Abschlussarbeit von Christoph Ortmüller, als PDF lesen
Einleitung und Aktualität des Themas
Sorgen und Ängste stellen für Menschen während Corona Zeiten, ob mit oder ohne psychische Vorerkrankungen, eine große Herausforderung dar. Während Maslow in seiner Bedürfnispyramide zunächst von 5, später von 7 Grundbedürfnissen ausgeht, so werden in der Psychologie häufig 4 Grundbedürfnisse beschrieben, nämlich die Bedürfnisse nach Bindung, Autonomie, Selbstwertgefühl und Lust.
Erfüllte psychische Grundbedürfnisse machen glücklich und veranlassen positive Gefühle bei den Menschen, wie Freude, Stolz und Zufriedenheit.
Dauerhaft unerfüllte oder vernachlässigte psychische Grundbedürfnisse, können unglücklich und krank machen. Es können negative Gefühle entstehen und im Extremfall psychische Störungen folgen. Ähnlich verhält es sich, wenn verschiedene Grundbedürfnisse längerfristig im Widerspruch zueinanderstehen, wenn z.B. das Bedürfnis nach Bindung mit dem Bedürfnis nach Autonomie im Widerspruch steht.
Erleben Menschen durch äußere Umstände, wie die derzeitige Pandemie, Einschränkungen in ihrem Leben, z.B. durch einen Lockdown verursacht, so geht dies häufig mit einer starken mentalen Belastung einher. So kann während eines Lockdowns zum Beispiel das psychische Grundbedürfnis nach Bindung verursacht durch Ausgangssperren oder das Bedürfnis nach Anerkennung im Beruf, wenn z.B. der Einzelhandel geschlossen ist, gestört sein.
Bei Menschen, die bereits im Vorfeld (vor Auftreten der Corona Pandemie) an unausgeglichenen psychischen Grundbedürfnissen litten, besteht nach Ansicht des Autors eine höhere Wahrscheinlichkeit, diese negativen Verhaltensmuster zu verstärken. Häufig kommen hier so genannte Glaubenssätze, kurz gesagt Generalisierungen über gemachte Erfahrungen die unsere Aufmerksamkeit steuern, bei Menschen zum Vorschein, die die Menschen noch tiefer in das vernachlässigte Grundbedürfnis abfallen lassen. Innere Anteile, kurz gesagt Persönlichkeitsanteile die jeder Mensch in sich trägt, die bisher verborgen waren oder denen sich Menschen nicht bewusst waren, können ebenfalls die Oberhand über die Gedanken der Menschen gewinnen. Glaubenssätze und/oder innere Anteile können im Rahmen eines Coachings analysiert werden und gegebenenfalls dahingehend angepasst werden, dass diese zu einer Stärkung des Klienten führen.
Ausdrücklich abgegrenzt werden krankhafte psychische Probleme, die eine Therapie bedürfen. Diese sollen nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung sein.
Die vorliegende Ausarbeitung betrachtet Klienten mit einem eingeschränkten psychischen Grundbedürfnis und systemische Coaching-Ansätze mit Hilfe einer Analyse von Glaubenssätzen sowie innerer Anteile.
Glaubenssätze und innere Anteile
Der Glaube beeinflusst unsere Körperfunktionen. Unser Körper reagiert so, als wäre das wahr, was der Geist glaubt. Darüber hinaus wird auch das menschliche Verhalten ganz maßgeblich von den eigenen Überzeugungen und dem Glauben des Menschen geprägt. Wenn Menschen erst einmal einen richtig festen Glauben in sich verankert haben, dann bringen diese Menschen auch ganz massive gegenteilige Informationen nicht aus der Ruhe. Sie werden ignoriert oder einfach für falsch gehalten.
Jeder Mensch hat Glaubens- oder Überzeugungssysteme, die eng mit seinen persönlichen Werten und Kriterien verknüpft sind und die Motivationen, Entscheidungsfindungen und Leistungsfähigkeit erheblich beeinflussen können. Sie prägen sowohl den Lebenswillen, die Fähigkeiten mit Stress umzugehen und ermöglichen außerdem die Entwicklung und Gestaltung von positiven Lebensplänen, Zielen und Bedürfnissen.
Bei der Entwicklung von Glaubenssätzen kann man grundsätzlich 3 Phasen unterscheiden:
Periode der Prägung: Von der Geburt bis zum siebten Lebensjahr durchleben wir die Periode der Prägung, in der wir alle Ereignisse, Bilder, Geräusche, Gefühle, Geschmack und Gerüche in uns aufnehmen.
Modellierungsperiode: In der sich daran anschließenden Modellierperiode ahmen wir unsere Eltern und andere von uns bewunderte Menschen nach. Diese Periode dauert etwa vom achten bis zum dreizehnten Lebensjahr.
Sozialisationsperiode: Danach befinden wir uns in der Sozialisationsperiode, in der wir als Heranwachsende aus der Familie herausgehen und neue Leute kennen lernen. In dieser Zeit werden unsere sozialen Wertvorstellungen und Glaubenssysteme ausgebildet.
Eine wichtige Quelle bei der Entwicklung von Glaubenssystemen und Überzeugungen sind die unmittelbaren persönlichen Erfahrungen, die die Menschen als Folgerungen und Einschätzungen über ihre Umgebung, über die Menschen und über deren vergangene Erlebnisse gewonnen haben.
Glaubenssätze können positiv oder negativ sein. Beispiele für positive Glaubenssätze sind „Ich akzeptiere mich so, wie ich bin.“ oder „Beziehungen genieße ich in vollen Zügen.“. Beispiele für negative Glaubenssätze sind „Alle anderen sind besser als ich.“ oder „Beziehungen können schwierig und einengend sein.“.
Die Folge von Glaubenssätzen der Menschen können also z.B. „hoffnungslose“ oder „hoffnungsvolle“ Gefühle, „wertlose“ oder „wertvolle“ Gefühle, „hilflose“ oder „handlungsfähige“ Gefühle usw. entstehen.
Da Glaubenssätze tief in den Menschen verankert sein können und diese als normal und wahr empfunden werden, ist sich der Klient diesen oftmals nicht bewusst. Herausarbeiten kann man diese in Coaching Sitzungen.
Die Arbeit mit inneren Anteilen, auch Anteilsarbeit genannt, geht von der Theorie aus, dass ein Mensch nicht zu 100% das Eine oder das Andere ist. Unsere Persönlichkeit ist vergleichbar mit einem inneren System, in dem verschiedene Anteile wirken. Da unser inneres System dynamisch arbeitet, können je nach Situation unterschiedliche Anteile und damit Eigenschaften in den Vordergrund treten. Anteile können unterstützend, aber auch hinderlich wirken. Schulz von Thun spricht vom inneren Team, andere Coaches/Psychologen, wie beispielsweise Gunther Schmidt, sprechen auch von einer inneren Konferenz, einem inneren Parlament oder der inneren Familie.
Die inneren Anteile haben unterschiedliche Meinungen, Aufgaben und Kompetenzen. Sie können gut zusammenarbeiten, sich ergänzen, sich im Weg stehen und Widersprüche haben. Die inneren Anteile in uns haben einen Chef, nämlich unsere eigene Persönlichkeit. Der Chef führt die inneren Anteile und gibt ihnen eine Struktur.
Stress, wie durch eine Pandemie verursacht, kann nun dazu führen, dass unsere inneren Anteile aus dem Gleichgewicht geworfen werden. Innere Konflikte können entstehen, Entscheidungen können nicht mehr getroffen werden, eine ängstliche Seite in uns bremst uns aus und versucht die Führung zu übernehmen.
Die Arbeit mit den inneren Anteilen hat das Ziel, dass der Chef, also das Selbst in uns, wieder die Führung übernimmt.
Personifizierte innere Anteile können zum Beispiel sein: „der Kritiker“ oder „der Perfektionist“ oder „der Ängstliche“ oder „der Mutige“
Problemlösung von Glaubenssätzen und die Arbeit mit dem inneren Anteil im Coaching-Prozess
Während der Coaching Session wird häufig das sogenannte Coaching Haus durchlaufen. Dabei geht es bildlich gesprochen, um einzelne Räume, die der Klient zusammen mit dem Coach durchläuft, um am Ende das Ziel der Session zu vereinbaren und den Auftrag zu klären. So stellt der Klient im ersten Zimmer des Coaching Hauses zunächst das Thema dar, erläutert, welche Personen beteiligt sind (Organigramm), schildert die Situation und geht auf die Gefühle, die in der Situation entstehen, ein. Der Coach hört zu und stellt gegebenenfalls Fragen. Der Coach versucht heraus zu hören, ob und welche Glaubenssätze es beim Klienten gibt und/oder welche inneren Anteile beim Klienten beteiligt sind.
Nachdem der Coach mit dem Klienten das Coaching Haus durchlaufen hat, wurde das Ziel der Coaching Sitzung besprochen und der Auftrag mit dem Klienten für die Sitzung geklärt. Es folgt die Lösungsbearbeitung des Klienten im Coaching Prozess.
Häufig sind den Menschen ihre Glaubenssätze und speziell die negativen Glaubenssätze gar nicht bewusst, denn die Gedanken werden für wahr und normal gehalten.
Üblicherweise findet die Arbeit mit Glaubenssätzen nach der Auftragsklärung, also in der Lösungsbearbeitung statt.
Der Klient kann seine Glaubenssätze zusammen mit dem Coach erarbeiten. Der Coach kann verschiedene Fragetechniken anwenden, um den Klienten zu seinen Glaubenssätzen zu führen.
Eine mögliche Frage wäre, „Was muss ein Mensch denken, der sich so verhält?“. Durch die bewusste Allgemeinhaltung mit den Worten „ein Mensch“ wird der Klient dissoziiert und es geht um einen neutralen Menschen und nicht um ihn selbst. Dem Klienten fällt es dadurch möglicherweise leichter sich in die Situation zu versetzen und wertfrei etwas zu sagen. Weitere mögliche, zu den Glaubenssätzen des Klienten führende Fragen, sind „Welche Modelle im Leben existiert haben“, „In welcher Umwelt ist der Klient aufgewachsen?“, „Welche Referenzerlebnisse hat er bisher gesammelt?“ oder „Was wird über das Leben, die Arbeit, die Karriere, die Liebe usw. gedacht?“.
Neugierig kann der Coach weiterführende Fragen stellen, wie z.B. „Weil…?“ und erhält als mögliche Antwort „Weil er die Zeit anderer Leute verschwendet“ oder „Und dann?“, oder „Sonst passiert was?“. Das Ziel dieser Fragetechniken ist den Klienten zum Nachdenken zu bewegen und frei seine inneren Werte und Überzeugungen mitzuteilen.
Der Coach könnte das Gesagte notieren und langsam vorlesen und auf Gefühle und Reaktionen des Klienten achten.
Als Hypothesen des Coaches können mögliche Glaubenssäte vom Coach oder direkt vom Klienten gebildet werden. Typische Glaubenssätze können sein: „Ich darf keine Fehler machen.“ oder „Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden.“ , oder „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“, oder „Andere sind viel schöner als ich und ich bin unattraktiv.“, oder „Ich finde nie einen Partner.“, oder „Bei komplizierten Themen versage ich immer.“ usw.
Diese Glaubenssätze können im Folgenden dann auf den Prüfstand gestellt werden.