Coaching: Führungskräfte

in verschiedenen Stadien des Coachingprozesses
und mit unterschiedlichen Methoden

Abschlussarbeit von Sabine Hartmann, als PDF lesen


Karriere-Zwischenstopp Gespräch

Insbesondere nimmt der Coach Bezug auf interaktive Aspekte, die in der Wahrnehmung des Coachs augenscheinlich sind:

Wo tauchten im Gespräch „Störungen“ zwischen Coach und Klient auf?

Hatte der Klient Vorstellungen, Werte, Ziele… die von denen des Coachs abwichen?

Wie fühlte und dachte der Coach darüber?

Wann wurde der Coach unsicher, wann eher sicher im Gespräch?

Was erregte Missmut, was Achtung oder Bewunderung seitens des Coachs?

Der Klient ist ein 34-jähriger promovierter Lebensmittelchemiker, der für einen großen, weltweit agierenden, amerikanischen Lebensmittelkonzern tätig ist.

Er ist Niederländer, obgleich international eingebunden, in den Niederlanden ansässig und arbeitet seit seinem Studienabschluss für das Unternehmen.

Seit einem Jahr trägt er die Verantwortung für den Tierfutterbereich in Zentral-, Ostund Nordeuropa, was eine Umsatzverantwortung von € 120 M. bedingt, sowie die Führung eines 40- köpfigen Teams von Tierärzten, Landwirten, Lebensmittelchemikern, Labortechnikern und Betriebswirten mit sich bringt.

Ich kenne das Unternehmen seit 5 Jahren, bin 3 – 4 Mal im Jahr in einer der europäischen Produktionsstätten/-zentralen und habe J v W im Februar 2016 zum ersten Mal im Zuge einer Seminarreihe „Team-Coaching als Führungsverantwortung“ kennengelernt.

Ich habe dieses hausinterne Seminar geleitet und in der Folgezeit unterschiedliche Sessions (z.B. Einzelcoaching, Mitarbeitermotivation, effektivere Teamarbeit und kundenorientierter Vertrieb) mit den Führungskräften bzw. Mitarbeitern unterschiedlicher Bereiche durchgeführt.

Seine Stationen, gepaart mit entsprechenden Kompetenzen beschreibt J v W wie folgt:

– Analytische und rezeptorische Betätigungsfelder als Lebensmittelchemiker in den Labors der business line choco & cocoa in Nordbelgien; Er spricht von akkuratem, präsizen Arbeiten, Ideen entwickeln (Rezepte) und Vermarktungskompetenzen (intern und extern – über Präsentationen und direkten Kundengesprächen)

– Teamleiterpositionen in R&D (research & development) mit 4 – 6 Mitarbeitern zwischen den business lines rotierend; J v W spricht von ersten Erfahrungen bzgl. Teamführung, Wertung von Teamerfolgen, unterschiedlichen Führungsstilen und interner Netzwerkbildung.

Vor 4 Jahren begegnete er H v W, den er immer als Mentor bezeichnet/bezeichnet hat und der sein heutiger Vorgesetzter ist

Mit Hochachtung, aber keineswegs devot, spricht J v W von H v W, der ihn gefördert und gefordert hat und den sich J v W als positiven Wegweiser auf seinem Karriereweg markiert hat. Er beschreibt den Führungsstil von H v W als partizipative Führung, einhergehend mit Werteorientierung und Exzellenz.

Lange Leine“ und „Vertrauensvorschuss“ sind Begriffe, die J v W in Bezug auf das Führungsverhalten seines heutigen Vorgesetzten ebenfalls benutzt.

Soweit ich weiß bzw. herausgehört habe – und wir hatten/haben viele Gespräche – ist seine work-lifebalance stimmig.

Er arbeitet und reist zwar viel, bezeichnet sich jedoch als Familienmensch und Sportler, geniest mit Hingabe seine Vaterfreuden, nunmehr auf ein zweites Baby hoffend.

In Bezug auf unsere Werte, Vorstellungen und Ziele sind wir im Gleichklang.

Es gab zu keinem Zeitpunkt Störungen oder Unsicherheiten meinerseits in unseren Gesprächen. Aus meiner Sicht ist das beachtlich, denn gemäß unseren Social Styles (Merrill und Reid, 1964) liegen wir in diagonal gegenüberliegenden Quadranten, er ist ein „analytical“ (durch und durch) und ich bin ein „expressive“ (durch und durch).

So entsteht in mir die Hypothese, dass keine Kongruenz bzgl. personality traits zwischen Klient und Coach bestehen muss, um überlappende Werte- und Zielvorstellungen zu verfolgen.

Ein Sachverhalt hat meinen Missmut erregt, allerdings war dies nicht ein Bestandteil der beiden Karriere-Zwischenstopp Gespräche, welche im März, eingebettet in Personalentwicklungsfragen für sein Team, geführt worden sind.

Im Oktober 2019 gab es in dem Gebäude des Unternehmens einen Feueralarm und das Gebäude wurde umgehend unter der Anleitung von Fachkräften evakuiert.

Zu diesem Zeitpunkt waren J v W und ich im fünften Stockwerk des Hauses, stehend und redend in einem offenen Foyer auf dem Weg zu seinem Büro.

Er schob mich sofort in Richtung Nottreppe (4 Meter vor uns), als ich mich umdrehte und sagte „Ich hole schnell meinen Mantel und meine Tasche“.

Beides war 6 Meter von uns (in diesem offen gestalteten, riesigen Raum) entfernt.

Er sagte „Nein!“, packte mich fest und drängte mich in Richtung Ausgang.

Auf der Treppe mit all den vielen Menschen war er sehr beschützend, dennoch war ich beträchtlich verärgert, insbesondere weil ich wusste, dass es draußen hundekalt sein würde und so war es denn auch.

Ich habe mir eine schwere Erkältung eingefangen, was aus meiner Sicht vollends vorhersehbar war.

J v W ist hartnäckig, sehr umsetzungsstark und kann dominieren, wenn er will.

Er ist nicht bei allem seinen Mitarbeitern beliebt (ich kenne die meisten seiner Mitarbeiter aus Veranstaltungen und Gesprächen), aber geachtet und geschätzt.

Anscheinend übernimmt er Verantwortung für andere.

In dem folgenden Dialogausschnitt, lege ich J v W die Worte in den Mund, rein darstellungstechnisch gesehen; er weiß um seine Verbesserungspotentiale, wir sprechen häufig darüber.

Selbstredend wären die zusammengefassten und vereinfachten Antworten nicht seine originäre Rhetorik.

S.H.
Was sind aus Ihrer Sicht die bewussten und die weniger bewussten Bremsklötze Ihrer Karriere?

J v W
Ich möchte, dass die Eigenansprüche meiner Mitarbeiter meinen Ansprüchen und meinem eigenen Anspruchsniveau entsprechen. Das kann oftmals nicht der Fall sein, da sie andere Neigungen, Gaben, Ressourcen und Anforderungen an Job und Lebensführung mit sich bringen, wie ich das tue.

S.H.
Fühlen Sie sich gut, wenn Sie alle „Details“ unter Ihrer Kontrolle haben?

Anmerkung: Gemäß Cave ist „Sich „gut“ fühlen…“ letztendlich Ausdruck einer kognitiven Bewertung dessen, was wahrgenommen wird (z.B. an Körpersensationen u.a.) – also kein Wort, was eine tatsächliche Emotion bezeichnet.

J v W
Ja

S.H.
Was denken Sie, wie sich Ihre Mitarbeiter fühlen, wenn Ihnen das Was und Wie und Warum genau vorgegeben wird?

J v W
Nicht gut. Wahrscheinlich wünschen sie sich die „lange Leine“, die H v W mir gibt….

S.H.
Wie wollen Sie es gestalten den Mitarbeitern mehr Entscheidungsfreiraum zu geben?

J v W
Meine Mitarbeiter über Fragetechnik mehr einbinden, partizipatives Führen üben, verteilte Führung in Gruppen leben, lösungsorientiertes und hoffnungsvolles Denken meinen Teamleitern überlassen.

Getroffene Entscheidungen meiner Teamleiter nicht aushebeln.

Die Feedback-Kultur, die ich in meinem Team und als Vorbild im Unternehmen etabliere muss eine Zweibahnstraße sein; upwards coaching/feedback ist ebenso gewollt wie peer coaching/feedback.

J v W hat meine Bewunderung, er hat eine unglaubliche Karriere in jungen Jahren hingelegt, weiß das, ist selbstbewusst und zielgerichtet, aber ich denke es ist auch deutlich geworden, woran er noch arbeiten muss.

Ich nehme ihn als sehr reflektiert wahr, bezweifele derzeit jedoch, ob er sich seiner Grenzen und die seiner Mitarbeiter bewusst ist?

Die Theorie der Transformationalen Führung, gemäß James M. Burns „Leadership, 1978“

Die I-Fähigkeiten des transformationalen Führens waren jahrzehntelang aus dem Augenmerk von Personalentwicklern und Talent Managern verschwunden und kommen nun – wie ein hype – im Zuge von Coaching, Coach-the-Coach und Coaching als mögliches Führungskräfte-Tool vollends zurück.

Welche I-Fähigkeiten muss eine Führungskraft-Coach der Neuzeit entwickeln, um transformational führen zu können?

– Werteorientierung und Exzellenz =

▪ Tugendhaftigkeit und Vorbildlichkeit im moralischen, mitmenschlichen und im fachlichen Sinne

– Lösungsorientiertes und hoffnungsvolles Denken und Leben

– Tiefe Selbst- und Menschenkenntnis

▪ Um eigene und fremde unbewusste und bewusste Lebensmotive zu verstehen

– Kontaktfähigkeit und Entwicklungswillen

▪ Beziehungen liebe und gestalten können, den Willen verfolgen, sich und andere individuell zu fördern und zu entwickeln

Aufmerksamkeit, Anerkennung und Anregung, die Triple-A-Methode gemäß J. Gabrisch und C. Krüger

Wer schenkt wem, wann, wo und wie Aufmerksamkeit, Anerkennung, Anregung?

Protokollauswertung unter folgenden Aspekten: Gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Personen?

Besteht ein Ungleichgewicht zwischen den drei A?

Versuch des Coachs selbstkritisch zu analysieren, wie diese Ergebnisse zustande kommen.

Welche inneren Motive, Erwartungen, Befürchtungen, Gefühle… verursachen Verhalten das Verhalten des Coachs?

Welche Konsequenzen kann der Coach aus der Selbstanalyse ziehen?

Es gibt viele Möglichkeiten, Mitarbeiter zu fördern, über das individuelle Coaching oder Mentoring, Management by Objectives (MbO) bis hin zu Mitarbeiterentwicklungsgesprächen, in denen Führungskraft und Mitarbeiter auf der Basis der letztjährigen Erfahrung und/oder der zukünftig zu erwartenden Herausforderungen gemeinsam Weiterbildungsbedarfe festlegen.

Nur eine gezielte und individuelle Förderung ist eine gute Förderung.

Auf der Basis der „Triple-A-Methode“ sollte der Vorgesetzte darauf achten, dem Mitarbeiter so aufmerksam wie möglich zu begegnen und ihn und seine Leistung täglich wahrzunehmen.

Gut wäre es, wenn die Führungskraft sich jeden Tag zehn Minuten Zeit nehmen würde, um mit einem seiner Mitarbeiter ein Gespräch zu führen.

In diesem Gespräch wird nicht immer über die Entwicklung des Mitarbeiters gesprochen, sondern über aktuelle Projekte, wie der Mitarbeiter damit zurechtkommt, ob der Zeitplan stimmt, ob er sich Unterstützung vom Vorgesetzten wünscht.

Oft werden Mitarbeiter während eines Projekts allein gelassen und ein Gespräch findet erst dann statt, wenn etwas schiefgegangen ist.

Neben der Aufmerksamkeit bedeutet Mitarbeiterförderung auch Anerkennung von guter Leistung und hoher Motivation.

Auch wenn wir die gute Leistung als das Selbstverständliche betrachten, motiviert es jeden Mitarbeiter, wenn er sieht oder hört, dass diese Leistung auch geschätzt wird.

Ein kleiner Dank oder ein anerkennender Blick ist damit schon Teil der Mitarbeiterförderung.

Das letzte A, die Anregung, bedeutet, den Mitarbeiter mit neuen Herausforderungen zu konfrontieren, ihm die Möglichkeit zu geben, höhere Ziele zu erreichen oder kreative Gedanken zu entwickeln.

Es bedeutet auch, dem Mitarbeiter Vorschläge zu seiner Entwicklung zu machen, dabei ist eines wichtig:

Wir können nur Mitarbeiter fördern, die auch gefördert werden möchten.

Einen Mitarbeiter gegen seinen Willen und ohne sein eigenes Engagement entwickeln zu wollen, ist vergebliche Mühe. Auch hier greift das Prinzip von Geben und Nehmen.

(Renate Eickenberg, Nicht einzig und nicht artig, Verlag: Shaker Media GmbH, 2011)


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