Improvisation und Coaching

Abschlussarbeit von Julia Dyrda-Cavoto, als PDF lesen


Einleitung

Als Kind und Jugendliche und Heranwachsende und ausgewachsene Frau habe und spiele ich immer mit Leidenschaft Theater, vor allem das Improvisationstheater und das Kabarett haben es mir angetan. Ich kann mich noch sehr genau an einen Moment in meiner Jugend erinnern. Ich war 15 und wir hatten für ein Schulprogramm eine kleine Kabarettnummer mit dem Thema interkulturelle Kommunikation inszeniert. Mittels Improvisation hatten wir eine kleine Nummer selbst entwickelt. Auf jeden Fall war es ein erhebendes Gefühl zwischen Aufregung und Freude als ich die Aula betrat und auf die Bühne ging. Als ich die Bühne mittels der Seitentreppe erreichte, weiß ich noch, dass mir durch den Kopf schoss: “Ich bin zu Hause!“ Diesen Moment habe ich nie vergessen und mich gefragt, wie es dazu kam, dass ich mich auf der Bühne, der Art wohl fühle. Meine Antwort heute: „auf der Bühne ist alles erlaubt, dort konnte ich sein wer oder was ich wollte. Es gibt auf diesen Brettern, die die Welt bedeuten keine Begrenzung, sprich ich habe mich frei gefühlt.“ 2019 inszenierte das Schauspiel Köln Schillers „die Räuber“, wobei die männliche Hauptrolle eine Frau spielte und die weibliche ein Mann. Da gab es eine dunkelhäutige Frau, die den Sheriff spielte und alle Rollenklischees wurden umgedreht. Ich fand das, unfassbar toll. Ich ging nach Hause und dachte: “Stell dir vor Du bist Schauspielerin und darfst alle Rollen spielen, die dir gefallen, egal ob männlich oder weiblich, was für eine unglaublich schöne Vorstellung“. Revolutionär. Auch heute noch. Wir werden alle mit Restriktion groß. Restriktionen, die uns die Gesellschaft auferlegt, durch Erziehung entstehen oder auch durch Erfahrungen geprägt sind. Diese Restriktionen existieren auf der Bühne nicht mehr. Sie sind außer Kraft gesetzt. Das ist ein unglaublicher Effekt und während meiner Coachingausbildung kam mir die Idee, dass wir uns diesen Effekt im Coaching zunutze machen können.
Damit möchte ich nicht sagen, dass uns dieser Schritt auf die Bühne nichts kostet, nein, das tut er! Und genau das, macht Ihn so wertvoll! Wir müssen uns überwinden, es ist ein großes Wagnis sich in seiner ganzen Pracht zu zeigen und dennoch ist die Bühne ein geschützter Raum, in dem man sich ausprobieren kann.
Als Kind habe ich es geliebt in den Zirkus Roncalli zu gehen. Schon die Atmosphäre, wenn man den Vorraum zum Zirkuszelt betrat, war einfach magisch. Man wurde mit Konfetti beworfen und bekam eine rote Nase, überall waren Artisten auf Einrädern, Stelzen und mit Seifenblasen und die ganze Luft war erfüllt von dem Duft nach leckerem, zuckrig, buttrigem Popcorn. Es lag so eine gespannte Erwartung in der Luft, das war herrlich und verursachte mir regelmäßig ein wohliges Kribbeln im Bauch. Na? Kribbelt es schon im Bauch? Dann folgen jetzt die unglaublichen Effekte, die Impro-coaching meines Erachtens hervorbringen kann:

    1. Räume erweitern, Zwischenräume entdecken: Jede Bewegung des Körpers verändert den Raum, der ihn umgibt1.
    2. Beziehungen und Kommunikation verbessern, z.B. in Teams. Auf der Bühne nehmen wir uns in Verbindung mit dem anderen wahr. So kann das System, in dem wir uns befinden spürbar gemacht werden und auch die Kommunikation untereinander verbessert werden.
    3. Spontanität wird gesteigert.
    4. Mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Unerwarteten.
    5. Mehr Gelassenheit und Ruhe bei öffentlichen Auftritten und Reden.
    6. Unmittelbare Selbstwirksamkeitserfahrung: Der erste (Handlungs-) Schritt erfolgt unmittelbar während des Impro-coachings.
    7. neues ausprobieren in geschütztem Raum.
    8. Schlummernde Seiten/Talente/Ressourcen können auf der Bühne entdeckt werden bzw. mal so richtig ausgelebt.
    9. Viel Spaß!!!

Genau wie beim systemischen Coaching liegt das Hauptaugenmerk beim Improvisationstheater auf den Beziehungen und es werden ständig neue Handlungen aus dem unerschöpflichen2 Fundus des adaptiven Unbewussten3 konstruiert. Das ganze Improtheater ist eine aneinander Kettung zahlreicher Irritationen, welche sich der Spieler immer wieder stellt, die unterschiedlichen Methoden oder auch Aufgabenstellungen während der Improvisation helfen, gesteigerte Achtsamkeit sich selbst und seinen Mitspielern gegenüber zu entwickeln. So wird man doch, wenn man viel übt, unerschrockener gegenüber den unerwarteten Wendungen des Lebens, in dem Wissen, dass gerade eine neue Geschichte entsteht und wir ein Stück in der Hand haben, wie sie weiter geht.

Anwendungsfelder

Mein ursprünglicher Gedanke war es mit den zukünftigen Coaches aus meiner Ausbildung einen kleinen Coaching Workshop zum Thema Ja und sagen! zu veranstalten. Als Einstimmung auf den Beruf als Coach. Ziel dieser Übung ist es, den anderen gut aussehen zu lassen, Perspektiven zu wechseln, neue Geschichten zu erzählen und offen werden für das Unerwartete: Es geht auch um die Selbstreflektion! Ich glaube das es wichtig ist das wir als Coaches uns auch immer wieder neu herausfordern, Neuland betreten, etwas wagen. Auf die Idee bin ich gekommen über das Insel- modell und der Allparteilichen Haltung als Coach. Im Improvisationstheater gibt es dazu Übungen, in denen die Aufgabe gestellt wird, alles was einen ein Mitspieler anbietet zu akzeptieren, anstatt zu blockieren. Durch das Akzeptieren des Spielangebots des Mitspielers lässt man diesen gut aussehen, eine mögliche Konkurrenz wird aufgegeben und die Improvisationsschauspieler können unmittelbar erleben, wie gut sich dieses Ja! anfühlt4. Es führt dazu das der Mitspieler sich entspannt und sich traut mehr auszuprobieren und es entsteht ein Miteinander. Ein tolles Gefühl, das ich schon oft auf der Bühne erleben durfte. Eine mögliche Variante, um den Unterschied noch deutlicher klarzumachen ist zunächst, bewusst die Angebote des Mitspielers zu blockieren und erst dann in den Ja und… Modus zu wechseln. Hier können die Mitspieler unmittelbar erleben wie frustrierend es ist, wenn jemand die eigenen Ideen ständig blockiert. Dies hat meistens den Effekt das die Lust am Spiel verloren geht. Eine schöne Variante ist es auch bewusste Irritationen herbeizuführen, so kann es dann passieren, dass mitten in einen romantischen Heiratsantrag im eigenen Wohnzimmer ein Jäger hereingeschlichen kommt, um sein Wild zu erlegen oder dass mitten im Landeanflug das Kind des Piloten die Kabine betritt und den Papa fragt: “ob er sie jetzt ins Bett bringt?“
Diese Improvisationsmethoden kann ich mir auch gut für die Selbstreflektion von Teams in Businesskontexten vorstellen. Die Mitspieler erleben unmittelbar auf der Bühne, das durch das Ja sagen neue spannende Geschichten entstehen und der Teamgeist, die Kreativität und Spieltrieb wird gesteigert und auch als Tool im Umgang mit der Duca-Welt ist das Improvisationstheater bestimmt sehr gut geeignet.

Für mich ist ein spannendes Feld auch Frauen in Führungspositionen durch das Impro-coaching zu stärken und auf ihre Rolle vorzubereiten bzw. sie zu finden und hineinzuwachsen. Gut vorstellen kann ich mir in diesem Zusammenhang Übungen in dem man die Mitspieler nur Kauderwelsch oder nur ein bestimmtes Wort reden lässt. Hier ist es möglich weg vom Inhalt zu kommen hin zu Ausdruck und Intonation. Um nur eine von vielen Möglichkeiten zu nennen.

Grundsätzlich glaube ich könnte man das Impro-Coaching in sehr viele Gebieten als Tool verwenden.

Improvisationsübungen nach Themenfeldern des Systemischen Coachings

Eine andere Idee ist es die Coaching Tools einfach zu improvisieren. Zum Beispiel sein eigenes inneres Team auf der Bühne in Aktion zu sehen. Ich kann mir vorstellen, dass das zu spannenden Erkenntnissen führt und noch mal eine andere Dynamik entsteht.

Auch der narrative Ansatz kann im Improtheater gut genutzt werden zum Beispiel werden Geschichten erzählt mittels Assoziationsketten oder Wortreihen bilden, um nur einige Beispiele zu nennen5.

Eine Möglichkeit wäre auch das Modell von den 5 Konfliktstilen nachzuspielen. Auf der Bühne durchzuspielen, wie die verschiedenen Stile sich darstellen in einem konkreten Konflikt, ist bestimmt sehr erhellend und die kreative Gestaltungsmöglichkeit der Kooperationsvariante, in denen beide Konfliktparteien 100 Prozent bekommen, ist sicherlich erhöht. Einen Konflikt auf diese Weise zu begleiten und die verschieden Konfliktstile durchzuspielen ist bestimmt sehr spannend.

Die Wunderfrage bietet auch eine wunderbare Möglichkeit das Problem unmittelbar auf der Bühne zu lösen. Was wäre, wenn Du aufwachst und das Problem ist nicht mehr da und sich der Coachee den Weg zur Lösung einfach freispielt.

Ich denke hier gibt es 1001 Variante und der Kreativität ist auch hier keine Grenze gesetzt. Ich hoffe jetzt ihr habt Lust bekommen Impro-Coaching mal auszuprobieren. Ich in jedem Fall.


als PDF lesen


1 Keith Johnstone, Improvisation und Theater, Seite 89.
2 Maja Storch, Mein-Ich-Gewicht, S.33:“ Das adaptive Unbewusste hat eine riesige Kapazität“.
3 Begriff nach dem amerikanischen Psychologen Timothy Wilson (2006), das Adjektiv adaptiv schlägt Wilson vor, um deutlich zu machen, dass sich das Unbewusste in einem
immerwährenden Anpassungs- und Lernprozess befindet.
4 Nachzulesen in Keith Johnstone: “Improvisation und Theater“, S.139 ff.
5 Nachzulesen in Keith Johnstone: „Improvisation und Theater“, S. 165 ff.