Berücksichtigung der Ich-Entwicklungsstufen

des Cochees im Coachingprozess

Abschlussarbeit als PDF lesen


Im Rahmen meiner Ausbildung zur systemischen Coachin bin ich auf das Buch von Svenja Hofert – „Hört auf zu Coachen!: Wie man Menschen wirklich weiterbringt“- gestoßen.

Frau Hofert ist der Auffassung, dass ein Coaching nur dann wirklich effektiv sein kann, wenn der Coach/die Cochin die individuelle Phase der Ich-Entwicklung des Coachees kennt und beim Coachingprozess berücksichtigt.

In ihrem Buch beschreibt Frau Hofert fünf Entwicklungsphasen, denen sich die meisten Menschen zuordnen lassen und stellt passende Methoden und Fragestellungen für den Coachingprozess vor.

Die Einordnung in Ich-Entwicklungsphasen beruht auf Forschungsarbeiten zur Stufeneinteilung u.a. von Jane Loevinger, Susanne Cook-Greuter und Robert Kegan. Anders als diese nennt Frau Hofert ihre Einteilung nicht „Stufen“, so dass nicht der Eindruck von „höhere Stufe gleich besser“ entsteht.

Zunächst fand ich den Titel des Buches von Frau Hofert etwas reißerisch.

Gleichzeitig war ich aber auch gespannt darauf, welche Methoden dabei helfen, Menschen effektiv weiterzuentwickeln. Der Begriff Ich-Entwicklung war mir als solcher bisher nicht bekannt. Umso erstaunter war ich, dass es sich um ein wissenschaftlich fundiertes und etabliertes entwicklungspsychologisches Konzept handelt.1

Hunderte empirischer Studien haben das Modell der Ich-Entwicklung weltweit erforscht und immer wieder bestätigt. In nahezu allen namhaften wissenschaftlichen Journalen finden sich Veröffentlichungen zu diesen Forschungsergebnissen.2

Die Entwicklungspsychologie ist nach Aussage von Frau Hofert ein recht komplexes Gebiet, so dass es in Coachingausbildungen eher nicht vermittelt wird.3

In ihrem Buch versucht Frau Hofert das Thema stark vereinfacht darzustellen und auf die wichtigsten Aspekte zu reduzieren. Außerdem arbeitet sie mit Fallbeispielen und gibt praktische Tipps für die Anwendung im Coachingprozess.

Diese Abschlussarbeit soll einen kurzen Einblick in das Thema Ich-Entwicklung und deren Auswirkung auf den Coachingprozess ermöglichen.

Definition Coaching und Berücksichtigung der Denk- und Handlungslogik des Coach

In meiner bisherigen Praxis im Rahmen von Testcoachings habe ich häufig erlebt, dass vielen Coachees der Prozess des Coachings und die zu erwartende Hilfestellung nicht bekannt sind. Frau Hofert selbst hat in ihrer Praxis darüber hinaus die Erfahrung gemacht, dass je nach Ich-Entwicklungsstand des Coachees, die „üblichen Methoden“ des Coachings nicht erfolgreich waren.

Da Coaching kein rechtlich geschützter Begriff ist und die hierzu angebotenen Dienstleistungen sehr unterschiedlich sein können, ist es wichtig zu wissen, welches Coachingverständnis der Aussage von Frau Hofert zugrunde liegt.

Frau Hofert definiert Coaching als „Hilfe zur Selbsthilfe“. Im Wesentlichen gibt es zwei Richtungen:4

Die eine Richtung interpretiert Coaching als Prozessgestaltung zur Zielerreichung und Leistungssteigerung.

Konkret sieht das so aus, dass Coach/Coachin und Cochee eine Zielvereinbarung treffen und den weiteren Prozess gestaltet der Coach/die Coachin dann im Wesentlichen durch Fragen.

Die andere Coachingrichtung interpretiert Coaching auch als therapienahe Form für leichtere „Dysfunktionalitäten“, wie z.B. geringes Selbstbewusstsein.

Ziele sind hier nicht ganz so wichtig.

Frau Hofert ist der Auffassung, dass sich der Coach/die Coachin mehr auf die Denk- und Handlungslogik der jeweiligen Entwicklungsstufe des Coachees einstellen muss, anstatt stringent der jeweiligen Coachingrichung mit den entsprechenden Methoden und Tools zu folgen.

So z.B. benötigen einige Menschen mehr Sicherheit und Bestätigung, andere mehr Impulse und Anregungen.

Das Vereinbaren von Zielen in einer Coachingsitzung ist daher auch nicht für jeden das geeignete Instrument

da insbesondere Menschen in frühen Entwicklungsstadien mehr Anleitung benötigen.

Je nach Ich-Entwicklungsstand des Coachees ist somit eine andere Hilfestellung erforderlich. Die Erwartungen an den Coach werden ebenfalls aus der Perspektive der Denk- und Handlungslogik der jeweiligen Entwicklungsphase heraus geprägt, so dass es entsprechend unterschiedlich Erwartungshaltungen gibt.

Um hier effektiv unterstützen zu können, sollte der Coach/die Coachin die persönliche Ich-Entwicklungsstufe des Coachees kennen.

Das Stufen-Modell der Ich-Entwicklung nach Loevinger

Auf die Ich-Entwicklung bezieht sich ein Stufen Modell der Persönlichkeitsentwicklung nach Jane Loevinger.

Loevinger hat in den 60er Jahren Kommunikationsmuster in Familien untersucht. Sie fand Muster in ihren Daten, die darauf hindeuteten, dass persönliche Entwicklung als Prozess abläuft und sich in Stufen abbildet.

Keine der Stufen kann übersprungen werden, die Entwicklung vollzieht sich also von Stufe zu Stufe. Nicht alle Menschen erreichen sämtliche mögliche Stufen, vielfach stagniert Entwicklung an einer Stelle. Über viele Jahre hinweg hat Loevinger das Modell dann weiterentwickelt. 5

Auf Loevingers Modell ( 9 Entwicklungsstufen ) aufbauend, unterscheiden viele Wissenschaftler mittlerweile zehn Stufen:6

Stufe 1-2:

Die Stufen 1 und 2 sind kindliche Entwicklungsstufen. Bei der Betrachtung Erwachsener spielen sie daher keine Rolle.

Stufe 3 – Die Selbstorientierte Stufe:

Bei dieser Stufe befindet sich ein Mensch ganz auf der Ich-Seite und die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse steht im Vordergrund. Alle Erwachsenen gelangen mindestens in diese Stufe.

Stufe 4 – Die Gemeinschaftsbestimmte Stufe:

Ein Mensch in dieser Stufe, fühlt sich einer oder mehreren Gruppen zugehörig, deren Regeln er sich unterordnet. Das Denken und Handeln sind an Regeln und Normen der Bezugsgruppen ausgerichtet, die oft auch eine starke Führungsperson hat. Das eigene Ich steht total im Hintergrund und man definiert sich über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.

In Stufe 4 findet eine Person Stärke, Nähe und Zusammenhalt in der Gemeinschaft.

Stufe 5 – Die Rationale Stufe:

Wenn Menschen erkennen, wie sehr sie sich in Stufe 4 untergeordnet haben, entwickeln sich viele weiter und fragen nach anderen Orientierungsmöglichkeiten. Es werden zum Beispiel wissenschaftliche Studien als Bewertungskriterium herangezogen, weil damit Dinge rational/objektiv belegt werden können.

Menschen in Stufe 5 sind unabhängiger als in Stufe 4 und können ihre eigene Meinung bilden. Sie beginnen, die Welt in Richtig und Falsch einzuteilen und ihre Begründungen dafür aus rationalen Quellen zu ziehen.

Stufe 6 – Die Eigenbestimmte Stufe:

In der Stufe 6 spielen die eigenen Werte als Lebenskompass eine wesentliche Rolle. Wenn beispielsweise als persönlicher Wert „Nachhaltigkeit“ wichtig ist, werden dann Denkweisen und Handlungen nach diesem Aspekt ausgerichtet.

Auch akzeptiert ein Mensch auf Stufe 6, dass er nicht nur rational ist, sondern dass auch Emotionen eine wichtige Bedeutung haben. Das innere Erleben ist viel reicher.

Für Personen, die sich in Stufe 6 befinden, ist es wichtig, sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen zu können.

Stufe 7 – Die Relativierende Stufe:

Sich auch für die Werte anderer wirklich zu öffnen und die daraus resultierende Multiperspektive zuzulassen, das erfolgt erst in Stufe 7. Ein Mensch auf Stufe 7 merkt, dass er nicht davon ausgehen kann, dass das eigene Werte-System das einzig Richtige ist, sondern er öffnet auch den Raum für andere Ansichten.

In Stufe 7 stellen Menschen immer das Relativ her, denken also immer in einem großen Bezugsrahmen. Das Denken, Fühlen und Finden von Antworten wird damit viel komplexer.


als PDF weiterlesen


Quellen bis hierher

1 https://loewe-cons.com/ich-entwicklung
2 https://www.i-e-profil.de/ich-entwicklung/
3 Hofert, Svenja: Hört auf zu coachen!.München,2017. S. 5
4 Hofert, Svenja: Hört auf zu coachen!.München,2017. S. 16 ff
5 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ich-Entwicklung
6 https://www.commma.de/einfuehrung_in_das_modell_der_ich_entwicklung