Appreciative Inquiry und Interview

Anwendung in Systemischem Coaching und Alltag

Abschlussarbeit von Thomas Bußer, als PDF lesen


Appreciative Inquiry is a habit of mind, heart, and imagination that searches for the success, the life-giving force rather than disaster and despair.

(J. Magruder Watkins, Appreciative Inquiry: A Transformative Paradigm, 2000)

Einleitung

In diesem Satz finden wir das Wesen von Appreciative Inquiry auf einfache Weise zusammengefasst:

Eine „Gepflogenheit des Verstandes, des Herzens und der Phantasie“.

Ein zentraler Gedanke ist die „lebensspendenden Kraft“ als Versinnbildlichung dessen, was Menschen und Gemeinschaften (Organisationen, Unternehmen) benötigen, um sich zu entwickeln, zu verändern oder anzupassen, so wie Pflanzen Sonnenlicht brauchen um zu wachsen.

Zweck und Inhalt von Appreciative Inquiry ist die Suche nach und das Nutzbarmachen dieser Kraft, um Veränderungen herbeizuführen und deren Nachhaltigkeit zu sichern.

Quelle dieser Kraft ist die positive Emotion, die wir bei der Betrachtung positiver Eigenschaften, Stärken und bisheriger Erfolge erleben.

In unserer, durch Technologie vorrangig problemorientierten, westlichen Industriegesellschaft ist es üblich, nach negativen Aspekten, nach Mängeln und Defiziten zu suchen.

Es gilt Fehler zu vermeiden und Probleme zu beheben, indem man die Grundursachen findet und deren auftreten mit geeigneten Maßnahmen vermeidet.

Bei technischen Problemen ist dieses kausale Vorgehen zielführend. Bei der Betrachtung menschlicher Systeme (Individuen, Gruppen, Organisationen) bringt uns dieser kulturell bedingte Problemfokus nicht voran, da er den Blick für Stärken und positive Eigenschaften stark einschränkt.

„Despair“ (engl.: Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit) stellt Watkins der „lebensspenden Kraft“ als zerstörerisches Element entgegen, die Wachstum und Entwicklung verhindert.

Diese Herangehensweise ist für die Betrachtung und das Coaching von Gruppen oder Organisationen ebenso relevant wie bei der Arbeit mit Individuen oder in täglichen Situationen:

Haltung und Grundprinzipien können wir in jeder Situation mit anderen nutzen, um den positiven Kern zu erkunden und daraus die Energie zu schöpfen, die wir für eine positive Veränderung benötigen.

Begriffsklärung und Beschreibung

Was ist Appreciative Inquiry?

Engl. Appreciation – Wertschätzung, Anerkennung

Inquiry – Befragung, Erforschung, Erkundung

Im Deutschen wird der Begriff Apprecative Inquiry (im Weiteren „AI“) meist als „wertschätzende Erkundung“ wiedergeben.

Es handelt es sich hier um mehr als eine Methode oder Technik.

AI ist eine Philosophie, eine Haltung, die uns erlaubt unsere Umwelt oder eine Situation positiv zu sehen und Möglichkeiten zu nutzen, die sich aus dieser Perspektive ergeben.

AI ist orientiert sich an Stärken. AI konzentriert sich auf das, was ‚gut‘ ist. Auf das, was funktioniert.

Positive Aspekte werden hervorgehoben anstatt Negative zu verbessern oder zu eliminieren.

AI teilt viele Ansätze des systemischen Coachings wie z.B. den Lösungsfokus, das positive Konnotieren und die Suche nach vorhandenen persönlichen Ressourcen – dem positiven Kern.

AI gibt uns 5 Prinzipien als Leitlinien, den 5D-Zyklus als Rahmen und 2 Praktiken der Gesprächsführung für diese Erkundung vor:

Herkunft und Entwicklung

What if the questions themselves were influencing the negative dynamic?

(Suresh Srivastva, 1983)

Das Konzept der AI fand seinen Ursprung in den 1980er Jahren in den USA durch die Studien von David L. Cooperrider und Suresh Srivastva an der Western State University im Bereich der Entwicklung von Organisationen im sozialen Umfeld.

Auslöser war oben angeführte Fragestellung.

Frei übersetzt drückt diese die Annahme aus, dass die Fragen, die wir Menschen oder Organisationen stellen, bzw. die Art und Weise wie wir mit ihnen sprechen eine beobachtete, negative Dynamik begünstigen.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass eine bestimmte, positive Art der Fragestellung, bzw. der Gesprächsführung eine positive Dynamik erzeugen und fördern kann.

Den formalen Grundstein legte Cooperrider 1985 in seiner Dissertation “Appreciative Inquiry: A Methodology for Advancing Social Innovation”.

Bekanntheit und Erfolge in der Anwendung erzielte AI vor allem im Englischsprachigen Raum. D. Cooperrider wurde u.a. als Gipfelberater zur UN berufen, wo er mittels seines AI-Ansatzes die Zusammenarbeit großer, internationaler Gruppen aus Wirtschaft, Industrie und Regierungen ermöglichte, den Weg zu positiven Ergebnissen bahnte und den Blick auf neue Möglichkeiten lenken konnte.

AI gilt im englischsprachigen Raum zusammen mit den Konzepten von P. F. Drucker („Effective Executive“) und Max Seligman („Positive Psychology“) als richtungsweisendes Motiv für moderne Unternehmensführung und Organisationsentwicklung.

Abgrenzung Appreciative Inquiry – Appreciative Interview

An appreciative question is a question that seeks to uncover and bring out the best in a person or an organization.

– Whitney et al., 2002:89

Bei AI geht es darum die Stärken und den positive Kern, den Nukleus eines menschlichen Systems zu verstehen. Innerhalb des Appreciative Interview stellen wir Fragen, die uns helfen diese Stärken aufzuspüren.

Es handelt sich also um einen Teilbereich der AI.

Die Fragen werden in der Phase „Define“ erstellt und müssen auf den jeweiligen Zweck und die Zielsetzung des Prozesses an gepasst werden (s. 5D Zyklus).

Das Appreciative Interview ist Bestandteil der Phase „Discover“.

Durchführung und Anwendung

Wir leben in der Welt, die unsere Geschichten erschaffen.

– David L. Cooperrider

Wie bereits erwähnt greift AI auf 2 Praktiken, 5 Prinzipien und den 5D-Zyklus als Prozess zurück. Wie diese im Einzelnen funktionieren folgt in den nächsten Abschnitten.

Zwei Practices

Die Möglichkeit jede Unterhaltung in einem positiven Rahmen zu beginnen und in einem noch positiveren Zustand zu beenden, ist zentrale Idee des Buches „Conversations worth Having“ (J. Stavros, C. Torres).

Es geht, wie im systemischen Coaching, nicht darum alles durch die sprichwörtliche, rosarote Brille zu betrachten oder etwas im freundschaftlichen Plauderton „schönzureden“.

Aber:

Ungeachtet dessen wie komplex und schwierig eine Situation oder Herausforderungen sein mag, man kann dennoch eine „großartige“ Unterhaltung zu dem Thema haben wenn man sich die beiden folgenden Praktiken zu Nutze macht.

Die Praktiken des „Positive Framing“ (dt. Positives Konnotieren) und der „Generative Questions“ (Fragen, die Bewegung generieren: Lösungs- und ressoucenorientierte Fragen) sind auch Grundlage für jedes Coaching Gespräch.

Positive Framing und Generative Questions verweben sich im Laufe eines Gesprächs zu einem wertschätzenden Austausch.

Dieser Austausch wird durch unsere Fragen angetrieben und so zu einer wertvollen Erfahrung.


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