Richtige Fragen stellen

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Ein Weiser gibt nicht die richtigen Antworten, sondern er stellt die richtigen Fragen.
Claude Lévi-Strauss

Begriffsklärungen

Coaching

Nach der Definition des DVCT (Homepage) ist Coaching ein

professionelles, auf die Entwicklung individuelle Lösungskompetenz beim Klienten abzielendes Handeln. Die Klientin bestimmt hierbei das Ziel des Coachings, der Coach ist verantwortlich für den Prozess, bei dem der Klient neue Erkenntnisse gewinnt und Handlungsalternativen entwickelt.

und weiter:

(…) Coaching ist dabei als strukturierter Dialog zeitlich begrenzt und auf die Ziele und Bedürfnisse der Klienten zugeschnitten, wobei der Erfolg von Coaching an individuell definierten Kriterien überprüfbar sein muss.

Systemisch

Im hier genutzten Sinne bezeichnet „systemisch“ die grundlegende Überzeugung, dass wir Teil von komplexen sozialen Systemen sind, in denen unser Handeln stets Auswirkungen auf das gesamte System hat. (Radatz 2006, S. 18ff.)

Wir sind also den Systemen in denen wir leben nicht hilflos ausgeliefert, sondern bestimmen sie mit.

Letztlich steht es uns auch frei, soziale Systeme zu verlassen. Allerdings geben wir damit auch den Einfluss auf das System auf, denn wir können nur solche Systeme beeinflussen, an denen wir teilhaben und teilnehmen.

Daher kann der Coach auch nicht das System des Coachees, auch nicht den Coachee selbst ändern, wohl aber im Beratungssystem mit dem Klienten interagieren und damit Veränderungen in der Sicht des Coachees auslösen, die wiederum Wirkung auf andere Systeme haben, in die der Coachee eingebunden ist.

(Anmerkung: Ausschließlich der sprachlichen Einfachheit halber wird im folgenden in der Regel die männliche Form für Coach und Coachee bzw. Berater und Klienten gewählt.)

Aus dieser Einsicht ergeben sich verschiedene Prämissen für die Haltung, mit der ein Coach seine Rolle einnimmt und damit auch für die Art, den Zeitpunkt, den Inhalt und die Richtung der Fragen, die ein Coach seinem Klienten stellt.

Haltung des Coaches im systemischen Coaching

Konstruktivistisch

Alles Erlebte ist subjektiv und entsteht in der Wahrnehmung des Betrachters
(Radatz 2000, S.78)

Damit ist die Wahrnehmung eines Menschen für einen anderen letztlich nicht zugänglich, denn auch die Beobachtung des Verhaltens anderer oder das Verständnis der Aussagen anderer passiert auf Basis unserer eigenen Erfahrungen, unseres eigenen Verständnisses und ist damit subjektiv.

Nicht-Wissend

Aus der Perspektive, dass der Coachee -und natürlich auch der Coach- seine eigene Welt konstruiert folgt, dass der Coach eine Lethologische, d.h. bewusst „nicht wissende“ Haltung einnimmt. (von Foerster u. Bröcker 202, S.305ff.)

Coaching ist ein Prozess gemeinsamen Erkenntnisgewinns in der Welt des Klienten, in der der Klient Selbstverantwortung und Eigeninitiative im Denken übernimmt.

Für den Coach besteht die Herausforderung darin, eigene Ziele, Hypothesen und Lösungsideen loszulassen (Radatz, S. 31), weil sie zum einen für den Coachee nicht hilfreich sind, und zum anderen den Coach darin beeinträchtigen seine Prozessverantwortung vollumfänglich wahrzunehmen.

Verantwortlich

Hieraus wiederum lassen sich die Verantwortlichkeiten im Coaching-Prozess klar ableiten:

Der Coach ist für die Gestaltung des Prozesses, der Coachee aber für den Inhalt (Probleme, Lösung) verantwortlich.
(Radatz 2000, S. 93.)

Wertschätzen und vertrauend

Systemische Coaching basiert auf dem Vertrauen in die Problemlösefähigkeiten der Coachees (Radatz, S. 31) und in der Wertschätzung der Lösungsideen im Vertrauen darauf, dass der Coachee versucht, sein Bestes zu geben.

Fragen

Laut Duden bezeichnet das Wort „Frage“ zum einen ein Problem, ein zu erörterndes Thema, eine zu klärende Sache oder Angelegenheit (z.B. die Frage nach dem Sinn des Lebens) und zum anderen eine fordernde Äußerungen, mit der sich jemand an jemanden wendet, um eine Antwort, Auskunft, Erklärung, Entscheidung oder Ähnliches zu erhalten.

Fragen des Coaches an den Coachee sind im Sinne der vorgenannten Definition also absichtsvolle Äußerungen des Coaches, mit denen er einer Antwort, einer Auskunft, einer Erklärung, einer Entscheidung, kurz einer Reaktion des Coachees, erreichen will.

Aus systemischer Sicht steht vor der Äußerung des Klienten allerdings die Konstruktion von Wirklichkeit, also löst eine Frage gleichzeitig einen Prozess der Wirklichkeits(neu)konstruktion beim Klienten aus und ermöglicht so auch eine veränderte Wahrnehmung.

Kriterien systemischer Fragen

Aus den vorgenannten Definitionen lassen sich Kriterien für systemische Fragen im Coaching ableiten. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit seien hier folgende wichtige Kriterien genannt (Radatz 2006, S. 35 ff.):

Offen

Fragen dienen im Coaching in der Regel dazu, Reflektionsprozesse beim Klienten auszulösen.

Daher bieten sich, wenn es nicht nur um den Austausch von sachlicher Information geht, offene Fragen zur Nutzung im Coaching an, das sie einen Denk und Verarbeitungsprozess beim Coachee anstoßen.

Neue Informationen erzeugend

Auch wenn es in der Exploration durchaus sinnvoll sein kann, Fragen zu stellen, mit denen Informationen abgefragt werden.

z.B. Wo genau ist diese Stelle in der Hierarchie Ihres Unternehmens verortet?

Sind wirksame Fragen in den späteren Phasen des Coachings insbesondere solche, die beim Klienten neue Informationen erzeugen, bspw. Fragen, die auf einen Unterschied abheben.

z.B. Woran werden Sie erkennen, dass…

Diese Fragen lösen im Klienten Denk- und Verarbeitungsprozesse aus und gehen weit über die reine Abfrage von vorhandenen Informationen hinaus.

Situations- oder Verhaltensoptimierend

Abhängig davon, wie stark ein Coachee eine Situation selbst kontrollieren kann, sollten Fragen darauf abzielen, dem Coachee Möglichkeiten zu eröffnen, wie er sein Verhalten in dieser Situation optimieren kann.

Lösungsfokussiert und Zukunftsoptimierend

Da sich aus der Analyse der Vergangenheit nur bedingt die Handlungsoptionen der Zukunft ableiten lassen, sollten Fragen im Coaching möglichst zukunftsoptimierend sein.

z.B. Was genau werden sie, wenn Sie wieder in diese Situation kommen, anders machen

In gleicher Weise gilt dies für die Lösungsorientierung der Fragen als einem wesentlichen Merkmal des Systemischen Coachings.

Fragen sollen nicht auf die Vertiefung des Problems, sondern auf die Erarbeitung von Lösungen und die Erweiterung der Handlungsoptionen des Coachees abzielen (Wehrle, 2018, S. 27).

Handlungsorientiert

Fragen im Coaching zielen auf eine Aktivierung des Coachees ab, ausgehend von der Annahme, dass es die Erkenntnisse und Handlungen des Coachees sind, die sein System verändern. Daher orientieren sich auch systemische Fragen im Coaching konsequent am Handeln des Coachees und nicht an der Beschreibung eines Zustandes.

z.B.: Was wollen Sie als nächstes tun?

Systemoptimierend

Aus der Erkenntnis, dass das Handeln des Coachees innerhalb eines Systems stattfindet, ergibt sich, dass auch die vom Coachee entwickelten Lösungsansätze in die Realitäten des Systems und seiner Akteure passen müssen, um eine Chance für eine nachhaltig positive Veränderung für den Klienten zu ermöglichen.

Daher müssen Fragen auch die möglichen Auswirkungen der Lösung auf andere im System erfassen

z.B. Wie glauben Sie, wird … auf Ihr verändertes Verhalten reagieren?

Nicht Suggestiv

Aus dem Gebot der Neutralität und der Erkenntnis des Nichtwissens des Coaches aber im Vertrauen darauf, dass der Coachee Experte für Lösungen in seinem System ist, ergibt sich, dass der Coach sich möglichst weitgehend seiner Wertung der Lösungsideen des Coachees enthält.

Natürlich ist auch diese Neutralität letztlich ein Konstrukt und es ergibt sich daher für den Coach die Verantwortung, sich seiner Suggestionen möglichst bewusst (Wehrle, Seite 56).

Arten Systemischer Fragen

Abhängig von der Intention, der Phase in der sie eingesetzt werden und anderer Kriterien lassen sich Fragen verschiedentlich kategorisieren.

Der folgende systematische Überblick möglicher Fragen orientiert sich dabei im Wesentlichen an Wehrle (Wehrle 2018, S.8 ff.), aus dem auch ein Großteil der Beispielfragen entnommen oder adaptiert wurde, sowie an Radatz (Radatz 206, S.39 ff).

Auch wenn im Folgenden versucht wird, Fragen nach Ihrem Anwendungsfeld im Coaching zu kategorisieren, erhebt dies nicht den Anspruch einer überschneidungsfreien Aufzählung. In der Kombination verschiedener Frageabsichten und der individuellen Anpassung auf die Situation und Person des Coachees liegt ja gerade die Kunst des Fragens.

Insofern dient die folgende Auflistung von Fragetypen mehr der systematischen Darstellung, denn als Anleitung zur Auswahl bestimmter Fragen in bestimmten Situationen.


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Literatur

Braun, R., Gawlas, H., Schmalz, A., Dauz, E.; Die Coaching Fibel, Linde International, 2005
Duden, Hompage www.duden.de
Deutsche Gesellschaft für Coaching und Training, Homepage www.dvct.de
Foerster, H. von und Bröcker, M,: Teil der Welt – Fraktale einer Ethik. Carl-Auer, 2002.
In-Konstellation: Homepage www.in-konstellation.de
Kindl-Beilfuß, C.: Fragen können wie Küsse schmecken. Carl-Auer, 2010.
Radatz, S.: Einführung in das systemische Coaching, Carl-Auer, 2006.
Radatz, S.: Beratung ohne Ratschlag, Literatur-VSM e.U, 2000.
Wehrle, M.: Die 500 besten Coaching Fragen. managerSeminare, 2018.