Inneres Team: Anwendungsbereiche und Fallbeispiel

Abschlussarbeit von Alexandra Kirchrath, als PDF lesen


Einleitung

„Die innere Klarheit ist die Grundlage menschlicher Souveränität.“1

Dieses Zitat von Schulz von Thun hat mich in seiner Klarheit und seiner Universalität genauso beeindruckt, wie  das gesamte Konzept des Inneren Teams, mit dem ich mich in meiner Arbeit beschäftigen möchte. In meiner Ausbildung zum Systemischen Coach bei InKonstellation hat die Besprechung des Inneren Teams einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Die Sprachlosigkeit, wenn der Klient – womöglich zum allerersten Mal- sein Inneres Team, deren Aussagen, Werte, Konflikte und „Verhalten“ bewusst betrachtet, macht sofort klar, wie viel dies in kurzer Zeit im Denken verändern kann. Diese Erkenntnis hat mich nicht nur dazu veranlasst, häufiger in  mich hineinzuhören, mein inneres Team zu betrachten, sondern ich habe auch immer deutlicher verstanden, wie wertvoll und hilfreich dieses Bild im alltäglichen Leben und vor allem auch im Systemischen Coaching ist, wie aktiv dieses Team ist, überall und zu jeder Zeit.

Im Folgenden werde ich zu Beginn kurz das Modell des Inneren Teams veranschaulichen, danach werde ich Anwendungsbereiche vor allem im Systemischen Coaching aufzeigen. Im Anschluss werde ich ein Beispiel aus eigener Coaching-Erfahrung beschreiben, das der Kern meiner Arbeit darstellt und das für mich sehr deutlich gemacht hat, dass die Arbeit mit dem Inneren Team oft zu einem wichtigen Schritt verhelfen kann.

Das Modell vom Inneren Team

Dem Modell vom Inneren Team liegt die Annahme einer inneren Pluralität zugrunde. Der Annahme nach trägt jeder von uns unterschiedliche innere Anteile in sich (innere Stimmen/Impulse), was völlig normal ist. Diese Anteile sind Ausdruck verschiedener Werte, Erfahrungen, Ängste und Ziele. Entsprechend sind sich diese inneren Anteile nicht immer einig, was zu innerer Ambivalenz und gegebenenfalls zu einer Handlungs- und Entscheidungsunfähigkeit führen kann2. Friedemann Schulz von Thun hat den kompletten 3. Band seiner Buchreihe „Miteinander reden“ seinem Modell vom Inneren Team gewidmet und es ausgiebig beleuchtet.

Auch ich bin gerade wieder in so einer Situation. Ich muss mit meiner Coaching Abschlussarbeit beginnen. Stattdessen sitze ich regungslos auf dem Stuhl und starre aus dem Fenster. Vielleicht packe ich auch eine Kiste, schließlich ziehe ich bald um. Und dann denke ich mir: Das Innere Team! Ich möchte darüber schreiben und: Ich muss mit ihm konferieren! Was ist da los? Schweinchen Faul sagt „Lass mich doch endlich mal ausruhen. Die Welt steht eh still – Corona!“, „Bist du verrückt??! Nichts steht still, vor allem nicht unser Zeitplan! Von alleine tut sich nichts!“, so Frau General. „Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll…ob ich das alles schaffe? Ob ich gut genug bin?“ wirft die Ängstliche ein. „Entspannung ist sehr wichtig, und Bewegung auch, raus an die frische Luft. Du sitzt nur rum“ gibt die Gesundheitsministerin zu bedenken. „Hilft alles nichts“, meint die Strategin „Stoffsammlung und ran an den Speck!“ „Oh ja, was für ein cooles Thema, das interessiert mich so!“ pflichtet ihr die Enthusiastin bei. Der Teamleader hat sich alle Stimmen angehört und beschlossen: Jetzt 2 Stunden arbeiten, danach gibt’s zur Belohnung was Leckeres zu essen, einen kleinen Spaziergang in der Sonne und abends einen Krimi auf dem Sofa ohne schlechtes Gewissen.“

3

Wenn sich die innere Ambivalenz zu einer – nicht nur kurzfristigen – Entscheidungs- oder Handlungsunfähigkeit auswächst, kann die Betrachtung des inneren Teams ein entscheidender Schritt zur Klärung bringen. Im allerersten Schritt sogar dadurch, sich (beziehungsweise dem Klienten) überhaupt klarzumachen, woher diese Unfähigkeit, zu beginnen oder vielleicht auch mit etwas aufzuhören, etwas aufzugeben, kommt. Der erste Schritt ist es oft, sich seiner Stimmen überhaupt bewusst zu werden.

Wann befrage ich das Innere Team?

Gerade, wenn es um Entscheidungen geht oder darum, sich etwas abzugewöhnen oder etwas zu beginnen, tun wir uns im Leben oft schwer. Die meisten Menschen kennen ihre Problematik bei Entscheidungen, geben zu, dass sie sich generell damit schwertun, sich nächtelang im Bett herumwälzen, andere werfen eine Münze, wiederum andere haben – so wirkt es auf den ersten Blick – eine besondere Gabe, sich Entscheidungen nicht so schwer zu machen. Für die meisten gilt: Der erste Schritt scheint häufig schwer. „Einerseits und andererseits“ schießen uns in den Kopf, was in der einen Sekunde klar war, wird in der nächsten plötzlich wieder umgeworfen. Was nach außen hin unter Umständen wankelmütig wirken kann, trägt im Prinzip jeder in sich. „Das Instrument der inneren Stimmen setzt genau hier an – bei der Schaffung von Konsens.“4 Wenn Coach und Klient im Coachingprozess auf eine Entscheidungsproblematik treffen, kann die Betrachtung und Arbeit mit dem inneren Team zu einem entscheidenden Schritt verhelfen. Die Situation klar zu umreißen, kann bei der Betrachtung des Inneren Teams zudem von Bedeutung sein, da in unterschiedlichen Situationen andere Teammitglieder aktiv sein können.
Manchmal sind diese „inneren Teamkonflikte“ durchaus aber etwas weniger offensichtlich, wie ich später auch in meinem eigenen Beispiel aus der Praxis zeigen werde. Manchmal ist die Stagnation, das Gefühl, nicht mehr weiter zu wissen beziehungsweise das Gefühl oder die Angst etwas nicht mehr zu schaffen, keinen Ausweg zu sehen, ein Schweigen oder der Rückzug ein Zeichen dafür, dass in uns gerade sehr viel passiert.
„Nach Auswertung von über 100 Erfahrungsberichten komme ich (…) zu dem Schluss, dass in der Regel die Wirkungen einer Beschäftigung mit dem Modell des Inneren Teams auf die persönliche Entwicklung als sehr positiv erlebt werden, und zwar vor allem in dreierlei Hinsicht:“5 Schulz von Thun konkretisiert dies mit der „Befreiung aus dem Gebot der Einheitlichkeit“ – Der Mensch erkennt, dass die widersprüchliche Vielfalt nicht etwa eine Schwäche oder gar eine pathologische Störung ist. Das Innere Team als „Ordnungs- und Klärungshilfe“ hilft, das eigene Chaos besser zu verstehen und anzusehen. Und die „Erleichterung der Selbstakzeptierung“ macht es mitunter möglich, diesen inneren Konflikt auch nach außen offen darzulegen6.


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Quellen bis hierher

1 Schulz von Thun, F.: Miteinander Reden: 3. Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation, Reinbeck 1998. S.98
2 Vgl ebd.
3 Eigenes Bild nach Modell von Schulz von Thun
4 Radatz; Sonja: Einführung in das systemische Coaching, Heidelberg 2006, 2010
5 Schulz von Thun 1998, S. 136
6 Vgl. ebd. S.136.