Sprache – was sie über uns verrät

und wie sie methodisch im Coaching genutzt werden kann

Abschlussarbeit von EVa Frigerio, als PDF lesen


Die Einzigartigkeit der Sprache

Der Mensch enthüllt sich in seiner Sprache, verbal, paraverbal und nonverbal. Diese Eigenschaft kommt in jedem Kommunikationsakt zum Ausdruck1

Sprache und Spracherlernung

Bereits im Säuglingsalter beginnt die Spracherlernung. Unser Gehirn fängt zu dieser Zeit an, Dinge aufzunehmen und Regeln zu erkennen.

Diverse Studien zeigen, dass schon sieben Monate alte Babys abstrakte Regeln lernen können und die Muttersprache (gewohnte Phoneme) von anderen Sprachen (bisher nicht gehörte Laute) unterscheiden können.2

Kinder lernen Sprache über die Kommunikation mit ihnen, sie gucken sich diese sozusagen ab.

Selbst wenn wir in komplexen und schwierigen Sätzen mit Kindern sprechen, können sie die Teile rausfiltern, die sie zum aktuellen Zeitpunkt oder Entwicklungsstatus verarbeiten können.

Ganz automatisch wird alles andere vom Kind schlichtweg überhört.3

Somit findet der Spracherwerb über Zuhören und dadurch stetigem Wachstum in Wortschatz und Wissen über die Regeln im Sprachgebrauch statt (auch ohne diese benennen zu können).

Hätten wir unsere Muttersprache ähnlich einer Sprache in der Schule gelernt, würden wir trotz des Wissens über grammatikalische Regeln und gelernten Vokabeln, diese nicht in derartiger Perfektion beherrschen.

Für Kinder ist es einfacher eine Sprache zu lernen, als für Erwachsene. Voraussetzung hierfür ist, dass bis zu einem bestimmten Alter Sprachinput stattgefunden haben muss.

Vor dem Schulalter ist die sogenannte kritische Periode der Spracherlernung.

Erfolgt bis etwa zum 12./ 13. Lebensjahr keinerlei Kommunikation, kann auf Grund der Veränderungen im Gehirn Sprache nicht mehr vollends erlernt werden4

Bis zum dritten Lebensjahr ist nur ein bestimmter Bereich des Großhirns bei der Sprachverarbeitung beteiligt.

und weiter

„Erst danach kommt mit dem Broca-Areal langsam eine zweite zentrale Sprachregion dazu. Dieses Areal ist ein wichtiges Sprachzentrum im Stirnbereich des Großhirns, das vor allem komplexe sprachliche Information verarbeitet, (…) wird das Areal mit zunehmendem Alter nicht nur stärker aktiviert, sondern auch zunehmend in das gesamte Sprachnetzwerk eingebunden.“5

Findet während der Kindheit die Basis der Spracherlernung nicht im Großhirn statt, ist eine spätere Erlernung kaum mehr möglich (siehe auch sogenannte „Wolfskinder“).

Für den Menschen ist Sprechen und Sprachverstehen eines der am schnellsten ablaufenden Prozesse, die es in dem Gebiet der Motorik und Wahrnehmung gibt.6

Stephen C. Levinson hat herausgefunden, dass die Zeit zwischen Sprachwechsel zwischen den Gesprächspartnern sehr kurz ist: In nur etwa 200 Millisekunden findet der Wechsel zwischen Frage oder Aussage eines Sprechers und der Antwort des Gesprächspartners statt.

Unser Gehirn braucht mindestens 600 Millisekunden für die Generierung eines Wortes.

Die Überschneidung zwischen Sprachverstehen und Sprachproduktion ist so kurz, dass oftmals geantwortet wird, bevor wir über überhaupt nachdenken können.

Nicht selten werden daher Lückenfüller, wie beispielsweise Wiederholungen der Frage oder Füllwörter eingebunden, um Zeit zum Denken zu gewinnen.7

Jeder Mensch hat seine eigene Sprache (Idiolekt)

„Geht man (…) in der persönlichen Sprachverwendung etwas tiefer und setzt sich damit auseinander, was du und ich mit den Wörtern, die wir verwenden wirklich meinen, welche Vorstellungen, Bilder und Erfahrungen mit jedem Wort mitschwingen und sich ausdrücken, dann ergibt sich:

Wir sprechen jeder eine Eigensprache.8

Menschen lernen sprechen, um mit anderen über ein gemeinsames Grundvokabular und Grammatische Regeln kommunizieren zu können.

Wir haben innerhalb einer Sprache gleiche Regeln und Wörter, jedoch spricht jeder Mensch einzigartig.

Jedes Individuum bedient sich der Sprache auf seine Art und Weise.

Daher rührt auch der Begriff Eigensprache (Idiolekt). Dieser leitet sich aus dem griechischen (altgriechisch ἴδιος ídios, deutsch ‚eigentümlich, eigen‘) ab.

Die Eigensprache umfasst den Sprachbesitz, das Sprachverhalten, Wortschatz und Ausdrucksweise eines Sprechers.9

Eigensprache ist somit wie der sprachliche Fingerabdruck der Person.10

Die Eigensprache eines jeden Menschen kommt nicht über das Wort selbst zum Ausdruck, sondern über die Prägung und Betonung, die der Sprecher dem Wort gibt. Es steckt viel mehr hinter einem Wort, als es uns oftmals bewusst ist.

So fragt man unterschiedliche Personen nach der Bedeutung eines Wortes, erhält man jedes Mal verschiedene Antworten.

Hier spielen die unterschiedlichsten Aspekte, beispielsweise wie wir uns gerade fühlen, welche Erfahrungen wir mit dem Wort gemacht haben, welche Stärken oder Schwächen wir haben, was wir mögen oder nicht mögen, selbst die innere Wahrnehmung über unseren Körper, mit ein.

Wörter werden von unserem Gehirn mit Erfahrungen aus der Vergangenheit und Gegenwart verknüpft.

Studien aus der Neurowissenschaft haben herausgefunden, dass wir nicht nur Erfahrungen, sondern auch den entsprechenden Körperzustand mit Wörtern verbinden und abspeichern. Dies spiegelt die immens große Welt wider, die sich hinter einem Wort verbergen kann und das damit einhergehende entstandene individuelle Bewertungssystem.11

Achtet man sehr genau auf die Eigensprache seines Gegenübers, liefert dieser weitaus mehr Informationen als den Inhalt seiner Mitteilung.

Das bewusste Zuhören schafft einen Zugang zu seiner Welt, und liefert Informationen über sein innerstes. Der Zugang erfolgt nicht nur über die genutzten Wörter, sondern die Prägung und Verknüpfungen, die der Sprecher den Worten gibt.12

Von A. D. Jonas wurde das idiolektische Konzept entwickelt, dass in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt wird und die Eigensprache der Person in den Mittelpunkt der Kommunikation rückt.

Idiolektik

Das idiolektische Gespräch lässt die Aufmerksamkeit von dort, wo man nicht hinwill, dorthin fließen wo man innerlich ist. Es erschließt eine Landschaft in Sprach-Bildern, und schließlich wird das Bewusstsein erfüllt, mit dem wo man hin will.13

Was ist Idiolektik

Die Idiolektik ist eine Gesprächsmethode, die auf der systematischen und professionellen Umgangsweise mit der Eigensprache basiert. Auf die Nutzung von Fremdwörtern, verschachtelten Sätzen oder komplizierten Fragen wird möglichst verzichtet.

Stattdessen rückt die Eigensprache des Gegenübers in den Fokus.

Dies geschieht zum einen über die Übernahme der Sprache des Gesprächspartners, zum anderen über die aktive Wahrnehmung der Verbalen, aber auch nonverbalen Kommunikation.

Die Verwendeten Wörter werden aufgegriffen und hinterfragt, mit dem Ziel Ressourcen zu aktivieren:

Weg vom Problem hin zur Lösung.

Dabei ist die bedingungslose Anerkennung der Sichtweise des Sprechers und die damit einhergehende wertschätzende Haltung die Basis der Idiolektik.

Über die zwei genannten Aspekte, Haltung und Verwendung der Sprache des anderen, entsteht Resonanz:

Kontakt zum Gegenüber wird aufgebaut und gehalten.

Das Loslassen von eigenen Absichten und/ oder eigener Zielverfolgungen ist dabei unabdingbar. Wann man sich vollkommen auf die Sprache des anderen einlässt, kommuniziert man auf dessen Ebene und kommt mit diesem auf der inneren Ebene in Kontakt.14

Idiolektik ist vor allem auch eine Grundhaltung, die sich einer bewussten Art und Weise des Zuhörens und Zurückhaltens bedient.15

Um in diese Haltung zu kommen, hilft die innere Einstellung, dass das, was in Worten mitgeteilt wird, für den Zuhörer gänzlich fremd ist.

In dem Moment, in dem man zu wissen glaubt, was der andere mit einer Metapher/ einem Bild meint, oder man es in eine „allgemeine“ Symbolik einordnet, verliert man die für die Idiolektik so bedeutsame innere Haltung.

Die Folge wäre womöglich der Verlust des Kontaktes zum Gesprächspartner.

Ähnliches gilt für Ratschläge oder Lösungen.

Wenn diese nicht aus der Person selbst heraus entwickelt oder entdeckt werden, ist die Motivation oftmals geringer, da es sich nur um einen von außen (von einer anderen Sichtweise) entwickelten Vorschlag handelt.

Daher ist es wichtig, eigene Bilder und Ratschläge loszulassen, weil sie womöglich viel mehr über einen Selbst aussagen, als über den Gesprächspartner.

Das eigene Nichtwissen wird in der Idiolektik zu einer wertvollen Ressource und hilft dabei, aufmerksam, interessiert und zieloffen den Menschen zu begegnen.16

Der Gesprächsführer in der Idiolektik ist Prozessverantwortlich und nutzt Hypothesen für die Fragestellung. Hypothesen sollten dabei Ressourcen orientiert sein. A.D. Jonas spricht in diesem Zusammenhang von der Vogelperspektive, die der Berater, Coach oder Therapeut einnimmt. 17


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Quellen bis hierher (genaue Quellenangaben sind in der Original PDF zu finden)

1 Vgl. Bindernagel, Krüger, Rentel, Winkler (2012), S. 18
2 Spitzer, S. 69
3 Spitzer, S. 234
4 Spitzer, S. 236
5 https://www.mpg.de/sprache
6 Spitzer, S. 246
7 https://www.mpg.de/sprache
8 Vgl. Winkler (2012)
9 https://brockhaus.de/search/?t=enzy&q=idiolekt
10 Bindernagel, Krüger, Rentel, Winkler (2012), S.18
11 Winkler (2011)
12 Bindernagel, Krüger, Rentel, Winkler (2012), S.60
13 Vgl. Ebd.
14 Bindernagel, Krüger, Rentel, Winkler (2012),; S. 18 f.
15 Klimmer (2010)
16 Ebd.
17 Bindernagel, Krüger, Rentel, Winkler (2012),; S.91 ff