Diversity Coaching

Abschlussarbeit von Silke Schulz, als PDF lesen


Executive Summary

Diversity ist in aller Munde und v.a. allem Großunternehmen können es sich fast gar nicht mehr leisten, kein Diversity Management betriebsintern zu implementieren.

Doch es reicht bei weitem nicht den/die Gleichstellungsbeauftragte*n einfach in „Diversity Manager“ umzubenennen und Diversity Trainings anzubieten.

Gelebte Vielfalt bietet viel Potenzial – aber wo konträre Einstellungen, Überzeugungen und Werte aufeinandertreffen, gibt es auch viel Konfliktpotenzial.

Und das können Diversity Trainings allein nicht abfangen. Nur mit Hilfe von Diversity Coachings kann ein Perspektivenwechsel und eine nachhaltige Verhaltensänderung bei Mitarbeitern erreicht werden.

Wir sind alle geprägt von unserer Kultur, in der wir aufwachsen und während des Lern- und Entwicklungsprozesses bilden wir Denk- und Verhaltensmuster aus, die unser Leben zwar vereinfachen, aber leider im Umgang mit Mitmenschen auch destruktiv sein können.

Diese Unconscious Bias gilt es zu erkennen und aufzulösen, um das Weltbild zu erweitern.

Als Coach sollte ich bei mir selbst anfangen und mir durch Selbstreflexion meiner eigenen Kultur und der damit verbundenen (unbewussten) Vorannahmen bewusst werden.

Denn nur durch eine Haltung, die Diversity wertschätzt und Unterschiedlichkeit als Mehrwert empfindet, kann ich Klienten ermöglichen, andere Sichtweisen zu akzeptieren sowie Unterschiedlichkeiten und Widersprüche in ihrer Umwelt zu ertragen oder diese sogar in ihr eigenes Erleben mit einzubeziehen.

Denn wenn Vielfalt nicht nur als Unterschied, sondern als Gemeinsamkeit betrachtet wird, um ein „Kompetenz-Team“ zu bilden, erreichen Klienten eine größere Handlungsfähigkeit als wenn sie in einem Weltbild verharren, in dem Unterschiedlichkeit als bedrohlich angesehen wird.

Warum dieses Thema?

Ursprünglich hatte ich die Idee, meine Abschlussarbeit über „Interkulturelles Coaching“ zu schreiben. Da ich mehrere Jahre in Asien gelebt habe, habe ich mich mit anderen Kulturen und Wertesystemen stark auseinandergesetzt. Allerdings war ein innerer Anteil von mir mit der Themenauswahl nicht ganz zufrieden.

Wenn wir in Europa von der asiatischen Kultur sprechen, gibt es doch gravierende Unterschiede, ob z.B. von Thailand oder von Japan die Rede ist. Ich habe selbst kennenlernen dürfen, wie sich die Mitglieder einer Kultur untereinander unterscheiden und nicht unbedingt im gleichen Ausmaß den Konventionen ihrer eigenen Kultur entsprechen.

Meine innere Zweiflerin war deswegen mit dem Begriff „interkulturell“ nicht so ganz einverstanden und so machte sie sich gemeinsam mit meiner inneren Analytikerin auf eine Erforschungsreise des Begriffs Kultur:

Der Kulturbegriff hat mittlerweile eine immense Bedeutungsvielfalt erreicht und der Begriff wird nahezu inflationär in vielen Kontexten (z.B. Firmenkultur, Fankultur) verwendet. Eine Ursprungsdefinition von Kultur ist „die vom Menschen durch die Bearbeitung der Natur mithilfe von planmäßigen Techniken selbst geschaffene Welt der geistigen Güter, materiellen Kunstprodukte und sozialen Einrichtungen1.

Kultur beschreibt somit auch Kommunikationsmuster, Rituale, Werte, Normen, Denk- und Handlungsmuster, in denen Menschen aufwachsen und die sie letztendlich prägen. Oder – um es mit den Worten Geert Hofstede2 zu sagen:

Kultur ist eine mentale Programmierung der Menschen in einer Gesellschaft

Das war es also, was meine innere Zweiflerin beschäftigte: Da sich jeder Mensch in unterschiedlichen Lebenswelten bewegt, beziehe ich den Begriff „interkulturell“ nicht allein auf Kulturregionen oder in sich geschlossene Systeme.

Sind wir nicht bei jeder Interaktion mit anderen Menschen interkulturell unterwegs?

Denn auch wenn mein Gegenüber aus dem gleichen geographischen Kulturkreis stammt (Deutschland bzw. Europa), hat er/sie doch eine ganz andere Lebenswelt und damit eine andere Individualität als ich.

Und diese Vielfalt an verschiedenen individuellen Kulturen nimmt in Gruppen oder Organisationen noch zu, weil jeder seine individuelle Kultur mitbringt.

Und diese Vielfalt zeigt sich in dem Begriff der Diversität oder Diversity.3

Parallel zu meinen Nachforschungen hatte ich in einem meiner Übungscoachings einen Schlüsselmoment bezogen auf meine eigene Wahrnehmung von mir selbst als Coach:

Eine Klientin von mir hatte das Anliegen, sich zwischen zwei Partnern entscheiden zu wollen. Sie erzählte, dass einer der beiden ein „Kiffer“ sei.

Sofort kamen in meiner eigenen Realität bestimmte Assoziationen wie „unzuverlässig, kriegt nichts geregelt, ist antriebslos“ und andere Stereotypen auf.

Zum Glück ist mir das in dem Moment sofort bewusst geworden und ich konnte den Prozess wertfrei weiterführen.

Aber doch hat mich das zu der Frage geführt:

Wie kann ich mir als Coach meiner eigenen (unbewussten) Voreingenommenheit bewusst werden?

Wie kann ich meine eigene Kultur inklusive meiner Wertvorstellungen möglichst hintenanstellen, um der Kultur des Coachees und der Vielfalt seiner Realität wertfrei zu begegnen?

Gleichzeitig möchte ich aber auch meine eigenen Wertvorstellungen nicht komplett über Bord werfen, sondern mir selbst treu bleiben.

Und wie kann ich als Coach wiederum Klienten4 helfen, ihr häufig komplexes Umfeld in all seiner Vielfalt anzunehmen und als Bereicherung zu sehen?

Diese praktische Coaching-Erfahrung gepaart mit meiner oben beschriebenen Gedankenreise haben mich letztendlich zu dem gewählten Thema geführt: Diversity Coaching.

Unconscious Bias

Wir werden jeden Tag mit einer riesigen Menge an Informationen konfrontiert: Pro Sekunde erreichen uns 11 Millionen Bits an Informationen. Der Mensch kann jedoch bewusst nur etwa 40 Bits verarbeiten. Das heißt, dass der Großteil unserer Wahrnehmungsprozesse unbewusst erfolgt.

Unser Gehirn ist darauf angelegt, Informationen schnell zu filtern und zu ordnen und schaut deswegen nach Mustern und speichert diese ab für zukünftige Handlungen.

Die Fähigkeit, schnell Informationen und Situationen zu bewerten und daraus Entscheidungen abzuleiten, kann sehr hilfreich sein, z.B. wenn ein Autofahrer bei einer roten Ampel sofort bremst ohne sich vorher bewusst machen zu müssen, was dieses Signal eigentlich bedeutet und welche Handlungsempfehlung daraus abzuleiten ist.

Von Geburt an speichert unser Gehirn die Informationen aus Wahrnehmungen und Erfahrungen und die damit verbundenen Emotionen und Assoziationen ab – oder, um es mit Donald Hebb zu sagen:

Cells that fire together, wire together

So kann das Wort „Paris“ – je nach Erfahrung – bei dem einen die Assoziation „Eiffelturm, romantisch, Heiratsantrag“ und bei jemand anderem aber auch die Assoziation „keine Parkplätze, viel Verkehr, Unfall“ hervorrufen.

Auf diese Weise werden unsere Denk- und Lernprozesse geprägt und der Weg für unbewusste Vorurteile geebnet.

Das Paris-Beispiel zeigt, dass unbewusste Wahrnehmungsprozesse negativ behaftet oder auch fehlerhaft sein können – und dann spricht man von Unconscious Bias (oder auch implicit bias).

Der Begriff „Bias“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Voreingenommenheit, Einseitigkeit, Schieflage.

Jeder Mensch ist durch unterschiedliche Sozialisation und Erfahrungen geprägt und lebt mit Vorurteilen, die schon seit der frühen Kindheit erlernt werden.

Sie beeinflussen unsere Wahrnehmung, unsere Einstellung und Haltung – und damit auch unser Verhalten.

Vorurteile verringern die eigene Unsicherheit und vereinfachen komplexe soziale Konstrukte. Andererseits begrenzen uns unsere Vorannahmen in unserem Erleben und sie können sogar zu einer Abwertung von anderen führen.

So ist man sich zwar (hoffentlich) bewusst, dass Generalisierungen gegenüber Gruppen einfach falsch sind, aber das Gehirn hat dann doch bereits unbewusste Assoziationen geformt, wie z.B. „Alle Deutsche trinken Bier.“ oder „Frauen sind die schlechteren Autofahrer.“

Um Personen einzuordnen oder zu beurteilen, ziehen wir häufig unbewusst äußere Eindrücke und Annahmen heran. Es kann sogar so weit gehen, dass Unconscious Bias gegen unsere (bewussten) Wertvorstellungen gehen.

Eigene Darstellung, in Anlehnung an das Eisberg-Modell:

Unconscious Bias schaffen für uns Schubladen und Klischees, um Menschen einzuordnen.

Menschen können nach verschiedenen Kriterien unterschieden werden, dabei gib es offensichtliche Unterschiede (z.B. Geschlecht) und nicht sichtbare Unterschiede (z.B. sexuelle Orientierung).

Je weiter weg sich unser Gegenüber von uns befindet, desto mehr Klischees benutzen wir.

Und das zeigt uns:

Die Realität ist nicht objektiv, sie ist lediglich eine Konstruktion von uns. Unser Denken bestimmt unsere Realität – und nicht umgekehrt.

Definition von Diversity

Diversity lässt sich als Vielfalt, Verschiedenheit, Heterogenität, Unterschiedlichkeit übersetzen. Häufig werden sechs sogenannte „Kerndimensionen von Diversity“ genannt:

1. Gender: Frauen, Männer, Transgender
2. Rasse /Ethnizität / kulturelle Herkunft
3. Alter
4. Menschen mit und ohne physische, psychische oder geistige Behinderung
5. Religion, Glaubenszugehörigkeit
6. Sexuelle Orientierung


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Quellen bis hierher

1 https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/kulturelle-bildung/59917/kulturbegriffe?p=1
2 Geert Hofstede war einer der bekanntesten Vertreter im Bereich Interkulturelles Lernen und hat das Modell der sechs Kulturdimensionen entwickelt (Machtdistanz, Kollektivismus/Individualismus, Maskulinität/Feminismus, Unsicherheitsvermeidung, Langzeit-/Kurzzeitorientierung, Genuss/Zurückhaltung).
3 Im Folgenden wird der englische Begriff genutzt, da er geläufiger ist.
4 Die Begriffe „Klient“ und „Coache““ werden im Folgenden geschlechtsneutral verwendet und beziehen alle Gender mit ein.
5 https://www.shrm.org/