sein, Erinnern, Urteilen, Vorstellen, Antizipieren, Planen, Entscheiden, Problemlösen und das Mitteilen von Ideen. Es umfasst auch die Prozesse der mentalen Repräsentation“.

Auf neuronaler Ebene gesehen, findet hier eine Informationsverarbeitung im Gehirn statt (Wirtz, 2022).

Der Begriff Emotion wird in der Literatur unterschiedlich definiert und allgemein als hypothetisches Konstrukt gesehen. Gemeinsamkeiten der Definitionen sind das Einhergehen von verschiedenen Veränderungen. Damit können physiologische Komponenten gemeint sein, wie der Anstieg der Herzfrequenz.

Weiter können Emotionen auch Veränderungen im Verhalten hervorrufen, wie zum Beispiel in der Mimik und Gestik. Eine dritte Komponente ist die des Erlebens. Im Gegensatz zu den anderen beiden Komponenten lässt sich diese kaum messen oder beobachten (Wirtz, 2022).

Aus diesem Grund ist ein Coach auf die Selbstauskunft der fühlenden Person/des Coachees angewiesen, um Einblicke in das Erleben zu bekommen. Die Forschung hat bisher keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen physiologischen Reaktionsmustern und Gefühlsqualitäten nachweisen können. Bei der Verhaltenskomponente ist der Schluss auf die Gefühlsqualität auch nicht eindeutig gegeben, da Menschen durch Emotionsregulation von ihrem subjektiven Empfinden abweichende Emotionen zu zeigen (Wirtz, 2022).


Neurowissenschaftliche Grundlagen

Nachfolgend werden für diese Arbeit relevante Aspekte des Gehirnaufbaus und der Prozesse erläutert. Das Schichtenmodell (Abb. 1, MacLean, 1990) ist eine vereinfachte Darstellung verschiedener Hirnareale, die versucht der Vernetzung und der damit einhergehenden Komplexität des Gehirns Struktur zu geben. MacLean (1990) unterteilt das Gehirn hierbei in drei Komponenten, die Großhirnrinde, das Limbische System und das Stammhirn.

Das Stammhirn verarbeitet Informationen, die es aus den Sinnesorganen und dem Körper erhält und ist für unmittelbare Reflexe verantwortlich. Hauptbestandteil ist der Thalamus, der die Informationsweitergabe maßgeblich durch eine Art Klassifizierung beeinflusst. Er leitet beispielsweise Informationen zur emotionalen Verarbeitung and die Großhirnrinde weiter, Informationen zur Erinnerungsbildung an den Hippocampus. Durch dieses Vorgehen wird hier entschieden, was weiter bearbeitet werden soll und damit bewusst wird.

Das Limbische System wird als emotionaler Kern gesehen und besteht aus den Komponenten Amygdala, Hippocampus, cingulärer Kortex und dem Nucleus acumbens. In diesen Arealen werden Emotionen und Ereignisse konnektiert, Erinnerungen abgespeichert, weitergeleitet und Neue gebildet, Eindrücke zusammengeführt, Fehler- und Konflikterkennung betrieben und Belohnungen durch Hormonausschüttung durchgeführt.

Die Großhirnrinde besteht aus vier verschiedenen Arealen: Okzipitallappen, Temporallappen, Parietallappen und dem Frontallappen. Hier finden komplexe kognitive Verarbeitungen, sowie bewusste Prozesse statt. Das Großhirn verbindet außerdem die anderen beiden Systeme, welches die Vernetzung der verschiedenen Hirnareale deutlich macht (Peters & Ghadiri, 2013).

Um die Interaktion von Kognition und Emotion besser zu verstehen unterteilen Lieberman, Ochsner, Gilbert und Schacter (2002) die Vorgänge in zwei Systeme, das X-System (Reflexion) und das C-System (Reflektion). Das X und C lassen sich jeweils durch die englische Begriffsbezeichnung erklären reflexive und reflective system.

Das X-System bezieht sich auf Hirnareale wie z.B. die zuvor beschriebene Amygdala. In diesem System findet eine unbewusste Informationsverarbeitung statt, die sich auf Erfahrungen und unbewussten Wahrnehmungen aus der Umwelt stützen. Häufig sind dies sensorische Informationen.

Das C-System hingegen bezieht sich vornehmlich auf Hirnareale die zuvor im Bereich der Großhirnrinde eingeordnet wurden. Das C-System steht in ständiger Interaktion mit dem X-System und verarbeitet Informationen die einer bewussten Aufmerksamkeit bedürfen, z.B. da noch keine bestehenden Muster existieren in die das X-System die Information einordnen kann.

Das C-System kann somit ein neues Muster an das X-System weitergeben. Hervorzuheben ist hier, dass dies kein sequenzieller Ablauf ist und eine dauerhafte Vernetzung vorhanden ist (Liebermann et al., 2002). In bis zu 200 Millisekunden können Emotionen in sensomotorische Reaktionen umgewandelt werden. Kognitive Vorgänge benötigen hingegen 200 bis 500 Millisekunden (Peters & Ghadiri, S. 77).

Coachingmethoden im Zusammenhang mit Kognition und Emotion

Nachfolgend werden ausschnittweise Coachingtechniken und das Zusammenspiel mit Emotion und Kognition erläutert.

Im Coaching werden sowohl Kognition als auch Emotion adressiert. Dem Coach stehen unterschiedliche Techniken im Coachingprozess zur Verfügung. Hierbei zielen einige explizit auf die Anregung von Kognition und/oder Emotion an. In dieser Arbeit werden nun einige erläutert. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass auch hier kein Anspruch auf Vollständigkeit geltend gemacht werden soll.

Zunächst einmal kann der Coach verschiedene Fragetechniken anwenden. BuckaLassen (2005) differenziert zwischen kognitiven und affektiven Fragen. Letzteren schreibt sie eine hohe Emotionalität und Gefühlsaktivierung zu.

Schreyögg (2015) erweitert diese Sichtweise und erklärt, dass die Perspektive der empfangende Person (in unserem Fall Coachee) hier maßgeblich ist. So kann ein Coach mit einer Frage auf eine emotionsauslösende Wirkungen abzielen, ob diese jedoch tatsächlich diese Wirkung entfaltet liegt beim Coachee. Schreyögg (2015) weißt zudem auf die unterschiedliche Intensität und Tiefe emotionsfokussierender Fragen hin und erläutert weiter:

Die affektiven Funktionen reichen von der Thematisierung und Freilegung über die Vertiefung und Verstärkung emotionalen Ausdrucks bis hin zu einer detaillierten Explikation von Bedeutungshöfen. Dabei ist das Kriterium für die Unterscheidung häufig eine minimale Umformulierung der Fragesätze. Überdies ist die Wirkung affektiver Fragen abhängig von der Angemessenheit gegenüber dem Gegenstand (anliegerbezogene Passung), dem Zeitpunkt im Gespräch (prozessbezogene Passung), der Qualität der Beziehung zwischen Klient(ihn)en und Berater(inne)n (personenbezogene Passung) sowie äußeren Rahmenbedingungen (systembezogene Passung). (S.69)


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